Wenig Neues, viel Umstrittenes. Was das neue Polizeigesetz in Bayern bringen soll und auf was es besser verzichtet hätte, erläutert Kurt Graulich.
Wirklich neu ist wenig an dem Entwurf zum Polizeiaufgabengesetz in Bayern – dort wo es Neuland betritt, trifft es besonders strittige Änderungen. Das Meiste was in Münchener Amtsstuben entworfen und in den Sitzungssälen des bayrischen Landtags erörtert wurde, hat man in Berlin schon einmal gehört.
Zwar liegt die Gesetzgebungskompetenz für das Polizeirecht grundsätzlich bei den Ländern. Der Bund hat sie nur in verfassungsrechtlich bestimmten Fällen. Seit 2006 verschafft ihm das Grundgesetz eine legislatorische Zuständigkeit zur "Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt". Daraufhin hat er 2008 das Bundeskriminalamtsgesetz (BKAG) zu dem am weitesten entwickelten Polizeigesetz in Deutschland gemacht.
Das Gesetz ist insbesondere eine Antwort auf die vielfältigen Facetten einer zunehmend digitalisierten Kommunikation eingestellt. Oftmals hat der Bund rechtliche Überwachungsinstitute im Polizeirecht sogar eher normiert als in der Strafprozessordnung (StPO).
Bayern läuft mit seiner Novelle dem Bund hinterher
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die im BKAG enthaltenen heimlichen Überwachungsbefugnisse in einem Urteil vom 20. April 2016 überprüft und umfangreiche Verstöße gegen den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz festgestellt.
Dazu hat es – binnen zwei Jahren - viele Nachbesserungen verlangt, auf die der Bund mit einer Novelle des BKAG im Sommer 2017 reagiert hat, sie aber erst im Mai 2018 in Kraft treten lässt. Das Karlsruher Urteil gilt zwar unmittelbar nur für den Bund, konnte aber von den Ländern nicht ignoriert werden, soweit sie gleichartige Regelungen geschaffen hatten. Dazu zählte auch Bayern.
Für einen rechtspolitischen Wettstreit eignet sich diese Situation schwerlich, denn der Bund als der zuerst Gescholtene musste naheliegender Weise als erster reagieren und hat damit zwangsläufig die Nase vorn. Aus diesen – nicht zu vertretenden Gründen – läuft Bayern mit seiner Novelle zum PAG den vom Bund vorgegebenen Standards hinterher - und bietet Angriffsfläche für Kritik.
Einführung "Drohende Gefahr" als Trotzreaktion auf Entscheidung aus Karlsruhe
Im Zentrum steht dabei der Begriff der "drohenden Gefahr", der den Ansatzpunkt für polizeiliche Maßnahmen deutlich nach vorne verlagert.
Wer einer Bedrohungslage vor dem Beginn einer "konkreten Gefahr" begegnen will, bedarf dafür – über die sog. Generalermächtigung hinaus - besonderer Befugnisse; und dafür gibt es sicher Bedarfsfälle. Diese Erkenntnis aus dem BKAG-Urteil des BVerfG hat den bayerischen Gesetzgeber mit der Novelle des PAG von 2017 und nunmehr mit der von 2018 aber zu einer inflationären Verwendung der dafür ersonnenen Kategorie der "drohenden Gefahr" geführt.
Die dahinter erkennbare Trotzreaktion auf die "Entscheidung aus Karlsruhe" kann nur politisch bewertet werden. Materiell-rechtlich geht damit die Trennschärfe zur Abwehr konkreter Gefahren verloren und formell diejenige zu nachrichtendienstlichen Kompetenzen. Der Sicherheitsverwaltung insgesamt wird damit kein Gefallen getan.
Beschlagnahme von Post hat bereits Vorbild auf Bundesebene
Auch bei der Beschlagnahme von Postsendungen orientiert sich der Entwurf an Vorarbeiten auf Bundesebene. Lange Zeit war der Satz richtig: Die allgemeinen Polizeigesetze legitimieren nicht zu Eingriffen in das Brief- und Postgeheimnis. Die Verhältnisse haben sich aber geändert.
Denn seit der Novellierung des BKAG im Jahr 2017 gehört zu den – verdeckten - polizeilichen Befugnissen auch die Postbeschlagnahme in § 50 BKAG, die wiederum den §§ 99 und 100 StPO folgt. Zu diesen bundesrechtlichen Befugnissen schließt nunmehr Art. 35 PAG-E auf.
