Minderheitsaktionäre können künftig schon mit einer Beteiligung des Hauptaktionärs von 90 Prozent "hinausgedrängt" werden. Die Reform erleichtert für Investoren die vollständige Übernahme von Unternehmen und eröffnet neue Gestaltungsmöglichkeiten bei Umstrukturierungen. All das aber nur im Umwandlungsrecht, kritisiert Felix Blobel.
Das Umwandlungsrecht, das die Voraussetzungen und Rechtsfolgen von Verschmelzungen, Spaltungen und anderen Umstrukturierungen von Unternehmen regelt, gilt selbst vielen Wirtschaftsjuristen als eher spröde Materie. Das am 17. Juni 2011 durch den Bundesrat abschließend gebilligte Dritte Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes aber brachte eine Aufsehen erregende Neuerung.
Nach dem neuen § 62 Abs. 5 UmwG kann die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft künftig bereits dann den Squeeze-out – also die Übertragung sämtlicher Aktien auf den Hauptaktionär gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung – beschließen, wenn der Hauptaktionär mit mindestens 90 Prozent an der Aktiengesellschaft beteiligt ist und diese zugleich auf ihn verschmolzen wird (Upstream Merger).
Bislang erfordern dagegen sowohl der seit 2002 mögliche aktienrechtliche Squeeze-out (§§ 327a ff. AktG) als auch die im Jahr 2006 eingeführte übernahmerechtliche Übertragung der Aktien (§ 39a WpÜG), dass der Hauptaktionär beziehungsweise Bieter bereits mit mindestens 95 Prozent an der Zielgesellschaft beteiligt ist.
Verzahnung von Verschmelzung und Squeeze-out
Das Verfahren des neuen verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out richtet sich zwar weiterhin nach den genannten aktienrechtlichen Vorschriften, reduziert aber die maßgebliche Beteiligungsschwelle auf 90 Prozent und ist mit der Verschmelzung zeitlich und inhaltlich verzahnt.
So muss schon in dem zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft zu schließenden Verschmelzungsvertrag festgehalten werden, dass im Zusammenhang mit der Verschmelzung ein Squeeze-out der Minderheitsaktionäre der übertragenden Tochtergesellschaft erfolgen soll. Der Squeeze-out-Beschluss muss dann binnen drei Monaten durch die Hauptversammlung der übertragenden Tochtergesellschaft gefasst werden.
Schließlich wird der Zwangsausschluss erst wirksam, wenn die Verschmelzung in das Handelsregister der übernehmenden (Mutter-)Gesellschaft eingetragen wird. Die Verschmelzung selbst kann nach den erleichterten Voraussetzungen für Konzernverschmelzungen durchgeführt werden.
Einfach, günstig, gut – nur einheitlich geht anders
Die Einführung des verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out ist aus Sicht der Transaktions- und Unternehmenspraxis zu begrüßen. Hauptaktionäre können bereits mit einem Aktienanteil von 90 Prozent zur vollständigen Übernahme auf das strukturierte gesetzliche Verfahren einschwenken, ohne zu weiteren, oft schwierigen Aktienzukäufen bis auf 95 Prozent gezwungen zu sein. Zudem sparen die beteiligten Unternehmen durch die Erleichterungen bei der anschließenden Konzernverschmelzung Transaktions- und Verwaltungskosten.
Ob der neue verschmelzungsrechtliche Squeeze-out den bisherigen Zwangsausschluss nach Aktien- und Übernahmerecht vollständig verdrängen wird, bleibt abzuwarten. Außer den Schwellenwerten sind jedenfalls auch die weiteren sachlichen Anwendungsvoraussetzungen beider Regelungen nicht deckungsgleich. Während es etwa beim aktienrechtlichen Squeeze-out auf die Rechtsform des Hauptaktionärs nicht ankommt, müssen für einen verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out sowohl die Mutter- als auch die Tochtergesellschaft eine AG, KGaA oder SE sein.
Diese Hürde ist indes nicht unüberwindlich. So kann die Muttergesellschaft vor Abschluss des Verschmelzungsvertrages etwa in eine AG umgewandelt werden, um dann einen verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out durchführen zu können. Der dagegen von opponierenden Kleinaktionären zu erwartende, reflexhafte Einwand eines Rechtsmissbrauchs hat angesichts der bisherigen diesbezüglichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit ihrer rein formalen Betrachtungsweise wenig Chancen. Auch betont die Begründung des neuen Gesetzes, dass die Verbindung des Squeeze-out mit der beabsichtigten Umstrukturierung durch die Verschmelzung per se als legitim anzuerkennen sei und keiner weiteren sachlichen Rechtfertigung bedarf.
Zweigleisigkeit der Schwellenwerte inkonsequent
Wenig konsequent scheint allerdings, dass der Gesetzgeber dennoch im Aktien- und Übernahmerecht an der höheren Schwelle von 95 Prozent für Squeeze-outs festhält. Das deutsche Recht kennt die niedrigere Schwelle von 90 Prozent bereits in den Sondervorschriften des Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetzes. Den Ausschluss der Minderheitsaktionäre der Hypo Real Estate auf der Grundlage dieses Gesetzes hat das Landgericht München in erster Instanz bereits als rechtmäßig und verfassungsgemäß bestätigt.
Die Gesetzesbegründung zum verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out hält zudem fest, dass "mit einem Kapitalanteil von höchstens 10 Prozent […] typischerweise noch keine Einwirkungsmöglichkeiten auf die Unternehmensführung verbunden" seien. So könne das reine Vermögensinteresse des Klein(st)anlegers mit dem Geldwert abgefunden werden.
Diese Einschätzung des Gesetzgebers sollte im Interesse einer einheitlichen Rechtsordnung für alle Squeeze-out-Fälle gelten. Bei der Reform des Umwandlungsrechts hätte man daher auch die aktien- und übernahmerechtlichen Schwellenwerte auf 90 Prozent absenken sollen.
Der Autor Felix Blobel, LL.M., ist Rechtsanwalt im Bereich Gesellschaftsrecht/M&A bei Freshfields Bruckhaus Deringer in Berlin. Er berät in- und ausländische Investoren und Unternehmen zu umwandlungsrechtlichen Fragestellungen, vor allem im Zusammenhang mit Unternehmenstransaktionen.
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Umwandlungsrecht: . In: Legal Tribune Online, 04.07.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3654 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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