Wer für vier Jahre inhaftiert wird, darf von seinem Arbeitgeber gekündigt werden, das entschied am Donnerstag das BAG. Dem Arbeitgeber soll es nicht zuzumuten sein, den Arbeitsplatz freizuhalten. Die harte Erfurter Linie erschwert nicht nur die Resozialisierung, sondern ist auch schwach begründet, meint Jan Tibor Lelley.
Am Ende gab Willi Kufalt auf. Mit dem Satz "Fein, wenn man wieder zu Hause ist." kehrte er als rückfälliger Straftäter ins Gefängnis zurück. An den Platz, der für ihn Ordnung, Wärme und Ruhe bedeutete. Zuvor waren seine Bemühungen gescheitert, sich nach verbüßter Strafhaft eine neue bürgerliche Existenz aufzubauen.
Hans Fallada (alias Rudolf Ditzen) beschrieb in seinem 1934 erschienenen Roman Wer einmal aus dem Blechnapf frisst die soziale Odyssee des Willi Kufalt, eines entlassenen Sträflings, der nach vergeblichen Versuchen im bürgerlichen Leben frustriert, aber doch am Ende nicht unglücklich ins Gefängnis als Ort einer geordneten Existenz zurückkehrt.
In diesem wohl bekanntesten deutschen Gefängnisroman wollte Fallada seinen Helden durchaus nicht nur als Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse darstellen. Das Scheitern des Willi Kufalt ist auch das Ergebnis seiner persönlichen Fehler. Dennoch war es letztendlich sein soziales Umfeld, das Kufalts Versuch, ins bürgerliche Leben zurückzukehren, fehlschlagen ließ.
Strafe und Resozialisierung
Hier will sich der moderne Strafvollzug als lernfähig erweisen. Zu den Aufgaben des Vollzugs gehört nämlich nicht nur der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Der Vollzug dient auch dazu, den Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Strafen zu führen (§ 2 Strafvollzugsgesetz (StVollzG)).
Eine besondere Rolle spielt dabei die Lockerung des Vollzugs. Denn als solche kann angeordnet werden, dass der Gefangene außerhalb der Anstalt regelmäßig einer Beschäftigung unter Aufsicht nachgehen darf (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG).
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) fährt dennoch seit Jahrzehnten eine relativ harte Linie: Eine Haft ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung geeignet, sogar eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen (§ 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch). Im Allgemeinen kommt dabei eine verhaltensbedingte ebenso wie eine personenbedingte Kündigung in Frage.
Der feine Unterschied im Kündigungsschutzrecht: U-Haft oder Strafhaft?
Wie fast immer im Kündigungsschutzrecht sind aber auch hier die Umstände des einzelnen Falles wichtig. So unterscheiden die Erfurter Richter zum Beispiel zwischen Untersuchungs- und Strafhaft.
Sitzt der Arbeitnehmer in Untersuchungshaft, weil er einer Straftat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht, ist er aber noch nicht verurteilt, soll eine personenbedingte Kündigung dann grundsätzlich doch nicht möglich sein. Das Argument ist dabei die Dauer des Haftaufenthalts. Bei der Untersuchungshaft wird fast nie über längere Dauer das Erbringen der Arbeitsleistung unmöglich gemacht, weil sie in der Regel nicht über eine längere Zeitspanne andauert.
Möglich ist aber auch schon bei Untersuchungshaft die verhaltensbedingte Kündigung (Verdachtskündigung). Allerdings ist dann genau genommen nicht mehr die Haft der Kündigungsgrund, sondern eben der einer Untersuchungshaft zugrunde liegende dringende Tatverdacht (§ 112 Strafprozessordnung).
Die Strafhaft hingegen soll eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, wenn es sich um eine nicht unerhebliche Zeitspanne handelt, der Arbeitgeberin nicht zumutbare Überbrückungsmöglichkeit zur Verfügung stehen und sich die Arbeitsverhinderung durch Haft nachteilig auf das Arbeitsverhältnis in Form der Störung eines Betriebsablaufs auswirkt. Das reicht dann für eine personenbedingte Kündigung (vgl. BAG, Urt. v. 15.11.1984 – 2 AZR 613/83; BAG, Urt. v. 09.03.1995 – 2 AZR 497/94).
Schwache Argumente
Etwas brüchig wird die Argumentation, wenn das BAG eine zweieinhalbjährige Freiheitsstrafe als erhebliche Abwesenheitszeit ansieht und damit eine die Kündigung rechtfertigende Störung des Betriebsablaufs begründet (BAG, Urt. v. 09.03.1995, Az. 2 AZR 497/94). Mit dem gleichen Argument könnte man Müttern und Vätern, die eine dreijährige Elternzeit in Anspruch nehmen (§ 15 BEEG) und währenddessen nicht arbeiten, die Rückkehr in den Betrieb verweigern.
Bei der Lektüre der Entscheidungen drängt sich zudem manchmal der Eindruck auf, dass im Vorverständnis des Gerichts auch die Schwere der Verfehlung eine Rolle spielt. So haben Verkehrssünder in der Haft tendenziell eine größere Chance, den Arbeitsplatz zu erhalten, als zum Beispiel Vergewaltiger.
In dem am Donnerstag entschiedenen Fall hat das BAG seine bisherige Rechtsprechung fortgesetzt: Bei einer mehrjährigen Freiheitsstrafe soll grundsätzlich eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zulässig sein. Das gilt immer dann, wenn die zugrundeliegenden Tatsachen keinen Bezug zum Arbeitsverhältnis haben und es sich um eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren handelt (BAG, Urt. v. 24.03.2011, Az. 2 AZR, noch nicht veröffentlicht). Der 2. Senat hält es für dem Arbeitgeber nicht zumutbar, den Arbeitsplatz für den Inhaftierten freizuhalten.
Aber wird dabei auch berücksichtigt, dass einem Unternehmen beim Freihalten des Arbeitsplatzes hier wenig bis keine finanziellen Nachteile entstehen? Wenn wegen der Haft nicht gearbeitet wird, besteht schließlich auch kein Entgeltanspruch. Dem Resozialisierungsgedanken hilft die Entscheidung daher sicherlich nicht weiter.
Der Autor Dr. Jan Tibor Lelley, LL.M. ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Buse Heberer Fromm.
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Jan Tibor Lelley, Kündigung wegen Strafhaft: . In: Legal Tribune Online, 25.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2870 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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