Weil Radio Dreyeckland einen Link zu der verbotenen Plattform linksunten.indymedia setzte, durchsuchte die Staatsanwaltschaft Redaktionsräume und Privatwohnungen. Das LG Karlsruhe entschied nun: Das hat die Rundfunkfreiheit verletzt.
Im Januar durchsuchte die Staatsanwaltschaft die Redaktionsräume des Radios sowie private Wohnungen von Mitarbeitenden und beschlagnahmte dabei unter anderem Laptops. Hintergrund war, dass Radio Dreyeckland (RDL) in einem Online-Artikel die Archivseite der 2017 verbotenen Internetplattform linksunten.indymedia verlinkt hatte. Die Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe sah darin eine strafbare Unterstützung einer verbotenen Vereinigung und damit einen Verstoß gegen das Vereinigungsverbot gemäß § 85 Strafgesetzbuch (StGB).
Dagegen wehrten sich die zwei betroffenen Redakteure und der Sender als Drittbetroffener. Unterstützt durch die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) legten sie Beschwerde ein. Vor dem zuständigen Landgericht (LG) Karlsruhe bekam RDL nun Recht (Az. 5 Qs 1/23). Das Gericht hat festgestellt, dass drei Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts (AG) Karlsruhe (Ermittlungsrichter) rechtswidrig sind. Außerdem war auch die Beschlagnahme von Daten rechtswidrig.
Zum Hintergrund: Eine Beschwerde nach § 304 ff. Strafprozessordnung (StPO) ist grundsätzlich gegen Beschlüsse von Gerichten, beispielsweise Durchsuchungsbeschlüsse, statthaft. Auf die Beschwerde hin prüft das Gericht die Tatsachengrundlage und die richtige Rechtsanwendung. Zuständiges Beschwerdegericht im Sinne des § 306 Abs. 2 S. 2 StPO ist bei Verfügungen des Ermittlungsrichters am Amtsgericht das Landgericht gemäß §73 GVG.
Beschlüsse unzureichend begründet und Maßnahme unverhältnismäßig
In dem Beschluss des LG, der LTO vorliegt, stützt das Gericht seine Entscheidung im Wesentlichen auf zwei Aspekte: Einerseits habe das Amtsgericht die Voraussetzungen der Durchsuchungen als Ermittlungsmaßnahme nicht ausreichend geprüft. Andererseits seien die Ermittlungsmaßnahmen auch nicht verhältnismäßig gewesen.
Das LG führt aus, dass die Durchsuchungsbeschlüsse hinsichtlich des Prüfumfangs und der Darstellung nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprächen. Denn das AG habe nicht ausreichend geprüft und dargelegt, ob die verbotene Vereinigung, die RDL laut Vorwurf unterstützt haben soll, tatsächlich bestand. Das LG Karlsruhe erklärt in seinem Beschluss im Detail, dass wegen des hohen Schutzguts der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ein Ermittlungsrichter die Eingriffsvoraussetzungen für eine Durchsuchung genau prüfen muss. Dem AG Karlsruhe attestiert das Gericht in dieser Hinsicht aber gleich mehrere Begründungsmängel.
Die Unverhältnismäßigkeit der Dursuchungen als Maßnahme beruht laut LG auf einer unzureichenden Berücksichtigung der von Art. 5 Abs. 1 S.2 GG gewährleisteten Presse-und Rundfunkfreiheit. Insbesondere die Einschüchterungseffekte hätten vom Amtsgericht in der Einzelfallabwägung mitbedacht werden müssen. Laut LG wäre eine erneute Vernehmung ein milderes Mittel im Vergleich zu der Durchsuchung gewesen.
Das LG betont, dass eine Durchsuchung bei einem Rundfunksender nicht nur die Sendetätigkeit beeinträchtigt, sondern auch das Vertrauensverhältnis zwischen Medienanstalt und Informanten stört, die eine Aufdeckung ihrer Identität fürchten. Zudem könne die Bereitschaft beeinträchtigt werden, über staatliche Angelegenheiten kritisch zu berichten, und zwar auch bei Redaktionsmitarbeitern, die nicht an der Tat beteiligt sind. All diese mittelbaren Folgen einer uneingeschränkten Durchsuchung müssten berücksichtigt werden, so das Gericht, seien es im vorliegen Fall aber gerade nicht in Betracht gezogen worden.
Anklage gegen Redakteur trotzdem zugelassen
"Bereits als die Polizei bei mir in der Wohnung stand, war ich der festen Überzeugung, dass diese Aktion nicht rechtmäßig sein kann. Gut, dass das nun endlich auch gerichtlich festgestellt wurde", freut sich Fabian Kienert, einer von zwei Redakteuren bei RDL, deren Wohnungen durchsucht worden waren.
Der aktuelle Sieg vor Gericht ändert aber nichts an dem Hauptverfahren: Die Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegen ihn wurde im Juni vom Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart doch zugelassen, nachdem das LG Karsruhe die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hatte. Diesen LG-Beschluss hat Arne Semsrott von "FragdenStaat" – entgegen der Strafnorm des § 353d StGB, der Veröffentlichungen von Gerichtsdokumenten aus laufenden Strafverfahren verbietet – veröffentlicht. Nach einer erfolgreichen Beschwerde der Staatsanwaltschaft dagegen vor dem OLG muss sich Kienert nun doch vor Gericht verantworten.
Im Hauptverfahren wird das LG entscheiden müssen, ob sich der angeklagte Redakteur strafbar gemacht hat. Wie die GFF berichtet, ist dafür entscheidend, ob das Setzen eines Links im Rahmen eines Presseberichts überhaupt eine strafbare Unterstützungshandlung darstellen kann. Vor Gericht werden die Journalisten und RDL durch die Strafverteidiger:innen Angela Furmaniak, Dr. Lukas Theune und Sven Adam vertreten.
Die GFF sieht laut ihrer Presseerklärung das Verfahren gegen Radio Dreyeckland als ein weiteres Beispiel dafür, dass Staatsanwaltschaften zurzeit besonders scharf gegen vermeintlich linke Aktivistinnen und Aktivisten vorgingen und dabei immer wieder die Pressefreiheit verletzten.
Erfolg vor dem LG Karlsruhe: . In: Legal Tribune Online, 29.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52580 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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