Das Landgericht Berlin hat sein umstrittenes Urteil vom September abgeändert: Sechs von 22 Kommentaren über die Grünenpolitikerin sind nun doch rechtswidrig. Entscheidend soll ein erkennbares Falschzitat sein.
"Drecks Fotze" oder "Schlampe", so wurde die Grünen-Politikerin Renate Künast von Nutzern auf Facebook heftig beschimpft: Alles zulässige Meinungsäußerungen, die sich eine Politikerin gefallen lassen muss, so hatte das Landgericht (LG) Berlin im September 2019 entschieden. Über diese Entscheidung hatten zahleiche Medien berichtet, und sie hatte für eine öffentliche Diskussion über die Grenzen der Meinungsfreiheit gesorgt. Nun änderten die Richter ihre umstrittene Entscheidung auf eine Beschwerde von Künast hin teilweise ab (Abhilfebeschluss v. 21.01.2020, Az. 27 AR 17/19.
In der 14 Seiten langen Entscheidung, die LTO vorliegt, kommen die gleichen Richter der 27. Zivilkammer nun zum Ergebnis, dass die Äußerungen "Schlampe", "Drecks Fotze", "Diese hohle Nuß gehört entsorgt, aufe Mülldeponie, aber man darf ja dort keinen Sondermüll entsorgen", "Schlamper" und "Ferck du Drecksau" doch Formalbeleidigungen sind, da sie lediglich die Person herabsetzen sollen und keinen Sachbezug enthalten.
Diese Kommentare hätten vielmehr einen ehrherabsetzenden Inhalt, der aus der Sicht des unbefangenen Durchschnittslesers als gezielter Angriff auf die Ehre der Antragstellerin erscheine und sich auch in der persönlichen Herabsetzung der Antragstellerin erschöpfe, so die Richter. Eine Rechtfertigung komme nicht in Betracht.
Die Bezeichnung "Stück Scheisse" stellt nach der Ansicht des Gerichts ebenfalls eine Beleidigung dar, aber keine Formalbeleidigung. Denn der der Nachsatz in dem Post - "Überhaupt so eine Aussage zu treffen zeugt von kompletter Geisteskrankheit" - stelle einen Sachzusammenhang her, sodass zunächst eine Interessenabwägung durchzuführen sei.
Die übrigen 16 Kommentare, wegen der die Politikerin die Herausgabe der Daten der Nutzer verlangt, die sie gepostet haben, stellen aus Sicht keine strafbare Beleidigung dar, sondern sie enthielten alle einen entsprechenden Sachbezug zu Äußerungen Künasts. Ausschlaggebend war für das Gericht nun nach eigenen Angaben, dass es erstmals den vollständigen Facebook-Post vorgelegt bekam, der die Nutzer-Kommentare erst provoziert hatte.
Landgericht: Facebook-Post verwendete erkennbar Falschzitat Künasts
Hintergrund ist ein Zwischenruf von Künast aus dem Jahr 1986 im Berliner Abgeordnetenhaus im Zusammenhang mit der damaligen Pädophilie-Debatte bei den Grünen. Ihr war damals unterstellt worden, sich hinter Forderungen nach Straffreiheit für Sex mit Kindern zu stellen. Dies hatte sie zurückgewiesen.
Neuer Anlass für die Kommentare auf Facebook war dann ein Artikel auf Welt.de unter der Überschrift "Grünen-Politikerin Künast gerät in Erklärungsnot" aus 2015. "Klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt okay?", fragt der Autor in dem Artikel.
Ein Facebook-Post hatte diese Aussage mit einem Foto von Künast und einer ihr in den Mund gelegten Aussage zur Zulässigkeit von Sex mit Kindern verwendet: "Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt". Die Kommentare, um die es vor dem LG Berlin ging, sind allesamt Reaktionen auf diesen Post. Dessen Verfasser sei ein bekannter Blog-Betreiber, bekannt für die Verbreitung von Fake-News, und werde außerdem seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet, so hatte Künast argumentiert. Außerdem betreibe der Mann einen Online-Shop, in dem er Produkte wie z.B. Aufkleber verkaufe, die bekannte Personen des öffentlichen Lebens verächtlich machen.
Das ist alles für die Richter der 27. Kammer wichtig, weil sie nun in ihrer Beschwerdeentscheidung maßgeblich auf die Perspektive der Kommentatoren abstellen. "Angesichts der für die Nutzer erkennbaren Hintergründe des Posts mussten sich ihnen Zweifel in Bezug auf die Authentizität des weiteren Zitates aufdrängen", heißt es in dem Abhilfebeschluss. Für die Frage, ob die einzelnen Äußerungen eine strafbare Beleidigung darstellen, soll dieser Umstand nun ins Gewicht fallen. Wäre das "Zitat" für die Kommentaren nicht als "Falschzitat" zu erkennen gewesen und sie hätten sich mit diesem in ihren Postings auseinandergesetzt, hätten sie so nach Ansicht der Kammer einen Sachbezug herstellen können – so aber fehlt er.
