Am Dienstag hat der BGH zum zweiten Mal zu Lehman-Zertifikaten verhandelt und vier anlegerfreundliche Urteile der Oberlandesgerichte Köln und Frankfurt aufgehoben. Die Klagen der Anleger sind damit aber noch nicht endgültig vom Tisch, denn die Instanzgerichte können nachbessern. Für andere Anleger gibt die Entscheidung aber wenig Anlass zur Hoffnung, kommentiert Stephan Bausch.
Nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) am 27. September 2011 in den beiden Pilotverfahren die Revisionen eines ehemaligen Lehrers und der Betreiberin eines Schlankheitsstudios zurückgewiesen hatte, wurde mit Spannung erwartet, ob andere Anleger mit anderen Argumenten vor Gericht noch erfolgreich sein können.
Der für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat hat im Verhandlungstermin vom Dienstag klargestellt, dass er zwar an seiner Rechtsprechung vom 27. September 2011 festhält, die in den nun verhandelten Fällen erhobenen Vorwürfe der Anleger aber weiter aufgeklärt werden müssen. Er hat die Verfahren daher an die Berufungsgerichte zurück verwiesen (Urt. v. 26.06.2012, Az. XI ZR 259/11, XI ZR 316/11, XI ZR 355/10, und XI ZR 356/10).
Die Kläger hatten über die nun beklagte Commerzbank zwischen 17.000 und 300.000 Euro in "Global Champion Zertifikate" investiert, die von einer niederländischen Lehman-Tochter ausgegeben und in Deutschland vertrieben wurden. Nach der Insolvenz der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers war das Geld verloren.
Vorteile aus Kommissionsgeschäft müssen nicht offengelegt werden
Anders als im vergangenen Jahr blieb es in den nun zur Entscheidungen stehenden Fällen zwischen den Parteien strittig, ob die Bank den Anlegern die Zertifikate wie ein gewöhnlicher Verkäufer von Waren verkauft hatte. Für diesen Fall hat der BGH im September letzten Jahres entschieden, dass eine Bank den Anleger nicht über ihre Gewinnmarge aufklären muss. Demgegenüber haben die Anleger in den nun verhandelten Verfahren behauptet, die Bank habe ihnen die Zertifikate nicht verkauft, sondern im Wege eines Kommissionsgeschäfts verschafft. Nach ihrem Vortrag hat die Commerzbank die Zertifikate also nicht bei Lehman Brothers gekauft, um sie ihren Kunden gegen ein höheres Entgelt weiterzuverkaufen. Vielmehr soll die Bank die Zertifikate bei Lehman im eigenen Namen unmittelbar für Rechnung ihrer Kunden gekauft und für diese Geschäftsbesorgung – was unstrittig ist – Vertriebsprovisionen von Lehman erhalten haben. Hierüber hätte die Bank nach Meinung der Anleger aufklären müssen.
Dieser Auffassung ist der BGH jedoch nicht gefolgt. Auch bei einem Kommissionsgeschäft müssen beratende Banken ihre Kunden grundsätzlich nicht über Vertriebsprovisionen aufklären, die sie von der Emittentin erhalten.
Dies gilt allerdings nicht für solche Zahlungen von der Emittentin an die beratende Bank, für welche erstere Vertriebsprovisionen verwendet, die ihr zuvor vom Anleger zugeflossen sind. Für solche heimlichen Geldrückflüsse aus Gebühren oder Provisionen, die der Anleger an einen Dritten zu zahlen glaubt, verbleibt es also bei der Rückvergütungs-Rechtsprechung des BGH. Zahlungen dieser Art gab es in den am Dienstag entschiedenen Fällen allerdings nicht.
Ausdrücklich offen lässt der Senat die Frage, ob eine beratende Bank bei einem Kommissionsgeschäft erhaltene Provisionen offen legen muss, wenn der Anleger seinerseits eine Kommissionsgebühr an die Bank zahlt, was hier nicht der Fall war. In der mündlichen Verhandlung hatte der Senat eine solche Aufklärungspflicht noch als möglich bezeichnet. Denn der Kunde, der eine Kommissionsgebühr zahlt, dürfe davon ausgehen, dass die Bank allenfalls das verdient, was sie dem Kunden an Gebühren auch ausdrücklich in Rechnung stellt.
Zertifikat ist nicht gleich Zertifikat
Die Karlsruher Richter haben auch klargestellt, dass unterschiedliche Zertifikate verschiedene Anforderungen an die Aufklärung der Anleger zur Folge haben können.
Das gilt für die Funktionsweise der Zertifikate, insbesondere aber auch für die mit ihnen verbundenen Verlustrisiken. Anders als in den beiden im Jahr 2011 entschiedenen Pilotverfahren waren die Anleger in den am Dienstag entschiedenen Fällen nicht nur einem Insolvenzrisiko von Lehman Brothers ausgesetzt.
Weitere Risiken bestanden mit Blick auf die Entwicklung von drei Aktienindizes. Fiel einer von ihnen im relevanten Zeitraum unter 60 Prozent seines Wertes im Startzeitpunkt, richtete sich die Wertentwicklung der Zertifikate nach der Wertentwicklung des Indizes, der seine Kursschwelle während der Laufzeit am weitesten unterschritt. Damit waren Anleger auch unabhängig vom Insolvenzrisiko der Emittentin einem theoretisch unbegrenzten Verlustrisiko ausgesetzt. Ob die Anleger auch über dieses Verlustrisiko ausreichend informiert wurden, müssen nun die Oberlandesgerichte prüfen.
Der Ausgang dieser Verfahren ist damit weiter offen. Ob andere Anleger, über deren Fälle noch nicht entschieden wurde, mit den neuesten BGH-Urteilen einem Ausgleich ihrer Verluste einen Schritt näher gekommen sind, ist allerdings zweifelhaft. Wesentliche Rechtsfragen zum Thema Zertifikate sind durch die Urteile des BGH vom 27. September 2011 im Sinne der Banken geklärt. Daran hat sich auch durch die neuen Entscheidungen aus Karlsruhe nichts geändert.
Der Autor Dr. Stephan Bausch, D.U., ist als Rechtsanwalt der internationalen Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer LLP im Bereich Konfliktlösung mit Schwerpunkt Bank- und Kapitalmarktrecht tätig.
Stephan Bausch, Neue BGH-Urteile zu Lehman-Zertifikaten : . In: Legal Tribune Online, 27.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6477 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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