Angeblich können sich die Angehörigen der Fächer Jura und BWL nicht leiden. Den einen ist die Jurisprudenz zu geisteswissenschaftlich, den anderen sind die Wirtschaftswissenschaften zu sehr mathematisch-formalisiert. Einen Schlüssel zum wirtschaftswissenschaftlichen Wissensschatz bietet jetzt das Lehrbuch "Ökonomische Methoden im Recht". Eine Rezension von Martin Rath.
Folgt man einer etwas intellektuellenfeindlichen Sicht der Dinge, mögen sich Vertreter der Rechtswissenschaften und Vertreter der Wirtschaftswissenschaften nur deshalb nicht, weil sie sich bis ans Ende ihrer Tage der Hahnenkämpfe erinnern, die sie in den Lokalitäten des studentischen Nachtlebens auszufechten hatten.
Etwas freundlicher dürfte es sein, zwischen Juristen und Ökonomen schlichte Kommunikationsprobleme zu diagnostizieren. Unschuldig dürften dann beide Seiten nicht sein. Rechtswissenschaftler unterscheiden sich von anderen Menschen durch ihre Wissenschaftstradition, in der sie die nicht immer sehr anspruchsvollen Inhalte juristischer Dogmatik mit hermeneutischer Feinmotorik bearbeiten. Der Blick in einen beliebigen Großkommentar, zum Beispiel zum Bereicherungsrecht, mag als Beleg genügen.
Auf der anderen Seite spricht die Wirtschaftswissenschaft gerne in einer höchst formalisierten und mathematisierten Sprache – und darum vor allem mit sich selbst. Ökonomen könnten den – hier einmal erfeulich grobmotorischen – Versuch machen, den Juristen zum Beispiel zu erklären, worum es im Bereicherungsrecht "eigentlich" geht.
Leider sparen sich Wirtschaftswissenschaftler ihre Grobmotorik ja meist für wirtschaftspolitische Sonntagspredigten auf.
Lehrbücher zur ökonomischen Analyse des Rechts
Das umfangreiche "Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts" von Hans-Bernd Schäfer und Claus Ott, das derzeit in der 4. Auflage vorliegt, dürfte in der Nische rechtsökonomisch interessierter Juristen gut etabliert sein.
Einen eleganten Versuch, die wirtschaftswissenschaftliche Motorik für eine vielleicht noch größere Zahl interessierter Juristen griffig zu machen, bietet nun das didaktisch-knappe Lehrbuch "Ökonomische Methoden im Recht", herausgebracht von einem Autorenkreis rund um das Bonner Max-Planck-Institut für Gemeinschaftsgüter. Es gibt zu den schönsten Hoffnungen Anlass, dass sich die Disziplinen nicht länger auf Hahnenkampfniveau nähern werden.
Als bevorzugte Einsatzgebiete ökonomischer Methoden nennen die Herausgeber in ihrer Einleitung namentlich die Spielräume der teleologischen Auslegung und der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei den Grundrechten.
Das Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichts dient ihnen hier als Beispiel für Möglichkeiten und Grenzen der ökonomischen Erkenntniswege.
Die Verfassungsrichter hatten sich 1958 bekanntlich mit der Frage zu befassen, welche Mittel dem Gesetzgeber und der Verwaltung recht sein durften, um das Gemeinschaftsgut "Volksgesundheit" vor den Nebeneffekten starker Konkurrenz einer unlimitierten Apothekerschaft zu schützen.
Anders als es die rein dogmatische Methode kann (und will), verspricht die ökonomische Analyse an dieser Stelle einen Erkenntnisgewinn. Um die "Volksgesundheit" vor unerwünschten Effekten der Konkurrenz unter Apothekern zu schützen, würde sie alternative Mittel staatlichen Eingriffs diskutieren, deren Kosten zu beziffern versuchen – ja, überhaupt erst ermitteln zu wollen, wie die damals beschworene Gefahr eines Kollapses der Medikamentenversorgung überhaupt zu bewerten ist.
Eine verbindliche normative Auskunft darüber geben zu können, wie zu entscheiden ist, beansprucht die ökonomische Analyse heute nicht mehr – anders, als sie es in ihren wilden Jugendjahren der US-amerikanischen "Chicago School" noch tat.
Methodische Durchführung, inhaltlicher Wert
Nur von der Seitenzahl her erinnert "Ökonomische Methoden im Recht" an eine Aufsatzsammlung, der Anspruch ist jedoch der eines bündigen Lehrbuches.
