Überall dort, wo die US-Wahl knapp ausgeht, schickt Trump seine Juristen ins Rennen. Sie müssen den Gerichten aber ganz konkrete Verstöße gegen das Wahlrecht beibringen, und die Richter entscheiden nur über die gerügten Stimmabgaben.
Der Demokrat Joe Biden hat nach dem Gewinn wichtiger Bundestaaten gute Aussichten auf einen Erfolg bei der US-Präsidentenwahl. Die Auszählung der letzten Stimmen lief am Donnerstag weiter. Während Amtsinhaber Donald Trump den Sieg bereits für sich reklamierte, scheint Biden nur noch wenige Schritte vom Weißen Haus entfernt zu sein. Dem demokratischen Herausforderer von Präsident Donald Trump fehlten am Donnerstag nur noch wenige Stimmen zur erforderlichen Mehrheit von 270 Wahlleuten. Entscheidend ist nun, wem es gelingt, die letzten noch offenen Bundesstaaten zu holen.
Und das läutet auch die Stunde der Juristen ein. Trump schickte in mehreren Bundesstaaten bereits seine Anwälte mit Klagen gegen die Auszählung los. Auch sein persönlicher Anwalt, der frühere New Yorker-Bürgermeister, Rudolph Giuliani, trat in Philadelphia im umkämpften Bundesstaat Pennsylvania vor die Presse. Giuliani wetterte gegen einen angeblichen Betrug bei den Wahlen und er hat Klagen mitgebracht.
Die juristischen Schritte kommen nicht überraschend. Wenn es knapp wird, wie bei dieser US-Wahl, dann werden auch die Juristen ins Rennen geschickt.
Was US-Gerichte überhaupt entscheiden können
Aber Gerichte können nicht über den Ausgang der Wahl an sich befinden, auch nicht der Supreme Court in Washington. Für eine Überprüfung der Ergebnisse sind Richter nicht zuständig. Örtliche Gerichte oder übergeordnete Instanzen in den Bundesstaaten können aber über die Rechtmäßigkeit von Fristen, Auszählungsregeln oder die Gültigkeit von Ergebnissen entscheiden.
Trumps Team muss also ganz konkret in jedem knappen Bundesstaat auf die Suche nach konkreten Verstößen gegen das Wahlrecht des jeweiligen Staates gehen. In der Regel entscheiden die Staatengerichte dann auch nur über die Gültigkeit oder Ungültigkeit der gerügten Verstöße. Überhaupt stehen juristisch dann also nur die konkret gerügten Stimmen zur Debatte. Einfluss auf die Wahl haben juristische Schritte nur dort, wo es wirklich ausgesprochen knapp wird.
In Pennsylvania zum Beispiel will Trump verhindern lassen, dass Stimmen gültig sind, die noch bis Freitag per Briefwahl eintreffen. Vor der Wahl hatte das Oberste Gericht der USA, der US Supreme Court, eine entsprechende Regelung – eine Abweichung zum geltenden Wahlrecht – zugelassen. Allerdings in einer Eilentscheidung. Drei Konservative unter den insgesamt neun Richtern zeigten sich aber offen dafür, das Thema noch einmal aufzugreifen. "Im Kern dürfte es dabei um die Frage gehen, ob die Abweichung von den bestehenden Wahlrechtsregeln durch ein Gericht getroffen werden konnte oder ob darüber nicht der Gesetzgeber in Pennsylvania hätte entscheiden müssen – eine nicht triviale Frage", sagt Professor Niels Petersen von der Universität Münster. "Ob es auf diese Stimmen aber überhaupt entscheidend ankommen wird, hängt davon ab, ob Biden in Pennsylvania gewinnt und wie deutlich sein Vorsprung ausfällt."
Nur noch ein verzweifelter Wurf ins gegnerische Spielfeld?
Trump klagt auch im Bundesstaat Michigan, wo zahlreiche Medien bereits Biden zum Sieger erklärt haben. Dort soll gerügt werden, dass republikanische Wahlbeobachtern der Zutritt zu Auszählungen verweigert worden sein soll. Trumps Wahlkampfmanager Bill Stepien erklärte, das Team des Präsidenten habe in vielen Wahllokalen in Michigan keinen "bedeutsamen Zugang" erhalten, um die Stimmauszählung zu beobachten. Damit sei gegen ein gesetzlich verbrieftes Recht in diesem US-Staat verstoßen worden. Bis sich das ändere, müsse die Auszählung gestoppt werden.
"Mich erinnert das eher an einen Hail-Mary-Wurf beim Football", sagt Petersen, "also einen verzweifelten Wurf in die gegnerische Hälfte in der Hoffnung, kurz vor dem Ende des Spiels doch noch zu gewinnen". Aus der Sicht des Völkerrechtlers lässt Trump gerade keine juristische Chance ungenutzt, überall dort, wo die Wahl knapp ausgeht.
