Am Freitag titelte die Online-Ausgabe der größten deutschen Boulevardzeitung: "Hammer-Urteil: Ziehung der Lottozahlen im TV 'unzulässig'!" Leserkommentare fragten unter anderem, welche "Drogen denn diese Richter nehmen". Wulf Hambach und Stefan Bolay erklären, dass allenfalls die scheinheiligen deutschen Gesetzgeber schuld wären, wenn die Lottofee ihren Job verlöre.
In dem Urteil ging es um die Frage, ob das Sportwettenmonopol des Glücksspielstaatsvertrages (GlüStV), nach dem nur der Staat Sportwetten anbieten darf, gegen Europarecht verstößt. Hierauf hatte sich ein privater Sportwettanbieter aus Mönchengladbach berufen. Ihm war unter Verweis auf den GlüStV verboten worden, Wetten auf Sportereignisse anzunehmen.
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster berief sich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), dass es nicht einerseits eine "Monopolregelung" geben kann, "die auf die Bekämpfung der Spielsucht und den Spielerschutz als zwingende Gründe des Allgemeininteresses gestützt wird" und anderseits die "Behörden (…) die Verbraucher dazu anreizen und ermuntern, an Lotterien, Glücksspielen oder Wetten teilzunehmen, damit der Staatskasse daraus Einnahmen zufließen".
Mit anderen Worten: Es kann nicht sein, dass der Staat mit Hinweis auf die vermeintlichen Suchtgefahren von Glücksspielen wie Lotto das Glücksspielangebot monopolisiert, um es anschließend umfassend zu bewerben. Immerhin betreibt der Staat Marketing durch Jackpot-Werbekampagnen, durch Slogans wie "Lotto hilft", durch die Präsentation glücklicher Millionäre oder eben auch durch die Ziehung der Lottozahlen zur besten Sendezeit im TV.
Dr. Martin Schnell, Vorsitzender Richter am OVG und Vertreter des Pressedezernenten, erläuterte nach der Berichterstattung der vergangenen Woche, der Senat habe zwar Bedenken hinsichtlich der Bewerbung von Glücks- und Lotteriespielen und der Ziehung der Lottozahlen in der ARD geäußert. Allerdings sei nicht die Ziehung der Lottozahlen an sich unzulässig, sondern die gleichzeitige Berufung des Staates auf sein Monopol, so der Münsteraner Richter.
Die Münsteraner Entscheidung: Konsequent statt scheinheilig
Der Senat hatte im Übrigen in dem Rechtsstreit zwischen dem Mönchengladbacher Sportwettenanbieter und der Behörde gar nicht darüber zu entscheiden, ob das samstägliche TV-Event rechtswidrig ist. Die Lottofee also wird ihren Job noch ein wenig behalten dürfen. Die Entscheidung der nordrheinwestfälischen Richter aber ist dennoch ebenso wichtig wie richtig.
Die Verwaltungsrichter führen wörtlich aus, dass auch "die Art und Weise der öffentlichen Ermittlung von Gewinnzahlen vor laufenden Fernsehkameras (..) sowie die Präsentation der Lotto-Glücksspirale vor der Hauptausgabe der Tagesschau (…) unzulässige Anreizwirkung (entfalten)“.
Ihr Urteil ist also keineswegs "schwachsinnig“, wie die Leser der größten deutschen Boulevardzeitung in ihren Kommentaren vermuteten. Es ist vielmehr nur konsequent. Der Senat setzt ein absurdes Glückspielrecht um, das immer noch auf dem Fundament der „Lotto-Sucht“ aufbaut. Wenn Glücksspiele wie Lotto oder Sportwetten tatsächlich so wahnsinnig suchtgefährlich sind, wie es der GlüStV impliziert, dann darf man eben auch die Ziehung der Lottozahlen nicht im Fernsehen übertragen.
Das OVG Münster steht hier im Einklang mit der Sichtweise der Richter und Generalanwälte des EuGH, die in diesem Zusammenhang den Scheinheiligkeits-Test ("hypocrisy test") machen. Sie stellen fest, dass eine Glücksspielregulierung, die nur aus fiskalischen Gründen vorgibt, die Spieler schützen zu müssen, die Einschränkung der europäischen Dienstleistungsfreiheit nicht rechtfertigen kann.
Das Lotto-Monopol schützt – nicht vor Sucht, aber vor Betrug
Daher sind primär nicht die Richter gefordert, sondern die Gesetzgeber, namentlich die Ministerpräsidenten der Bundesländer, die sich in dieser Woche in Schleswig-Holstein treffen, um über einen neuen Glücksspielstaatsvertrag zu beraten.
Rechtlich ist es nämlich möglich, das Lotterieveranstaltungsmonopol aufrecht zu erhalten und im Bereich von Sportwetten und Poker eine regulierte Liberalisierung umzusetzen. Das staatliche Lotto-Monopol lässt sich zwar nicht damit rechtfertigen, dass es die Spieler vor Lotto-Sucht schützt.
Aber es bewahrt die Spieler vor Manipulationen und Betrug. Lotterien zeichnen sich im Gegensatz zu Poker oder Sportwetten durch ein hohes Maß an Intransparenz aus. Bei den Sportwetten gibt es eine klare Trennung zwischen dem Wettanbieter und dem zu bewettenden Sportereignis. Beim Poker erhebt der Veranstalter unabhängig vom Ausgang des Spiels nur eine Spielgebühr. Die Gewinnentscheidung hängt indessen vom Verhalten und den Entscheidungen der beteiligten Pokerspieler ab.
Bei Lotterien dagegen ist die Gewinnentscheidung ausschließlich von Vorgängen abhängig, die allesamt im alleinigen Einflussbereich des Veranstalters liegen. Deshalb sieht das Glücksspielgesetz in Schleswig-Holstein mit entsprechender Begründung ein Monopol allein für das Zahlenlotto vor.
Der Gesetzgeber muss die Augen öffnen und in den Spiegel schauen
Dem aktuellen Entwurf eines neuen GlüStV fehlt es indessen nach wie vor an einer belastbaren Rechtfertigung für ein ausschließlich staatliches Lotterieangebot. Hierdurch gefährdet der Entwurf das Lottomonopol, worauf Juristen, aber auch Politiker wie der FDP-Fraktionsvorsitzende in Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki, schon seit Monaten gebetsmühlenartig hinweisen.
Das Urteil des OVG Münster ist also kein unsinniger Richterspruch, sondern hält dem Gesetzgeber den Spiegel in Form der Unsinnigkeit des aktuellen GlüStV vor. Dieser hat sich weder "im Wesentlichen bewährt", wie es im Evaluierungsbericht heißt, noch wird er "in seinen Zielen und Einzelregelungen von der Rechtsprechung gebilligt", wie es der gegenwärtige Entwurf der Erläuterungen zu einem neuen GlüStV behauptet.
Der Gesetzgeber muss endlich die Augen öffnen und in den vorgehaltenen Spiegel schauen. Vielleicht hilft es ja, dass das Ministerpräsidententreffen in Schleswig-Holstein stattfindet und eine frische Küstenbrise endlich Klarheit in die seit Jahren völlig verworrene Glücksspiellandschaft bringt.
Dr. Wulf Hambach ist Partner, Dr. Stefan Bolay ist Juniorpartner in der Rechtsanwaltskanzlei Hambach & Hambach in München. Die Autoren sind unter anderem auf Medien- und Glücksspielrecht spezialisiert.
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Wulf Hambach, Urteil zur Lottoziehung im TV: . In: Legal Tribune Online, 24.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4640 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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