Die Grünen-Politikerin Renate Künast will mit einer Klage erreichen, dass Facebook nicht nur konkrete rechtswidrige Beiträge löscht, sondern gezielt nach sinngleichen Posts sucht und sie ebenfalls aus dem Netz nimmt.
Nein, Renate Künast hat nicht gesagt: "Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen." Dass es sich um ein Fake-Zitat handelt, ist schon lange geklärt, im Netz taucht es aber immer wieder auf. Verbreitet jemand das Bild von Künast mit dem Zitat, etwa über Facebook, kann die Grünen-Politikerin das bei der Plattform melden, damit es gelöscht wird, jedes einzelne Mal.
Doch Künast will etwas anderes erreichen: Facebook soll selbst nach wort- und sinngleichen Posts suchen und nicht nur den gemeldeten Beitrag löschen, sondern auch alle entsprechenden Beiträge – ausgenommen solche, in denen klargestellt wird, dass es sich um ein Falschzitat handelt. Sie hat deshalb eine Klage beim Landgericht (LG) Frankfurt am Main eingereicht, zusammen mit der Organisation HateAid, die Betroffene von Hatespeech berät, und der Alfred Landecker Foundation, einer Stiftung, die den Prozess finanziert.
Die HateAid-Geschäftsführerin Anna-Lena von Hodenberg hofft auf ein Grundsatzurteil. Es sei unzumutbar, dass Betroffene von digitaler Gewalt die Social-Media-Plattformen durchkämmen und jeden einzelnen rechtswidrigen Inhalt selbst suchen und melden müssen, so von Hodenberg auf einer Pressekonferenz am Dienstagvormittag: "Die meisten Betroffenen haben keine Mittel und keine Kraft, um in langwierigen Prozessen gegen die großen Social-Media-Plattformen vorzugehen."
Der EuGH hat einen ähnlichen Fall aus Österreich entschieden
Einen ähnlichen Fall hatte bereits die österreichische Grünen-Politikerin Eva Glawischnig-Piesczek zunächst vor die österreichischen Gerichte und schließlich bis vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gebracht. Dabei ging es um Beleidigungen auf Facebook, die das Unternehmen erst gar nicht, später nur begrenzt auf den österreichischen Raum sperrte. Glawischnig-Piesczek wollte jedoch erreichen, dass Facebook die Kommentare weltweit sperrt und – wie in Künasts Fall – selbst nach wort- und sinngleichen Beiträgen sucht.
Das Österreichische Oberste Gericht legte die Sache dem EuGH vor, weil es um die Auslegung der E-Commerce-Richtlinie ging. Seitdem ist eine Frage geklärt: Die Mitgliedstaaten dürfen Plattformbetreibern dazu verpflichtet, nicht nur rechtswidrige Äußerungen auf ihrer Plattform zu löschen, sondern auch nach weiteren wort- bzw. sinngleichen Inhalten zu suchen und diese ebenfalls zu entfernen (Urt. v. 04.10.2019, Az. C-18/18).
Allerdings: Gesetzlich verpflichtet sind die Netzwerke in Deutschland dazu bisher nicht, auch wenn im Zusammenhang mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz solch eine weitergehende Löschpflicht immer wieder diskutiert worden war.
Ist Facebook für die Posts seiner Nutzer verantwortlich?
Künasts Rechtsanwälte Chan-jo Jun und Matthias Pilz von der Würzburger Kanzlei Jun Rechtsanwälte hoffen darauf, dass nun nicht nur die Rechtslage in Deutschland geklärt wird, sondern auch weitere grundsätzliche Fragen: "Es geht darum, welche Rolle die Social-Media-Plattformen spielen: Stellen sie lediglich die Speicherplattform zur Verfügung oder sind sie in einem gewissen Rahmen für die Inhalte verantwortlich?", so Jun gegenüber LTO. "Facebook stellt bestimmte Nutzungsbedingungen auf und moderiert die Timeline. Wenn der Konzern zulässt, dass bekanntermaßen rechtswidrige Inhalte verbreitet werden, ist er dafür verantwortlich."
Facebook habe am Montagabend vor der Pressekonferenz reagiert, so die Initiator:innen der Klage. Das Unternehmen habe mitgeteilt, dass man nun auch identische Inhalte prüfen wolle und dies mit den besonderen Umständen dieses Falles begründet. Ein Facebook-Sprecher bestätigte gegenüber LTO, man habe "das von Frau Künast gemeldete falsche Zitat von der deutschen Facebook-Plattform entfernt und Frau Künast darüber informiert, dass wir ebenfalls Schritte einleiten, um identische Inhalte zu identifizieren und zu entfernen."
Mit der Zusage von Facebook, nun effektiver gegen das Falschzitat vorzugehen, will Künast sich nicht zufriedengeben. Man wolle erreichen, dass Facebook eine strafbewehrte Unterlassungserklärung unterschreibt und tatsächlich dafür sorgt, dass das Falschzitat gelöscht wird. Zudem verlangt sie ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro, so Rechtsanwalt Jun. "Wir gehen davon aus, dass es dennoch zu dem Verfahren kommt - und wir sind bereit, durch alle Instanzen gehen. Vor allem soll Facebook seine Praxis für alle User an das Gesetz anpassen."
Geht das nur mit Uploadfiltern?
Der Fall sei nur ein Beispiel, wie mit Meme-Kampagnen und falschen oder beleidigenden Inhalten Politiker:innen, Journalist:innen oder Wissenschaftler:innen angegriffen werden, betonte von Hodenberg. "Frauen werden dabei besonders häufig und aggressiv angegriffen und so aus Rollen herausgedrängt, die sie sich in den letzten Jahrzehnten mühsam erkämpft haben."
Die Initiator:innen der Klage sehen diese als einen Beitrag dazu, demokratischen Meinungsaustausch im Netz zu gewährleisten. Unumstritten ist der Ansatz allerdings nicht. Sollte Facebook zur weitergehenden Löschung verpflichtet werden, könnte die Plattform sich dafür entscheiden, Uploadfilter einzusetzen, um von vorneherein zu verhindern, dass einmal gemeldete Beiträge erneut hochgeladen werden – und damit womöglich auch Beiträge blocken, die sich kritisch damit auseinandersetzen, berichten oder etwa über Falschzitate aufklären wollen (sog. Overblocking). Jun sagt dazu: "Wir wollen keine Uploadfilter, deshalb haben wir die Klage bewusst darauf begrenzt, dass bereits hochgeladenen Beiträge gelöscht werden sollen."
Julia Reda, die sich unter anderem für die Gesellschaft für Freiheitsrechte gegen Uploadfilter einsetzt, sagte gegenüber LTO, die Klage betreffe "ein sensibles Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsrechten einerseits und Meinungs- und Pressefreiheit andererseits." Der Schutz vor Falschbehauptungen und Verleumdungen auf sozialen Netzwerken ist ein wichtiges Anliegen. Es sei jedoch "unklar, wie Facebook sicherstellen soll, dass Postings online bleiben, die das Meme als Falschzitat identifizieren, etwa journalistische Berichte oder Fact-Checking-Beiträge, die für die Ausübung der Meinungs- und Pressefreiheit besonders wichtig sind".
Die Klageinitiator:innen betonen, Facebook dürfe sich nicht auf eine technische Überprüfung begrenzen, sondern müsse die Ergebnisse manuell kontrollieren.
Renate Künast klagt gegen Facebook: . In: Legal Tribune Online, 27.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44825 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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