Weil er sich geweigert hatte, zwei Vereinen eine Ausbildungsvergütung zu zahlen, musste der SV Wilhelmshaven zwangsweise absteigen. Nach acht Jahren landete der Streit am Dienstag vor dem BGH. Markus Schneider war vor Ort.
LTO: Herr Schneider, die Klage des SV Wilhelmshaven beschäftigt die Gerichte schon seit vielen Jahren. Was war der ursprüngliche Auslöser des Streits?
Schneider: Der SV Wilhelmshaven verpflichtete im Jahr 2007 einen italienischen Staatsangehörigen, der von 1998 bis 2007 in Argentinien für zwei verschiedene Fußballvereine aktiv gewesen war. Die beiden argentinischen Vereine beantragten noch 2007 bei der FIFA die Festsetzung einer Ausbildungsentschädigung, die der deutsche Verein tragen sollte. So verlangte der Verein Atlético Excursionistas gemäß den FIFA-Regularien 100.000 Euro, der Verein Atlético River Plate 60.000 Euro. Die Zahlungsverpflichtung wurde von der FIFA bestätigt, die hiergegen vom SV Wilhelmshaven eingelegten Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.
LTO: Wie gestaltete sich der bisherige Lauf durch die Instanzen?
Schneider: 2008 sprach zunächst die sogenannte "Dispute Resolution Chamber" beiden argentinischen Vereinen die beantragte Ausbildungsentschädigung im Wesentlichen zu. Der SV legte vor dem satzungsgemäß zuständigen Internationalen Sportschiedsgerichtshof CAS in Lausanne Berufung ein, unterlag, zahlte aber gleichwohl nicht. Die FIFA verhängte sodann wegen der Nichtzahlung weitere Geldstrafen und, für den Fall der Weigerung, Punktabzüge von je 6 Punkten pro "Gläubiger" gegen den SV. Weil der sich aber beharrlich weigerte, Zahlungen zu leisten, verhängte die FIFA schließlich den Zwangsabstieg.
Zur Umsetzung dieser Entscheidung ist der DFB als FIFA-Mitglied verpflichtet; er delegierte sie wiederum an den Norddeutschen Fußballverband (NFV) als lokal zuständigen Mitgliedsverband des DFB. Den Zwangsabstiegs-Beschluss hat der SV Wilhelmshaven vor dem Verbandsgericht des NFV erfolglos angegriffen und nach dieser ablehnenden Entscheidung den Weg zu den ordentlichen Gerichten gewählt. Dort unterlag er in erster Instanz, bekam in zweiter jedoch vom Oberlandesgericht (OLG) Bremen Recht, das wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zuließ.
"Sportverbände regeln Streitigkeiten gern en famille"
LTO: Warum hat die FIFA damals einen Zwangsabstieg als Strafe verhängt? Hätte sie den Schiedsspruch gegen den SV Wilhelmshaven nicht einfach mithilfe der staatlichen Gerichte vollstrecken lassen können?
Schneider: Die von der FIFA oder allgemein von Sportverbänden im Rahmen ihrer Autonomie aufgestellten Regeln ergeben eigentlich nur dann Sinn, wenn Verstöße sanktioniert und Sanktionen vollstreckt werden können. Tatsächlich hätte der Schiedsspruch des CAS, welches als internationales ordentliches Schiedsgericht anerkannt ist, in Deutschland mithilfe der staatlichen Gerichte vollstreckt werden können. Das hat der BGH während der Verhandlung in einer Randbemerkung bestätigt. Sportverbände regeln ihre Angelegenheiten aber lieber autonom und gewissermaßen en famille.
LTO: Wie hat der BGH die Sache nun entschieden?
Schneider: Nach einer sehr ausführlichen Sitzung hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine Entscheidung auf den 27. September terminiert.
LTO: Wie lief die Verhandlung denn ab, welche Argumente wurden vorgetragen?
Schneider: Es war zu erkennen, dass der Vertreter des beklagten NFV deutlich mehr zu kämpfen hatte. Die einführenden Worte des Senats und die später an den Bevollmächtigten des Verbandes gerichteten Fragen zeugten von einigen Zweifeln des BGH an einer wirksamen Rechtsgrundlage für den vom Landesverband verhängten Zwangsabstieg. Der Vertreter des Verbands hat die seinerzeit gültigen Regularien als ausreichende Rechtsgrundlage erachtet, zumal für einen Verein, der am internationalen Transfersystem teilnimmt und italienische Fußballer verpflichtet, die in Argentinien ausgebildet worden sind.
