Nachdem Insolvenzverwalter Michael Jaffé den Gläubigern des Containervertriebs P&R eröffnen musste, dass die Insolvenzmasse derzeit nahezu Null ist, prüfen Investoren Haftungsansprüche gegen Banken und Finanzberater, berichtet Robert Peres.
Beim bisher größten deutschen Anlagebetrugsskandal sind rund 54.000 Anleger geschädigt worden und es sind Vermögensschäden in Höhe von gut 2,6 Milliarden Euro entstanden. Dabei sind die Anleger Opfer eines Schneeballsystems geworden, bei dem der P&R-Konzern seit 2007 etwa eine Million Schiffscontainer an Anleger verkauft hat, die es nie gegeben hat. Die eingeworbenen Gelder wurden lediglich dazu genutzt, laufende Verbindlichkeiten gegenüber Altanlegern zu begleichen.
Wie konnte es dazu kommen? Die ursprüngliche Idee war, dass die Anleger die erworbenen Seefrachtcontainer an P&R zurück vermieten. Die Laufzeit des Mietverhältnisses betrug in der Regel fünf Jahre. Die jährliche* Miethöhe sollte bei rund zehn Prozent des Kaufpreises liegen. Die Vertriebsgesellschaft stellte den Anlegern in Aussicht, die Container am Ende der Laufzeit zu 65 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises zurückzukaufen, was P&R in der Vergangenheit auch immer tat.
Geschäftsmodell war langfristig nicht tragbar
Das Problem: P&R garantierte den Anlegern Mieteinnahmen, die weit über dem Marktniveau lagen. Damit entstanden über die Laufzeit massive Verluste. Bis etwa 2007 erzielten die Anleger noch eine Vorsteuerrendite von vier bis fünf Prozent pro Jahr. Doch dann machte sich bemerkbar, dass das Geschäftsmodell langfristig nicht tragbar war, wie der Fondsanalyst Stefan Loipfinger in einem von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) in Auftrag gegebenen Gutachten feststellte.
Auch nach der aus der Weltwirtschaftskrise 2007 resultierenden Seeschifffahrtskrise hielt P&R an diesem Geschäftsmodell fest, obwohl die Preise für Container einbrachen. Das Loipfinger-Gutachten weist nach, dass die Kaufpreise und Mietzahlungen von P&R in den letzten zehn Jahren erheblich von den Marktpreisen abwichen. Die Kauf- und Mietpreise lagen zum Teil um mehr als 50 Prozent über den Marktpreisen. P&R konnte die den Anlegern versprochenen Renditen ab 2007 nicht mehr erwirtschaften, so dass neu angeworbene Anlegergelder dazu verwendet werden mussten, die Forderungen von Altanlegern zu bedienen.
Für die betrogenen Anleger stellt sich nun die Frage des Regresses. Doch da P&R seit März 2018 in der Insolvenz ist und frühestens 2021 ein Bruchteil der investierten Beträge zurückfließt, stehen viele Investoren im Regen. Firmengründer Heinz Roth sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft und versucht laut Medienberichten, private Vermögenswerte dem Zugriff der Insolvenzverwalter zu entziehen. So soll er beispielsweise diverse Luxus-Immobilien an seine Ehefrau übertragen haben.
Wer haftet?
Die Anlegerschützer der SdK haben nun gemeinsam mit mehreren Anwaltskanzleien den Rückgriff auf selbständige oder bei Banken angestellte Anlageberater ins Spiel gebracht. Nach Ansicht der beteiligten Anwälte bestehen hier mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Schadensersatzansprüche der Anleger gegen die Berater oder auch die Banken selbst. Laut dem Magazin Focus waren beispielsweise Berater der Postbank, von einigen Sparkassen sowie Genossenschaftsinstituten wie Volks- und Raiffeisenbanken und der Sparda-Bank involviert.
