Bezahlt man bei einem Dating-Portal für das Bereitstellen der Infrastruktur oder für die digitalen Inhalte? Das LG Berlin hat sich für Letzteres entschieden – mit unhaltbaren Folgen für das Widerrufsrecht von Verbrauchern, meint Thomas Rader.
Verbrauchern steht beim Kauf im Internet ein Widerrufsrecht zu. In dieser Form zumindest dürfte das vom Gesetzgeber für Fernabsatzverträge in § 312g Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) normierte Widerrufsrecht für Verbraucher beinahe jedem bekannt sein. Von den wesentlichen Ausnahmen, die das Gesetz in § 312g Abs. 2 BGB aufzählt, dürften die meisten Verbraucher wohl vor allem den Ausschluss bei auf Kundenwunsch individuell zugeschnittenen Waren und bei Hygieneartikeln kennen.
Folgt man der Auffassung des Landgerichts (LG) Berlin (Urt. v. 30.06.2016, Az. 52 O 340/15), haben Verbraucher sich nunmehr auf eine weitere, praktisch wichtige Ausnahme einzustellen: Die Mitgliedschaft bei Online-Flirt bzw. Online-Dating Portalen.
Erlöschen des Widerrufsrechts bei Online-Dating-Portalen
Grund zur Besorgnis über eine Entwertung des Widerrufsrechts bietet das Urteil des LG Berlin deshalb, weil es nutzergenerierte Inhalte wie Profile, Fotos und Nachrichten als „digitale Inhalte“ im Sinne des Gesetzes wertete.
Für Verträge über die Lieferung digitaler Inhalte hat der Gesetzgeber mit § 356 Abs. 5 BGB Unternehmern die Möglichkeit eröffnet, das Widerrufsrecht des Verbrauchers zum Erlöschen zu bringen. Liegen digitale Inhalte im Sinne dieser Vorschrift vor und hat der Unternehmer mit der Ausführung des Vertrags begonnen, erlischt das Widerrufsrecht nach § 356 Abs. 5 BGB, wenn
1. der Verbraucher ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer mit der Ausführung des Vertrags vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt, und
2. der Verbraucher seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass er durch seine Zustimmung mit Beginn der Ausführung des Vertrags sein Widerrufsrecht verliert.
Nach Einordnung der nutzergenerierten Inhalte als digitale Inhalte im Sinne des Gesetzes durch das Gericht haben Betreiber von Online-Dating-Portalen es zukünftig in der Hand, ihr Angebot als Lieferung von digitalen Inhalten zu deklarieren. Unter den gesetzlichen Voraussetzungen können sie somit ein Erlöschen des Widerrufsrechts und eine - unter Umständen langfristige - Bindung des Verbrauchers herbeiführen.
Wenn auch die Freude der Dating-Portal-Betreiber über dieses Urteil groß sein dürfte, überzeugt die Entscheidung nicht. Das Gericht lässt Sinn und Zweck des § 356 Abs. 5 BGB unberücksichtigt und verkennt, wen der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift vor welchen Folgen hat schützen wollen.
Digitale Inhalte i.S.d. § 356 Abs. 5 BGB und der Schutz von Unternehmern vor Missbrauch des Widerrufsrechts
Der Begriff "digitale Inhalte" wird in § 312f Abs. 3 BGB legaldefiniert. Danach handelt es sich bei digitalen Inhalten um "nicht auf einem körperlichen Datenträger befindliche Daten, die in digitaler Form hergestellt und bereitgestellt werden". Artikel 2 Nr. 11 der Richtlinie 2011/83/EU (Verbraucherrechte-Richtlinie) definiert digitale Inhalte als "Daten, die in digitaler Form hergestellt und bereitgestellt werden". Dabei ergibt sich aus Erwägungsgrund (19) der Richtlinie, dass der Begriff "Digitale Inhalte" Daten bezeichnet,
"die in digitaler Form hergestellt und bereitgestellt werden, wie etwa Computerprogramme, Anwendungen (Apps), Spiele, Musik, Videos oder Texte, unabhängig davon, ob auf sie durch Herunterladen oder Herunterladen in Echtzeit (Streaming), von einem körperlichen Datenträger oder in sonstiger Weise zugegriffen wird."
Den genannten Beispielen nach ging es dem Gesetzgeber beim Ausschluss des Widerrufsrechts für digitale Inhalte offensichtlich darum, Unternehmer vor Missbrauch zu schützen, der sich daraus ergeben kann, dass beim Kauf von z.B. Software, Musik, eBooks oder Videos die Leistung vom Unternehmer häufig durch die einmalige Zurverfügungstellung des jeweiligen Downloads vollständig erbracht worden ist. Lädt der Verbraucher den betreffenden Inhalt herunter und erklärt anschließend den Widerruf, hat der Unternehmer in der Regel keinen Einfluss mehr darauf, ob der Verbraucher den heruntergeladenen Inhalt von seiner Festplatte löscht, oder trotz seines Widerrufs einfach weiter verwendet.