Die Polizei kann nach der nunmehr geschaffenen Befugnis auch in Bayern ohne Wissen der betroffenen Person zu präventiven Zwecken Postsendungen und Telegramme beschlagnahmen, die sich im Gewahrsam von Personen oder Unternehmen befinden, die geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken und die an eine Person gerichtet sind, welche bestimmte Störervoraussetzungen erfüllt.
Gar nicht so unabhängige Zentrale Datenprüfstelle
Um den strengen verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Kernbereichsschutz zu genügen, führt der Entwurf eine Zentrale Datenprüfstelle ein. Dort sollen wie bei einer Art "Daten-Treuhand" Spezialisten entscheiden, ob Daten die etwa durch Online-Durchsuchung oder durch "Quellen-TKÜ" erlangt wurden, den Kernbereich des Privatlebens betreffen und deshalb Ermittler erst gar nicht darauf zugreifen dürfen.
Es ist zu befürchten, dass die Konstruktion einer Zentralen Datenprüfstelle in Art. 13 ff. PAG-E die gebotene unverzügliche Einschaltung eines Gerichts bei der Gefahr von Kernbereichsverletzungen unangemessen verzögert.
Das neue BKAG geht daher einen anderen Weg: Das BVerfG macht in seinem Urteil vom 20. April 2016 detaillierte Vorgaben für den Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung und weitet den Richtervorbehalt aus.
Insbesondere aus der Verpflichtung, sämtliche Erkenntnisse aus Onlinedurchsuchungen und Wohnraumüberwachungen dem anordnenden Gericht vorzulegen, muss sichergestellt werden, dass Daten unverzüglich dem anordnenden Gericht vorgelegt werden, damit dieses unverzüglich über die Verwertbarkeit oder Löschung der Daten entscheiden kann (BT-Drs. 18/11163 S. 88).
Die Unabhängigkeit der Zentralen Datenprüfstelle ist im Übrigen schwach ausgeprägt. Sie betrifft im Wesentlichen nur den Leiter der Einrichtung. Soweit die weiteren Bediensteten an Entscheidungen beteiligt sind, fehlt ihnen die Unabhängigkeit weitestgehend. Daten aus dem Kernbereich sind höchst diskret. Die Bewertung eines Datums als dem Kernbereich zugehörig folgt keinen polizeifachlichen, sondern allgemein-menschlichen Kriterien.
Es erscheint demgegenüber sachwidrig, wenn die Zentrale Datenprüfstelle nach Art. 13 Abs. 4 Satz 1 PAG-E "sich zur Aufgabenerfüllung der Unterstützung von Polizeidienststellen bedienen" kann. Hinzu kommt, dass die Diskretionsverletzung durch die Beteiligung weiterer Stellen und Personen größer wird.
Einsatz besonderer Sprengmittel wie Handgranaten und Maschinengewehre
Bei Maschinengewehren und Handgranaten handelt es sich um Kriegswaffen, die nicht für die Gefahrenabwehr geschaffen wurden. Dies verkennt die vorgesehene Regelung in Art. 86 Abs. 1 PAG-E. Bereits die ältere bundesgesetzliche Regelung in § 14 UZwG trifft deshalb auf größte Bedenken, die in der Literatur geäußert wurden.
Es erscheint unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten bedenklich, den Einsatz von Explosivmitteln pauschal an die gleichen Voraussetzungen zu knüpfen wie den Einsatz von Schusswaffen. Denn die durch den Einsatz von Explosivmitteln für den Betroffenen und Unbeteiligte entstehende Gefahrenlage ist jedenfalls schon deswegen eine andere, weil Explosivmittel nicht im gleichen Maße zielgerichtet eingesetzt werden können wie Schusswaffen.
Der Gefahrenabwehrauftrag der Polizei dürfte in solchen Fällen regelmäßig überschritten sein. Der Bezugsvorfall "Berliner Weihnachtsmarkt 2016" kann weder als Referenz für den Einsatz von Maschinenwaffen noch denjenigen von Explosivmitteln herangezogen werden, weil der – hypothetisch – bekannte terroristische Einsatz eines LKW naheliegender Weise mit anderen Mitteln abzuwehren gewesen wäre.
Der Autor Prof. Dr. Kurt Graulich ist Richter am Bundesverwaltungsgericht a.D., Lehrbeauftragter an der Humboldt-Universität zu Berlin und wurde im Juli 2015 von der Bundesregierung zum NSA-Sonderermittler bestimmt.
Entwurf zum Polizeigesetz: . In: Legal Tribune Online, 26.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28291 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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