"Anlageberater waren verpflichtet, auf die sich aus diesem Anlageprodukt ergebenden Risiken unaufgefordert hinzuweisen", sagt der Berliner Rechtsanwalt Marc Liebscher gegenüber LTO. "Zudem hat der Berater eine Plausibilitätsprüfung der vorhandenen Informationen über die P&R-Anlage zu leisten. Das haben Berater aber quer durch die Bank gerade nicht gemacht", ist Liebscher überzeugt. Seine Kanzlei Dr. Späth & Partner hat ein Gutachten zur Haftung der Berater erstellt.
Anlageberater hätten genauer hinsehen müssen
Berater müssen Anleger objekt- und anlegergerecht beraten. Wichtig für die Argumentationsstrategie wird deshalb sein, ihnen Verstöße gegen diese Pflicht nachzuweisen. Nach Ansicht der Anlegeranwälte hätten die Finanzberater bereits 2014 kritischen Berichten über P&R im Manager Magazin nachgehen müssen. Auch hätten sie die erheblichen Preisunterschiede leicht durch einen Blick in öffentlich zugängliche Datenbanken erkennen können, denn ein Berater muss Anlagen prüfen, zu denen er berät.
"Insbesondere bei intransparenten und ungewöhnlichen Geschäftsmodellen - wie dem Vorliegenden - hätten Berater viel genauer hinsehen müssen. Sie hätten dann feststellen können, dass ein Eigentumserwerb an den verkauften Containern mangels Bestimmbarkeit der einzelnen Container nicht möglich ist", meint Liebscher.
Wo war die staatliche Finanzaufsicht?
Das P&R-Anlagemodell operierte von Beginn an im grauen Markt. Erst nach einer Gesetzesänderung im Jahre 2017 mussten die Vertriebsgesellschaften Verkaufsprospekte veröffentlichen, die jedoch keine Angaben zu Rechtsverhältnissen und Verpflichtungen aus bereits verkauften Containern enthielten. Die Prospekte wurden zwar von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) geprüft, aber regelmäßig nicht beanstandet.
Denn die BaFin prüft nach eigenen Angaben nur Vollständigkeit, Verständlichkeit und Kohärenz der Prospekte, nicht aber deren inhaltliche Richtigkeit. So durfte P&R weitermachen, bis auch die letzte Liquidität weg war. Dies hat einen der geschädigten Anleger veranlasst, die BaFin auf Schadensersatz zu verklagen. Der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Schirp, der die Amtshaftungsklage eingereicht hat, sieht eklatante Widersprüche in den Prospekten, die den BaFin-Prüfern hätten auffallen müssen. So standen Mitstreiter der "Bürgerbewegung Finanzwende", einer neuen Initiative des grünen Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick, bei der Gläubigerversammlung vor der Olympiahalle mit Plakaten und forderten: "BaFin aufwachen – Stopp Betrügereien wie P&R".
Neben der fehlenden staatlichen Aufsicht fehlt es aber auch an grundsätzlichen Informationsrechten für Investoren und effektivem privatrechtlichen Schutz. Es gilt, drohende Schäden frühzeitig zu erkennen und deren Eintritt möglichst zu verhindern. Ist ein Schaden eingetreten, müssen Anleger in der Lage sein – einzeln oder im Weg einer kollektiven Gruppenklage – gegen den Schädiger vorzugehen und Schadensersatz zu verlangen. Unser antiquiertes Prozessrecht verhindert aber noch immer den Zugang zu entscheidungserheblichen Informationen. Was derzeit bleibt, sind Einzelklagen.
Der Autor Robert Peres ist Rechtsanwalt in Wiesbaden. Er ist zudem Vorstandsvorsitzender der Initiative Minderheitsaktionäre, welche die Situation von Minderheitsaktionären verbessern will.
* "jährliche" ergänzt am 29.10.2018, 14:40 Uhr (LTO-Redaktion)
P&R-Anlageskandal: . In: Legal Tribune Online, 27.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31747 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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