Facebook darf Namen, Email-Adressen und IP-Adressen herausgeben
Die Politikerin wollte mit ihrem Verfahren erreichen, dass Facebook die personenbezogenen Daten von 22 Nutzern herausgeben darf, die diesen Post weiterverbreitet bzw. kommentiert haben. Sie wollte diese Informationen nutzen, um damit zivilrechtlich gegen die Personen vorgehen zu können.
Nach § 14 Abs. 3 Telemediengesetz (TMG) darf ein Diensteanbieter wie Facebook Auskunft über die bei ihm vorhandenen Bestandsdaten erteilen, soweit sie zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche erforderlich sind, die aus Verstößen gegen § 1 Abs. 3 Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) herrühren. Die Vorschrift verweist für die Rechtswidrigkeit von Inhalten u.a. auf die Beleidigungstatbestände des Strafgesetzbuchs in den §§ 185 ff. StGB. Deshalb musste sich das LG Berlin auch mit der Frage der Beleidigung beschäftigen.
Facebook darf nach Ansicht der Berliner Richter in den nun festgestellten sechs beleidigenden Fällen Auskunft erteilen über den Nutzernamen, die E-Mail- sowie IP-Adresse, die der Nutzer zum Hochladen verwendet hat, sowie über den Zeitpunkt des Uploads.
Sicherheitshalber noch eine Abwägung
Obwohl die Richter der 27. Zivilkammer die sechs Äußerungen nun als Schmähkritik einstufen, worauf nach der Rechtsprechung des BVerfG keine weitere Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehrschutz im Einzelfall mehr erfolgt, gehen sie mit ihrem abgeänderten Beschluss auf Nummer sicher. Sie stellen für die sechs Äußerungen auch noch vorsichtshalber eine Abwägung an und kommen zum Ergebnis, dass der Ehrschutz Vorrang genießt. Das erkennbare Falschzitat soll dabei eine entscheidende Rolle spielen.
"Da die Kommentatoren jedoch aufgrund der Verlinkung des Ausgangsposts mit dem Blogbeitrag erkennen mussten, dass es sich bei dem Posting teilweise um ein Falschzitat handelte, die Antragstellerin sich mithin nicht selbst in der ihr zugeschriebenen, plumpen, schnoddrigen Art geäußert hatte und ihre Schmerzensgeldforderung folglich auch nicht jeglicher Anknüpfungstatsache mangelte, ist eine so heftige Kritik, die jegliche Ebene gleichwertiger Kommunikation verlässt, nicht gerechtfertigt", heißt es in dem Beschluss. Dabei berücksichtigte die Kammer auch, dass die Antragstellerin als Politikerin in stärkerem Maße Kritik hinnehmen muss.
Rechtsanwalt: "Es bleibt ein Geheimnis der Richter"
Der Frankfurter Rechtsanwalt Severin Riemenschneider, der Künast in dem Fall vertritt, zeigte sich gegenüber LTO teilweise zufrieden mit der Abänderung. "Das Gericht ist damit deutlich zurückgerudert und hat seine Rechtsauffassung noch einmal überdacht", so Riemenschneider. "Weshalb sich die rechtliche Bewertung für Beschimpfungen plötzlich geändert hat, obwohl die objektiven Umstände der Äußerungen dieselben geblieben sind, bleibt indes das Geheimnis der Richter", sagt er weiter.
Er hält die Entscheidung für ein "wichtiges Signal", dass das Auskunftsverfahren nach § 14 Abs. 3 TMG funktioniert. Riemenschneider sagt: "Facebook darf nun die Nutzerdaten an Frau Künast herausgeben, sodass diese gegen die – bislang anonymen – Verfasser dieser Äußerungen zivilrechtlich vorgehen kann. "
Künast sagte gegenüber LTO: "Jetzt muss Facebook die Daten der betroffenen Nutzer aber auch tatsächlich rausgeben. Das erwarte ich nun auch umgehend, sonst muss sich Facebook die Kritik gefallen lassen, nichts gegen Rechtsextremismus und Herabwürdigungen zu tun."
Die neue Entscheidung des LG ist noch nicht rechtskräftig. Soweit die Kammer der Beschwerde Künasts nicht abgeholfen hat, hat sie die Sache dem Kammergericht vorgelegt, das nun in zweiter Instanz den Fall prüfen und entscheiden muss.
LG-Berlin-Richter ändern "Drecks Fotze"-Entscheidung: . In: Legal Tribune Online, 21.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39807 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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