2/2: Lieferung Digitale Inhalte vs. Dienstleistung
Dieselbe Problematik stellt sich beim Online-Dating offenkundig nicht. Man kann die Inhalte eines Dating Portals, auf die im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses zugegriffen wird, nicht in gleicher Weise herunterladen, wie man einen Film oder ein Album herunterladen kann. Eine Speicherung von Inhalten findet regelmäßig nur technisch bedingt und vorübergehend im – flüchtigen – Cache des Verbraucher-Computers statt. Die geschuldete Leistung der Betreiber besteht dementsprechend auch nicht etwa in der einmaligen Bereitstellung eines Downloads, sondern darin, die Erreichbarkeit des Portals über die gesamte Vertragslaufzeit zu gewährleisten und die entsprechende Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, mit der die Nutzer eigenständig Kontakte knüpfen können. Dies stellt keine Lieferung digitaler Inhalte, sondern eine Dienstleistung dar.
Dieser Dienstleistungscharakter wird auch deutlich, wenn man sich vorstellt, dass sämtliche Nutzer eines Dating-Portals zum gleichen Zeitpunkt ihre Accounts löschen würden, das Portal in Bezug auf vorhandene Nutzer und den von ihnen generierten Text- und Bildcontent – bis zur Neuanmeldung anderer Nutzer – also vollkommen inhaltslos wäre. Bei einer Einordnung der Leistung des Portalbetreibers als Vertrag über die Lieferung digitaler Inhalte, würde in diesem Fall auch der Betreiber vor ein Problem gestellt: Er könnte nicht mehr liefern, was nicht zuletzt eine berechtigte Zahlungsverweigerung des Verbrauchers begründen würde (§ 320 BGB; Einrede des nicht erfüllten Vertrages). Es dürfte auf der Hand liegen, dass die Betreiber von Online-Dating-Portalen auch in dem Fall, in dem die vermeintlichen digitalen Inhalte nicht mehr zur Verfügung stünden, dennoch auf die Zahlung der Nutzungsgebühren bestehen und dies mit dem vertraglich geschuldeten Dienstleistungscharakter begründen würden.
Den vom Gesetzgeber beabsichtigten Schutz gegen einen Missbrauch des Widerrufsrechts bei einmaliger Lieferung von digitalen Inhalten benötigen die Online-Dating-Portal-Betreiber zudem auch deshalb nicht, weil sie durch § 357 Abs. 8 BGB bereits hinreichend geschützt sind. Die Vorschrift sieht eine Wertersatzpflicht des Nutzers vor, sofern der Unternehmer vor Ablauf der Widerrufsfrist mit der Dienstleistung begonnen und dem Nutzer eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erteilt hat.
Geänderte Leistungsbeschreibung der Ideo Labs GmbH – nunmehr digitale Inhalte
Die Ideo Labs GmbH, die vor dem LG Berlin durch den Verbraucherzentrale Bundesverband verklagt worden war, hatte im Prozess ausdrücklich vorgetragen, dass es sich bei ihrem Internetangebot um digitale Inhalte handele. Begründet wurde dies damit, dass den Kunden die Profile und Fotos anderer Kunden digital zur Verfügung gestellt würden. Eine entsprechende Leistungsbestimmung findet sich heute auch in den AGB der Datingportale der Ideo Labs:
"Vertragsgegenstand ist die Bereitstellung von kostenlosen und kostenpflichtigen digitalen Inhalten vor allem in Form von nutzergenerierten Inhalten, wie z.B. Nutzerprofilen, Fotos und Nachrichten anderer Nutzer, die von den Kunden betrachtet und genutzt werden können." (AGB daily-date.de, dateformore.de, just-date.de, click-and-date.de am 10.08.2016).
Im Gegensatz hierzu beschrieb die Ideo Labs GmbH den Vertragsgegenstand in der Vergangenheit in ihren AGB wie folgt:
"1.1. Vertragsgegenstand ist die Nutzung der vom Anbieter auf seinen Websites zur Verfügung gestellten kostenlosen und kostenpflichtigen Kontaktdienstleistungen.
1.4. Der Anbieter stellt seinen Kunden den Zugriff auf seine Vermittlungs-Dienstleistungen bereit." (AGB daily-date.de vom 06.05.2015).
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Der Autor Thomas Rader ist Rechtsanwalt in Bonn mit den Interessenschwerpunkten Gewerblicher Rechtsschutz, Medien- und Urheberrecht.
Thomas Rader , Ausschluss des Widerrufsrechts bei Online-Datingportalen: Partner zum Runterladen . In: Legal Tribune Online, 16.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20290/ (abgerufen am: 18.07.2024 )
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