Zunächst führen die Autoren durch knappe Kapitel, in denen sie erläutern, welche Erkenntniszugänge die ökonomische Analyse der Jurisprudenz bietet und legen die Anfangsgründe der Mikroökonomie offen.
Für manchen juristisch gebildeten Leser wird das anschließende Kapitel über die Spieltheorie seinen Erkenntnistrieb in Sachen Ökonomie auf die Probe stellen. Dem Autor dieses Abschnitts scheint indes sehr daran gelegen zu sein, dem engagierten Laien einen Weg in die Wunderwelt der Spieltheorie zu weisen – er verzichtet weitgehend auf eine abstrakt-mathematische Darstellungsweise.
Mit Kapiteln zur ökonomischen Vertragstheorie, zur Public Choice und Social Choice Theory mag sich dann wieder leichterer Erkenntnisgewinn einbringen lassen. Die Zeiten, in denen sich Juristen wenigstens im Studium intensiv zum Beispiel mit der Frage auseinandersetzten, was ein Vertrag "eigentlich" ist, dürften ja mit der Naturrechtstradition ins akademische Archiv geweht sein. Dank der ökonomischen Methoden haben nun Juristen Gelegenheit, bei dieser Frage neu anzusetzen – ohne sich dabei in rechtsphilosophisch verstaubten Spinnweben zu verstricken.
Wissenschaft statt Verschwörungsdenken
Nicht genug danken kann man wohl jedem Lehrbuchautoren – gleich für welche Alters- oder Berufsgruppe er schreibt –, der sich um die Verbreitung der Public Choice Theorie bemüht.
Realistischer als es wohl manche fromme Staats(rechts)lehre nahelegt, lehren die Grundannahmen der Public Choice Theory beispielsweise, die Bewegungen auf der politischen Tanzfläche als letztlich vom Egoismus der Akteure angetrieben zu betrachten. Entscheidungen auf dem politischen oder juristischen Parkett werden also nicht von "wohlwollenden" oder gar "allwissenden" Akteuren getroffen.
Es wäre zu wünschen, dass diese Perspektive am Anfang auch jeder rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung stünde, insbesondere, was das Staatsrecht betrifft. Würde damit der populären, auch unter Journalisten beliebten Unkerei des platten "cui bono" – "Wem nützt es?" die verschwörungstheoretische Kraft entzogen, es wäre viel gewonnen.
Sehr zu loben ist auch das abschließende Kapitel des Lehrbuchs, das sich empirischen Methoden widmet. Es bietet eine kleine Vorschule der Statistik und des sozialwissenschaftlichen Forschungsdesigns.
Interdisziplinär? – Prüfen wir hier nicht!
Von seinem Verlag wird das vorliegende Buch mit der Aussage angepriesen, dass es auch für Juristen immer wichtiger werde, interdisziplinär arbeiten zu können. Soweit "Ökonomische Methoden im Recht" dem wirtschaftswissenschaftlich interessierten Juristen dazu erste analytische Werkzeuge an die Hand gibt, soll man sich über das Stichwort "interdisziplinär" nicht lustig machen.
Doch ganz kommt man um den kurzen Witz des Philosophen Hans Blumenberg nicht herum, der einmal die böse Frage stellte, was "Interdisziplinarität" mit "der Theologie" gemeinsam habe – um selbst zu antworten: Weder interdisziplinäre noch theologische Aussagen könnten Gegenstand einer seriösen akademischen Prüfung sein.
Zwar könnte man sich darauf herausreden, dass die meisten Juristen hierzulande ja keine seriöse akademische Prüfung absolvierten, sondern das Staatsexamen. Für ein verdienstvolles neues Lehrbuch aus der rechtsökonomischen Nische bedeutet das aber leider nur um so mehr: Es wird um weitere Verbreitung im "Betrieb" zu kämpfen haben.
Emanuel V. Towfigh und Niels Petersen: "Ökonomische Methoden im Recht. Eine Einführung für Juristen". Unter Mitarbeit von Markus Englerth, Sebastian J. Goerg, Stefan Magen und Andreas Niklisch, Tübingen (Mohr Siebeck) 2010, 257 Seiten, 24 Euro
Martin Rath, freier Journalist und Lektor, Köln.
Martin Rath, "Ökonomische Methoden im Recht" von Towfigh/Petersen: . In: Legal Tribune Online, 12.12.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2134 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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