In Georgia zog Trump vor Gericht, weil 53 zu spät per Post eingetroffene Stimmzettel berücksichtigt worden seien. Sein Wahlkampfteam und die republikanische Partei des Südstaats baten am Mittwoch einen Richter, die Beschlagnahmung von Wahlzetteln anzuordnen, die am Wahltag am Dienstag nach 19 Uhr (Ortszeit) eingegangen waren. Die Klage richtete sich zunächst gegen die zuständige Wahlbehörde in Chatham County, doch kündigte der Parteichef der Republikaner in Georgia, David Shafer, Klagen in einem Dutzend Bezirken an.
Im Bundesstaat Wisconsin, der Biden zugerechnet wird, verlangt er wegen einer knappen Entscheidung eine Neuauszählung. Hier müsste also Biden juristisch aktiv werden, um eine mögliche Neuauszählug zu stoppen – wenn es für ihn auf diese Stimmen und Wahlleute überhaupt noch ankommt.
Parteien rufen zu Prozesskosten-Spenden auf
Der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, erklärte, dass er Trumps Ankündigung, den Kampf um die Wahl vor Gericht fortzusetzen, für unproblematisch halte. Bei einem knappen Wahlergebnis "ist das schon früher passiert und könnte auch dieses Mal passieren", sagte der Trump-Vertraute. "Vor Gericht zu gehen, ist der Weg, wie wir Unsicherheiten auflösen." Die Demokraten warben sogleich um Spenden für Prozesskosten. Sie seien nach Trumps Drohungen "bereit, zurückzuschlagen", schrieb Bidens Vize-Kandidatin Kamala Harris auf Twitter. "Unsere Arbeit könnte sich über Wochen hinziehen und wir brauchen Ihre Hilfe", hieß es in dem Spendenaufruf.
Demokraten und Republikaner hatten schon vor der Wahl zahlreiche Anwälte engagiert. Manche Klagen dürften durch alle Instanzen gefochten werden und könnten letztlich beim Obersten Gerichtshof in Washington, dem Supreme Court, landen. Dort hat Trump einen Heimvorteil: Sechs der neun auf Lebenszeit ernannten Richter gelten als konservativ, drei davon hat der Republikaner selbst nominiert.
Droht ein Szenario wie bei der US-Wahl 2000 in Florida?
Manche Beobachter der Wahl erinnern schon an die US-Wahl im Jahr 2000 – eine besonders unangenehme Erinnerung für alle Anhänger der Demokraten. Denn ob der Republikaner George W. Bush oder der Demokrat Al Gore der nächste Präsident sein würde, hing damals nur vom Ergebnis im bevölkerungsreichen Bundesstaat Florida ab. Der Rechtsstreit um das Ergebnis und Neuauszählungen zog sich einen Monat hin, bis vor das Oberste Gericht. Danach räumte Gore seine Niederlage ein. Der Republikaner Bush gewann mit 537 Stimmen Vorsprung, sicherte sich die Stimmen der Wahlleute Floridas und wurde US-Präsident. Hauptproblem bei der Auszählung in Florida waren damals die eingesetzten Wahlmaschinen, die nicht immer ein eindeutiges Ergebnis anzeigten und so für andauernde Neuauszählungen sorgten.
"Von diesem Szenario sind wir im Moment noch weit entfernt", sagt Petersen. Neuauszählungen seien schließlich noch gar nicht angeordnet worden. "Falls der Supreme Court wegen einer Neuauszählung angerufen wird, dann könnte er nur entscheiden, dass eine von einem staatlichen Gericht angeordnete oder bestätigte Neuauszählung in ihrer konkreten Form nicht zulässig wäre." Der Staat könnte unter Beachtung der Vorgaben des Supreme Courts dann immer noch eine veränderte Neuauszählung anstrengen. Allerdings wäre dann Eile geboten. Denn es gibt auch unverrückbare Deadlines bei der US-Wahl. Die Bundesstaaten müssen ihre Endergebnisse bis zum 8. Dezember beglaubigen und nach Washington melden. Diese Frist, als "safe harbor" bezeichnet (sicherer Hafen), war zum Beispiel im Jahr 2000 bei Gores Entscheidung, seine Niederlage einzuräumen, entscheidend.
Sollte es über die Frist hinaus weiter Streit geben, könnte es recht kompliziert werden. Wirklich aufatmen dürften die Amerikaner daher wohl erst nächstes Jahr: Am 20. Januar muss der nächste Präsident vereidigt werden. So schreibt es das Gesetz vor.
Mit Material der dpa
Gerichte und US-Wahl: . In: Legal Tribune Online, 05.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43336 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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