Die Bundespolizei darf Menschen im Zug nicht allein wegen ihrer Hautfarbe kontrollieren. Im Gegensatz zur Vorinstanz sah das OVG Koblenz am Montag darin einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot. Damit erklärte der Senat das "Racial Profiling" bei Kontrollen im Grenzgebiet erstmalig für rechtswidrig. Vielleicht der Anfang vom Ende der ohnehin ineffizienten Kontrollen, hofft Kirsten Wiese.
"Guten Tag, Ihren Ausweis bitte!" – diese Aufforderung darf die Bundespolizei im Grenzgebiet bis zu 30 km diesseits der Staatsgrenzen und in Zügen, Bahnhöfen und auf Flughäfen, die häufig für illegale Grenzübertritte genutzt werden, an jeden richten, ohne dass ein Verdacht besteht. Sie richtet sie aber zumeist gegen "nicht-deutsch" aussehende Menschen, die das vielfach als diskriminierend empfinden. Nun hat sich ein dunkelhäutiger deutscher Student dagegen vor Gericht erfolgreich gewehrt.
2010 war der 26-Jährige auf einer Zugfahrt von Kassel nach Frankfurt am Main von zwei Bundespolizisten angesprochen und aufgefordert worden, sich auszuweisen. Dies verweigerte er. Daraufhin durchsuchten die Polizisten seinen Rucksack vergeblich nach Ausweispapieren und nahmen ihn mit zu ihrer Dienststelle nach Kassel, wo seine Personalien festgestellt werden konnten.
Der Student wurde zunächst wegen Beleidigung angeklagt, weil er während der Kontrolle gegenüber den Bundespolizisten von SS-Methoden gesprochen hatte. In dem Strafverfahren äußerte sich der Bundespolizist zur Kontrolle des Studenten: Er halte sich nicht an ein bestimmtes Schema. Er spreche Leute an, die ihm als Ausländer erschienen. Dies richte sich nach der Hautfarbe, aber auch danach, ob der Reisende Gepäck bei sich habe oder ob er alleine im Zug stehe. Der Student sei aufgrund seiner Hautfarbe ins Raster gefallen.
Nicht einmal eine Diskriminierungsprüfung in der ersten Instanz
Der Student klagte daraufhin beim Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. Er wollte feststellen lassen, dass er rechtswidrig kontrolliert worden sei. Allein wegen seiner Hautfarbe könnten ihm weitere Kontrollen drohen, befürchtete er.
Das VG Koblenz aber hielt die Kontrolle im Februar dieses Jahres für rechtmäßig (VG Koblenz, Urt. vom 28.02.2012, Az. 5 K 1026/11.KO). Die Beamten hätten sich auf § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz berufen können. Die Vorschrift ermächtigt die Bundespolizei, zur Verhinderung unerlaubter Einreise nach Deutschland in Zügen von jedem die Ausweispapiere zu verlangen, soweit anzunehmen ist, dass der Zug zur unerlaubten Einreise genutzt wird. Gerade die Strecke zwischen Kassel und Frankfurt/Main wird, so die Koblenzer Richter, häufig zur illegalen Einreise benutzt, weil dort der internationale Flughafen und die hessische Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen liegen.
Dass die Ausweiskontrolle sich gerade gegen den dunkelhäutigen Studenten richtete, konnte das VG Koblenz nicht als unrecht erkennen. Sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung und sein allgemeines Persönlichkeitsrecht würden jeweils nur geringfügig beeinträchtigt. Auf das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 GG ging das Gericht gar nicht ein.
Alles erledigt: Der Senat erklärt für rechtswidrig, die Bundespolizei entschuldigt sich
Anders aber jetzt das OVG Koblenz. Mit Beschluss vom Dienstag (29. Oktober 2012, Az. 7 A 10532/12.OVG) stellte das Gericht zwar nur die Erledigung des Verfahrens fest, erklärte das erstinstanzliche Urteil für wirkungslos und legte die Kosten der beklagten Bundespolizei auf.
Vorher aber hatte der Senat deutlich gemacht, dass er die Ausweiskontrolle nur wegen der Hautfarbe für rechtswidrig halte, weil sie gegen das Diskriminierungsverbot verstoße. Daraufhin entschuldigten sich die beiden anwesenden Vertreter der Bundespolizisten bei dem Studenten und dieser erklärte sich mit einer Erledigung des Verfahrens einverstanden.
Das OVG Koblenz erschwert mit dieser Entscheidung das "Racial Profiling". So bezeichnen Menschenrechtsgruppen und Antirassismus-Initiativen die Praxis, sich bei polizeilichen Maßnahmen wie Kontrollen, Durchsuchungen, Ermittlungen und/oder Überwachung handlungsleitend auf Merkmale wie Hautfarbe, Haarfarbe oder religiöse Symbole zu stützen.
Zuletzt hat das Deutsche Menschenrechtsinstitut in einer Stellungnahme gegenüber dem OVG Koblenz deutlich auf den rassistischen und Menschenwürde-verletzenden Gehalt dieser Praxis aufmerksam gemacht.
Das Ende des Musters: Das Ende der Kontrollen?
In England wurde bereits im Jahr 1984 zur Verhinderung von "Racial Profiling" in Dienstvorschriften festgelegt, dass ein hinreichender Verdacht nie auf der Basis von rein personalen Faktoren wie Hautfarbe, Alter, Kleidung begründet werden darf. Polizeiverbände wetterten dagegen, ihre Eingriffsrechte seien noch nie so beschnitten worden. In der Folge war für Schwarze die Wahrscheinlichkeit, in Polizeikontrollen zu geraten, weiterhin deutlich höher als für Weiße.
Es bleibt abzuwarten, wie die deutsche Bundespolizei reagieren wird. Letztlich kann sie die verdachtsunabhängigen Kontrollen im Grenzbereich wohl nur dann diskriminierungsfrei aufrecht erhalten, wenn sie numerische Stichproben macht, also beispielsweise jeden dritten Passagier kontrolliert.
Vielleicht beflügelt das Verfahren* auch die bestehende Diskussion um die vollständige Abschaffung dieser Kontrollen. Ihr Nutzen ist ohnehin umstritten. Die Bundesregierung konnte 2011 in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen nicht einmal angeben, bei wie vielen der im Jahr 2010 in Zügen kontrollierten 581.000 Menschen ein Verstoß gegen das Aufenthaltsrecht festgestellt worden ist.
Die Autorin Dr. Kirsten Wiese ist Juristin und Mitglied der Grünen. Neben ihrer Arbeit bei der Senatorin für Finanzen in Bremen interessiert sie sich für Fragen von Gleichbehandlung und Religionsfreiheit. Der Artikel gibt ausschließlich ihre persönliche Ansicht wieder.
*Anm. der Redaktion vom 30.10.2012, 18:30 Uhr: Fälschlicherweise stand hier zunächst "Vielleicht beflügelt das Urteil...". Ein Urteil ist in der Sache aber gar nicht gefallen. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit vielmehr übereinstimmend für erledigt erklärt.
Kirsten Wiese, Ausweiskontrolle wegen Hautfarbe rechtswidrig: . In: Legal Tribune Online, 30.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7425 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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