Nach der dramatischen Zuspitzung der Lage in Libyen hat der Sicherheitsrat reagiert. In einer Nachtsitzung am Donnerstag hat er nicht nur die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen, sondern auch drastischere Maßnahmen autorisiert. Przemyslaw Nick Roguski über die Bedrohung des Weltfriedens, viel Verantwortung für die Arabische Liga und einen nun möglichen Krieg.
Schon im Februar erließ der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (Sicherheitsrat) eine Resolution, mit der der Libysche Herrscher Muammar Gaddafi durch ein Waffenembargo und Reiseverbote zur Achtung der Menschenrechte gezwungen werden sollte.
Seitdem hat sich die Lage in Libyen weiter verschärft. In dem entbrannten Bürgerkrieg gehen Gaddafis Truppen rücksichtslos gegen die Aufständischen und die Zivilbevölkerung vor und sind anscheinend kurz davor, die Rebellenhochburg Bengasi einzunehmen.
Auf diese Entwicklung reagiert der Sicherheitsrat nun nach einigem Zögern mit einer neuen, erstaunlich deutlichen und weitgehenden Resolution: Er erlaubt den Einsatz von Waffengewalt nicht nur zur Durchsetzung einer Flugverbotszone, sondern auch gegen Bodentruppen.
UN-Charta verbietet Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates
Das Völkerrecht geht von der Souveränität aller Staaten aus. Kein Staat darf sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen, gegen einen anderen Staat Gewalt ausüben oder auch nur mit dieser drohen (Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta).
Auch die Vereinten Nationen (United Nations-UN) selbst haben gemäß Art. 2 Abs. 7 der UN-Charta grundsätzlich keine Befugnis, sich in die inneren Angelegenheiten eines Staates einzumischen. Allerdings gehört es zu den Zielen der UN, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und die Achtung der Menschenrechte zu fördern. Die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit kommt dabei dem Sicherheitsrat zu. Er allein ist ermächtigt, Maßnahmen bis hin zur Gewaltanwendung zu ergreifen, die eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates darstellen können.
Diese Maßnahmen sind abschließend in Kapitel VII der UN-Charta aufgezählt. Er kann Empfehlungen abgeben und Staaten oder Konfliktparteien zu einem bestimmten Handeln auffordern. Er kann Sanktionen beschließen, die unter der Schwelle der Gewaltanwendung liegen wie etwa eine Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen oder Blockaden (Art. 41 der UN_Charta). Nach Art. 42 des Regelwerks kann der Sicherheitsrat aber auch militärische Sanktionen einschließlich aller Maßnahmen der Luft-, See- oder Landstreitkräfte anordnen, die zur Wahrung und Wiederherstellung des Weltfriedens erforderlich sind.
Eingreifen nur bei einer "Bedrohung des Friedens"
Solche Schritte setzen allerdings eine Bedrohung, einen Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung voraus. Besonders problematisch ist dabei die Frage, ob auch innerstaatliche Konflikte eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens darstellen können. Konflikte also, die sich gerade nicht zwischen zwei oder mehr Staaten abspielen, sondern primär die geschützte Sphäre der inneren Angelegenheiten eines Staates betreffen. Seit der Somaliakrise 1992 tendiert der Sicherheitsrat aber zunehmend dazu, auch innerstaatliche Konflikte als Bedrohung des Friedens anzusehen.
In letzter Zeit scheint der Sicherheitsrat zudem immer mehr davon auszugehen, dass die Staaten eine Schutzpflicht gegenüber ihren Bürgern haben. Sie müssen der Bevölkerung die grundlegenden Rechte aus den Menschenrechtspakten, dem humanitären Völkerrecht oder den Flüchtlingskonventionen aktiv gewähren und sie vor Verletzungen dieser Rechte schützen. Verstößt ein Staat massiv gegen diese Pflichten, kann dies zu einer Bedrohung des Friedens führen und damit Maßnahmen des Sicherheitsrates rechtfertigen.
Libyen verletzt seine Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung
Zu einer solchen Situation ist es nach Ansicht des Sicherheitsrats gekommen. Bereits in der Resolution vom 26. Februar bezog der Sicherheitsrat sich auf eine "grobe und systematische Verletzung der Menschenrechte" und eine "von der höchsten Ebene der libyschen Regierung ausgehende Aufstachelung zu Feindseligkeit und Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung". Zudem wies er hin auf die "Verantwortung der libyschen Behörden, die Bevölkerung zu schützen".
