Kritische Stimmen meinen, die Internetenquete habe bisher noch nicht viel erreicht. Das sehe ich anders. Für gewöhnlich haben Enquete-Kommissionen den Ruf eines besseren Aktentigers: bürokratisch, viel Papierkram und wenig Öffentlichkeit. Die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" hat es in den ersten sechs Monaten ihrer Existenz im Parlament geschafft, dieses Vorurteil eindrucksvoll zu widerlegen. Vor allem aber haben die Mitglieder der Internetenquete Arbeitsstrukturen im Deutschen Bundestag revolutioniert.
Wer im Bundestag hatte vorher schon einmal etwas von einem etherpad gehört? Von einem Tool der kollaborativen Zusammenarbeit, das das gemeinsame Arbeiten von verschiedenen Personen an ganz verschiedenen Orten an einem Dokument ermöglicht? Ideal geeignet für Projektgruppen, vor allem dann, wenn die Mitglieder naturgemäß nicht an einem Ort sein können. Dass dieses Tool zum ersten Mal in einem deutschen Parlament ausprobiert werden kann, ist der Experimentierbereitschaft der Mitglieder der Enquete geschuldet.
Nicht ganz so neu, aber doch im parlamentarischen Einsatz ungewöhnlich, ist der Einsatz von Mailinglisten, um die Flut von Informationen und Nachrichten zu bündeln. Gilt es doch, Mitteilungen innerhalb der Fraktionen, zwischen den Mitgliedern der Projektgruppen und der Gesamtenquete sowie Informationen vom Enquete-Sekretariat zielgerichtet zu verbreiten, ohne dass alle in einer Welle von Informationen untergehen.
Erfrischend anders ist darüber hinaus die sehr offene und transparente Berichterstattung der Mitglieder der Kommission über Twitter, Facebook, Blogs und Youtube. Es wird vor, während und nach den Sitzungen gepostet, berichtet und kommentiert. Der Hashtag #eidg ist gerade an Enquete-Tagen im Ranking der meist gesuchten deutschen Wörter bei Twitter ganz weit oben. Die Bundestagsverwaltung hat selbst einen eigenen Twitter-Kanal eingerichtet – jeder der die Strukturen hier auch nur ansatzweise kennt, wird dies als kleine Revolution verstehen. Über das eigene Forum der Enquete kommt der Bürger als "18. Sachverständiger" mit Fragen zu Wort, die von einer Online-Redakteurin in öffentlichen Anhörungen den Experten gestellt werden. Die virtuelle Welt sitzt real mit am Tisch!
Weltweit neu und in gewisser Hinsicht revolutionär ist aber vor allem der Beschluss der Mitglieder, ein Partizipationstool nach dem Vorbild von adhocracy einzusetzen. Damit richtet sich die Enquete direkt an die Öffentlichkeit und will interessierte Bürgerinnen und Bürger noch besser an der Arbeit der Kommission beteiligen. Die Netzgemeinde soll Sachverstand, Meinungen und Vorschläge zu den einzelnen Arbeitsfeldern einbringen können, vor allem aber online Texte bearbeiten und kommentieren, Vorschläge bewerten und an Abstimmungen teilnehmen. Damit kommt die Enquete ihrem im Einsetzungsantrag formulierten Wunsch nach, "die Öffentlichkeit in besonderem Maße an der Arbeit der Enquete-Kommission einzubeziehen".
Dieses sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass sich hinter den Kulissen die Internetenquete viel mehr bewegt, als man außen vielleicht auf den ersten Blick wahrnimmt. Klar - die Enquete-Kommission ist in vielerlei Hinsicht auch eine Art "Testballon" für andere Gremien und die parlamentarische Arbeit insgesamt. Schon jetzt zeigt sich, dass nicht jedes technische Tool sich auch in der Praxis bewährt. Es macht sich auch bemerkbar, dass auch hier der Umgang mit dem Medium allein nicht Selbstzweck sein kann. Dennoch kann man schon jetzt sagen: Die Internetenquete ist der Revolutionär unter den Gremien des Deutschen Bundestages.
netEnquete: . In: Legal Tribune Online, 26.11.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2024 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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