Der Vertreter des SV Wilhelmshaven sah dies naturgemäß anders. Selbst wenn der Verein als Mitglied des NFV allgemein die Grundsätze der FIFA anerkennen würde, hätte klar und deutlich geregelt sein müssen, was es mit der Ausbildungsentschädigung auf sich habe. Das ergebe sich nicht hinreichend aus der maßgeblichen Satzung des NFV, und nur hierauf komme es an. Der Verein sei nur Mitglied des NFV, nicht aber des DFB und erst recht nicht der FIFA.
2/2: "Pauschale Ausbildungsentschädigungen laut BGH unwirksam"
LTO: Hat sich an den Regularien der FIFA und der Rechtsprechung des CAS zu Ausbildungsentschädigungen inzwischen etwas geändert, oder stehen beide noch auf demselben Standpunkt wie zu Beginn des Streits?
Schneider: Jein, an den Standpunkten hat sich eigentlich nichts geändert. Die Entscheidung eines deutschen (Oberlandes-)Gerichts gegen die Regeln der "Ausbildungsentschädigung" hat bislang jedenfalls keine sichtbare Unruhe beim Weltfußballverband verursacht.
Anders aber beim NFV. Dieser hat seine Satzung angepasst und letztlich das klargestellt, was der BGH bei der für den Rechtsstreit maßgeblichen alten Satzung zu vermissen scheint, nämlich eine wirksame Rechtsgrundlage für den Vollzug von FIFA-Entscheidungen.
LTO: Wird sich etwas ändern müssen, wenn der BGH dem SV Recht gibt? Wie würde dieser Widerspruch zwischen internationalem Sportrecht und nationalem deutschem Recht dann aufgelöst?
Schneider: Das ist eine spannende Frage. In jedem Fall müssen die Sportverbände klare Rechtsgrundlagen schaffen, die auch von kleinen Vereinen in ihrer Tragweite verstanden werden müssen. Das gilt auch für die Regelung von Ausbildungsentschädigungen. Die Ausbildung von Sportlern ist die Basis allen Erfolgs. Das muss, wenn nicht belohnt, so doch entschädigt werden. Regelungen müssen aber mit den geltenden nationalen und internationalen Grundsätzen übereinstimmen und von allen Beteiligten bis in die Provinz nachvollzogen und verstanden werden.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH verstoßen pauschale Ausbildungsentschädigungen im Fußball gegen die Berufsfreiheit. Der Europäische Gerichtshof steht solchen Entschädigungen ebenfalls skeptisch gegenüber. Problematisch ist letztlich die systematische Festlegung von pauschalen Entschädigungen. Diese können den Einzelnen daran hindern, Freizügigkeitsrechte auszuüben. Kann ein Verein Ausbildungskosten konkret nachweisen, mag ihm eine Entschädigung zustehen.
Das FIFA-System sieht indes Pauschalen vor. Diese sind zwar nach bestimmten Kriterien gestaffelt, maßgeblich sind aber nicht tatsächlich nachgewiesene Ausbildungskosten der ausbildenden Vereine, sondern ersparte Kosten des aufnehmenden Vereins. Das System der Ausbildungsentschädigung steht auch deshalb möglicherweise im Widerspruch zur Arbeitnehmerfreizügigkeit im Sinne des Artikels 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).
Um den Fußball und die Ausbildung von qualifiziertem Nachwuchs wird man sich aber keine Sorgen machen müssen. Irgendwann gelingt den Sportverbänden eine rechtlich haltbare Regelung von Ausbildungsentschädigungen. Allerdings braucht es mutige Kläger, wie den SV Wilhelmshaven, die sich den geltenden Regularien nicht beugen und so letztlich für Rechtsicherheit im Sport sorgen.
Damit müssen die großen Sportverbände seit jeher leben. Viele werden sich an den Fußballer Jean-Marc Bosman erinnern, der letztlich vor dem Europäischen Gerichtshof eine Änderung des Transferrechtes erstritt.
Dr. Markus H. Schneider ist Partner in der Kanzlei Dr. Schneider und Partner in Karlsruhe. Er promovierte zu einem sportrechtlichen Thema und ist Lehrbeauftragter für Sportrecht an der Universität Karlsruhe (KIT).
Dr. Markus H. Schneider, Streit um Ausbildungsentschädigungen beim SV Wilhelmshaven: "BGH hat offenbar Zweifel am Zwangsabstieg" . In: Legal Tribune Online, 05.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19893/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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