Auch in der nun in der Nacht von Donnerstag auf Freitag beschlossenen Resolution 1973 (2011) stellt der Sicherheitsrat wiederum auf Libyens Schutzpflicht ab. Auch den Einsatz von Söldnern durch die libyschen Behörden verurteilt er. Darauf gestützt stellt er nun unmissverständlich eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit fest.
Staaten dürfen militärische Gewalt zum Schutz der Zivilbevölkerung anwenden
Auf dieser Grundlage hat der Sicherheitsrat nun das schon am 26. Februar beschlossene Waffenembargo erweitert und gegenüber allen Staaten dessen strikte Durchsetzung angeordnet. Auch der so genannte „Asset freeze“, also das Einfrieren aller libyschen Konten und Vermögenswerte, wird mit dem Beschluss ausgebaut.
Ganz neu ist die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen. Der Sicherheitsrat hat die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zur Durchsetzung der Flugverbotszone mit allen, also auch militärischen, Mitteln autorisiert.
Flugzeuge, mit Ausnahme solcher, die Hilfsgüter einfliegen oder fremde Staatsangehörige aus Libyen ausfliegen, dürfen den libyschen Luftraum nun nicht mehr benutzen. Sollten sie dies doch tun, können sie zum Abdrehen oder Landen gezwungen und notfalls abgeschossen werden.
Beachtlich ist dabei vor allem, dass der Sicherheitsrat explizit die Arabische Liga, als so genannte "regionale Abmachung" nach Art. 50 UN-Charta, zur Durchsetzung der Flugverbotszone ermächtigte.
Der Sicherheitsrat ist in den beschlossenen Maßnahmen aber noch weiter gegangen. Er hat die Mitgliedstaaten dazu ermächtigt, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Zivilisten und von der Zivilbevölkerung bewohnte Gebiete, einschließlich Bengasi, vor Angriffen zu schützen. Diese Ermächtigung schließt nur eine dauerhafte Okkupation libyschen Territoriums durch fremde Truppen aus, ermöglicht aber alle anderen militärischen Maßnahmen.
Bleibt Zeit für die Durchsetzung?
Über die Ermächtigung zur Durchsetzung einer Flugverbotszone geht die Resolution also weit hinaus. Die Staaten sind nicht nur befugt, libysche Flugzeuge daran zu hindern, den Luftraum zu benutzen und notfalls abzuschießen. Sie sind dürfen vielmehr auch die Zivilbevölkerung, insbesondere in Bengasi, vor Angriffen zu schützen. Dies kann beispielsweise geschehen durch Luftangriffe auf libysche Bodentruppen, die auf Bengasi vorrücken. Denkbar wäre auch der Einsatz von Seestreitkräften und sogar der begrenzte Einsatz von Bodentruppen, solange er nicht zu einer dauerhaften Besatzung wird.
Mit der Sicherheitsresolution vom Donnerstag hat der Sicherheitsrat den Mitgliedstaaten und ganz explizit den Staaten der Arabischen Liga ein sehr robustes Mandat zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung erteilt. Die gewählte Formulierung erlaubt den Einsatz von Gewalt gegen Bodentruppen und könnte so das Machtverhältnis auf dem Boden zugunsten der Rebellen verändern. Der Sicherheitsrat ist sichtlich bemüht, den Vormarsch von Gaddafis Truppen auf Bengasi zu verzögern und die Konfliktparteien zu einem Waffenstillstand und zu Verhandlungen zu bewegen.
Der Sicherheitsrat hat sich trotz aller Differenzen mit 10 Ja-Stimmen und 5 Enthaltungen zu einem klaren Vorgehen entschlossen: dem Einsatz von Waffengewalt, also Krieg. Es bleibt abzuwarten, welche Länder nun die Verantwortung übernehmen und bereit sein werden, den Schutz der Zivilbevölkerung militärisch durchzusetzen. Für die libyschen Rebellen bedeutet die Resolution neue Hoffnung. Ob sie nicht zu spät kommt, wird sich in den nächsten Tagen entscheiden. Die Waffenruhe, die Gaddafi nun überraschend erklärte, könnte ein Anfang sein – oder der Versuch, noch mehr Zeit zu gewinnen.
Der Autor Przemyslaw Nick Roguski, Mag. Iur. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Internationales Wirtschaftsrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
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Przemyslaw Roguski, UNO-Resolution zu Libyen: . In: Legal Tribune Online, 18.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2815 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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