"Vereinfachen und beschleunigen" - das war Ziel der Reform des Strafverfahrens. Das nun verabschiedete Gesetz zeigt vor allem ein befremdliches Verständnis des anwaltlichen Berufsethos, meint Björn Gercke.
"Wir wollen das Strafverfahren vereinfachen und beschleunigen", sagte Justizminister Heiko Maas bei der Vorstellung des Entwurfs eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens. Wichtig erschien ihm der Hinweis, dass "Effektivität und Praxistauglichkeit [...] etwas anderes als 'Verfahrensbeschleunigung um jeden Preis' oder gar 'Abbau von Verfahrensrechten' bedeuten".
Dass es dieses Hinweises bedurfte, ist ebenso bezeichnend wie entlarvend: Von den hehren Vorstellungen, ja gar Hoffnungen, die durch die verdienstvolle Arbeit der sog. Expertenkommission bei Wissenschaftlern wie Praktikern aus allen Bereichen der Justiz geweckt wurden, ist nicht mehr viel übriggeblieben. Die Chance zu einer umfassenden - und gebotenen - Reform des Strafprozessrechts wurde vertan.
Bedenken der Anwälte nicht gehört
Dabei hatte eine Expertenkommission zunächst zahlreiche Empfehlungen entwickelt, die in ihrer Gesamtheit sicherlich den Namen einer echten Reform verdient hätten. Sie boten einen Ansatz für die Klärung rechtlicher Probleme, die die Praxis seit Jahren bzw. Jahrzehnten beschäftigen und hätten damit im besten Sinne der Effektivierung und Praxistauglichkeit gedient. Viele der Vorschläge fanden sich auch noch in dem nicht veröffentlichten sog. Rohentwurf des Bundesjustizministeriums (BMJV).
Schon der auf die Debatte in den Ländern folgende Referentenentwurf aus Mai 2016 war folglich gegenüber diesem Rohentwurf erheblich geschrumpft: Die Vorschläge zu den bereits angeführten, dringend erforderlichen Klärungen von weitreichenden Grundrechtseingriffen durch den Gesetzgeber tauchten im Referentenentwurf nicht mehr auf. Von einer substanziellen Reform hatte man sich im BMJV ersichtlich bereits verabschiedet. Stattdessen kam es zu einzelnen isolierten Änderungen, die – was an sich natürlich nicht das Schlechteste ist – ersichtlich auf einen Interessenausgleich zwischen den Verfahrensbeteiligten abzielten.
Der nunmehr im vergangenen Monat vorgestellte Regierungsentwurf greift nun im Wesentlichen noch Vorschläge des Deutschen Richterbundes auf, während Bedenken der anwaltlichen Berufsverbände – der Bundesrechtsanwaltskammer, des Deutschen Anwaltsvereins sowie der Strafverteidigervereinigungen – unbeachtet blieben. Von einem Ausgleich kann nun kaum noch die Rede sein.
Streit als Feind der Effektivität
Der Entwurf enthält insbesondere eine gesetzliche Regelung der von der Rechtsprechung bereits im Wege richterlicher Rechtsfortbildung implementierten Fristsetzung zur Stellung von Beweisanträgen. Während die Gerichte diesbezüglich noch den – dogmatisch wenig überzeugenden, aber vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) abgesegneten – Umweg über den Ablehnungsgrund der "Prozessverschleppung" in § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO gewählt haben, geht der Regierungsentwurf noch einen Schritt weiter.
Anstelle der immerhin widerlegbaren Verschleppungsabsicht, die durch eine Überschreitung der richterlich gesetzten Frist indiziert sein soll, tritt nunmehr ein nicht näher spezifiziertes Verschulden als Maßstab der Verspätung. Ob damit der Sache nach wirklich Effektivierung und Verfahrensvereinfachung einhergehen, steht hingegen auf einem anderen Blatt: Denn es braucht nicht viel Phantasie, um zu prognostizieren, dass der vermeintliche Zeitgewinn durch die Fristsetzung dadurch relativiert wird, dass es zu (ggf. zeitraubenden) prozessualen Auseinandersetzungen darüber kommen wird, ob – so die Formulierung in § 244 Abs. 6 S. 2 StPO-E – "die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war".
Es steht zu vermuten, dass die Lust hieran bei pragmatischen, also "effektiv" denkenden Richtern wieder abnehmen wird: Der größte Feind von Effektivität und Praxistauglichkeit ist der Streit um die Auslegung von Verfahrensregelungen im Verfahren selbst, zumal der Streit ggf. nicht auf die Instanz beschränkt bleibt, sondern sich im Revisionsverfahren fortsetzt.
Tragweite bei Reihenuntersuchungen nicht abschätzbar
Bei DNA-Beinahe-Treffen sehen die §§ 81e, 81 StPO-E Erweiterungen von molekulargenetischer Untersuchungen vor. Das bedeutet , dass aus dem Abgleich der DNA-Identifizierungsmuster auch solche Erkenntnisse zur Sachverhaltserforschung verwertet werden dürfen, die auf ein nahes Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Probengeber und dem Spurenverursacher hindeuten.
Zu Recht wird insoweit kritisiert, dass bei Reihenuntersuchungen der Teilnehmende die Tragweite seiner Zustimmung zur Untersuchung wie auch Verwertung kaum abzuschätzen vermag – es sei denn, er verdächtigt bereits einen konkreten Verwandten, was wohl der absolute Ausnahmefall ist. Insoweit unterscheidet sich die grundlegend von der Aussage vor Gericht gegen einen bestimmten verdächtigen Verwandten, bei der der Zeuge in Kenntnis aller Umstände frei entscheiden kann, ob er sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft oder eben nicht.
Wie bereits im Referentenentwurf vorgesehen, sollen Zeugen nunmehr auch verpflichtet sein, auf Ladung der Polizei zu erscheinen, sofern diesbezüglich der Auftrag eines Staatsanwalts zugrunde liegt. Bisher gilt diese Verpflichtung für Zeugen inklusive der Möglichkeit der Androhung von Zwangsgeld nur bei staatsanwaltschaftlichen Ladungen – solche der Polizei dürfen ignoriert werden.
Nach wie vor ungeklärt ist allerdings, ob für die neue polizeiliche Ladung eine Entscheidung im Einzelfall erforderlich ist oder ob die Staatsanwaltschaft diesbezüglich eine generelle Entscheidung für das gesamte Verfahren treffen kann.
Entwurf des BMJV zur Reform des Strafverfahrens: . In: Legal Tribune Online, 18.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21798 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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