Die Union erwartet von Bundesjustizministerin Lambrecht die Zustimmung zu härteren Strafen bei der Bekämpfung von Kinderpornografie und Kindesmissbrauch. Bislang lehnt die Ministerin ab. Rückendeckung bekommt sie dafür von Strafrechtlern.
In der Berliner Koalition herrscht Uneinigkeit über die Bekämpfung von Kinderpornografie und Kindesmissbrauch. Die Union setzt auf härtere Strafen, Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) dagegen lehnt diese ab und will stattdessen einen überparteilichen Dialog ins Leben rufen, an dem laut Medienberichten neben Politikern auch Polizei, Justiz, Jugendämter und Gerichte beteiligt werden sollen. Von Rechtswissenschaftlern ist keine Rede. Diese haben sich jetzt aber gegenüber LTO zu Wort gemeldet – und lehnen die Forderungen von CDU/CSU ab.
Der Union geht es nach einem Kindermissbrauchsfall in NRW im Wesentlichen um Strafverschärfungen bei zwei Delikten: Zum einen soll bei § 184b Abs.3 Strafgesetzbuch (StGB), der den Besitz kinderpornographischer Schriften unter Strafe stellt, die Höchststrafe von drei auf fünf Jahre angehoben werden. Außerdem soll der Tatbestand offenbar zum Verbrechen mit einer entsprechenden Mindeststrafe von einem Jahr hochgestuft werden. Bislang sind für einige der Tathandlungen lediglich eine Geldstrafe oder eine Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten vorgesehen.
Ziemiak: "Bei Kinderpornografie gibt es keine leichten Fälle"
CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak bekräftigte dazu am Donnerstag im Deutschlandfunk: "Es gibt bei Kinderpornografie aus meiner Sicht keine besonders leichten Fälle." Der Besitz und das Handeltreiben mit kinderpornografischen Inhalten sei stets ein Verbrechen, auch wenn nur eine Datei verkauft oder heruntergeladen werde. Bereits in einem sicherheitspolitischen Papier vom Dezember 2019 hatte die CDU betont, dass es nicht sein könne, "dass der einfache Ladendiebstahl mit einem höheren Strafrahmen belegt ist als das sich Verschaffen von kinderpornografischem Material“. Auch könne es "nicht richtig sein, dass der Besitz von Kinderpornographie auch nur nahezu als so etwas wie ein Bagatelldelikt angesehen wird".
Darüber hinaus fordern CDU und CSU, dass auch der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 StGB zum Verbrechen gemäß § 12 Abs.1 StGB hochgestuft und eine Mindeststrafe von einem Jahr vorgesehen wird. Bislang wird derjenige, der mit einer Person unter vierzehn Jahren sexuell interagiert, mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. In besonders schweren Fällen ist allerdings die Mindeststrafe bereits heute ein Jahr.
Der rechtspolitische Sprecher der Union, Dr. Jan-Marco Luczak, betonte, es gehe hier "nicht um Bagatellen wie den Zungenkuss eines 14-jährigen mit seiner 13-jährigen Freundin, sondern um schwerste Kriminalität". Es sei bei einer Anhebung des Strafrahmens "gesetzessystematisch kein Problem, solche Konstellationen angemessen zu erfassen".
"Erhöhung der Strafrahmen nicht vordringlich"
Strafrechtler und Kriminologen lehnen diese Ideen der Union allerdings ab oder halten eine Erhöhung der Strafrahmen jedenfalls für alles andere als vordringlich.
So sagte der Augsburger Professor für Strafrecht Dr. Michael Kubiciel gegenüber LTO: "Wenn man Kindesmissbrauch verhindern will, sollte zunächst gefragt werden, ob die Jugendämter angemessen ausgestattet sind, um Verdachtsmomenten nachzugehen oder potentiell vulnerable Kinder in Familien mit einschlägig Vorbestraften zu schützen." Was die Strafverfolgung betreffe, so Kubiciel, "sollte geprüft werden, ob die Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit haben, den Verbreitungswegen im Internet nachzuspüren oder ob sie beispielsweise Schwierigkeiten haben, die Verbindungsdaten einem konkreten Anschluss zuzuordnen. Erst an dritter Stelle sollte man über die Strafrahmen nachdenken."
Kubiciel gab im Hinblick auf eine Heraufstufung des § 176 StGB zum Verbrechen weiter zu bedenken, dass eine von dieser Vorschrift erfasste sexuelle Handlung weit verstanden werde. "Das müsste dann von einer Regelung für minder schwere Fälle begleitet werden, mit niedrigerem Straffrahmen - kurz: eine Umkehrung der jetzigen Regelung", so Kubiciel.
"Positionen von ermüdender Vorhersehbarkeit"
Geradezu genervt auf die Forderungen der Union reagierte der Münchner Strafrechtler und Kriminologe, Prof Dr. Ralf Kölbel: "Solche Positionierungen sind von ermüdender Vorhersehbarkeit, gerade für die Law-and-Order-Ecke. Immer das gleiche Muster: Gar nichts tun schaut bei all der öffentlichen Aufregung irgendwie schlecht aus. Also beweist man 'Handlungsfähigkeit' und schwingt die strafrechtliche Keule".
Kölbel warnte im Gespräch mit LTO davor, den Besitz von Kinderpornografie zum Verbrechen heraufzustufen: "Wer jeden Fall des § 184b als Verbrechen einstufen will, hat keine Ahnung von der Breite des real vorkommenden Spektrums. Die Geringfügigkeitskonstellationen sind hier ja auch nicht anderweitig aufzufangen, denn es gibt bei § 184b keinen minder schweren Fall."
Der Tübinger Strafrechtler Prof. Jörg Eisele regte in diesem Zusammenhang an, "verschiedene Tatbestände zu bilden, um leichtere Fälle noch angemessen sanktionieren zu können".
"Keinen Deut mehr Sicherheit für mögliche Opfer"
Ähnlich reagierte auch der Göttinger Strafrechtler Prof. Dr. Kai Ambos: "Der reflexhafte Ruf nach höheren Strafen bringt keinen Deut mehr Sicherheit für mögliche Opfer. Aus der kriminologischen Forschung wissen wir, dass allenfalls die Entdeckungswahrscheinlichkeit eine Abschreckungswirkung für potentielle Täter entfaltet, nicht aber höhere Strafrahmen." Es gehe also, so Ambos, um bessere Aufklärung und die werde allenfalls durch polizeilich-prozessuale Reformen erreicht und setze insbesondere ausreichend geschultes Ermittlungspersonal voraus.
Im Hinblick auf § 184b StGB stelle sich für ihn die Frage, "ob eine Heraufstufung aller Verhaltensweisen, etwa auch das Posten eines kinderpornographischen Comics, zu einem Verbrechen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr tatsächlich angemessen und sinnvoll ist, denn damit wird den Staatsanwaltschaften die Möglichkeit einer flexiblen Reaktion im Rahmen der Opportunitätseinstellung genommen".
Ablehnend reagierte gegenüber LTO auch der Potsdamer Hochschullehrer für Strafrecht und Kriminologie, Prof. Dr. Wolfgang Mitsch: "Ich bin gegen eine Strafrahmenerhöhung. Erstens nützt es nichts und zweitens bringt es das ganze Strafgefüge im StGB durcheinander."
Behindert Gesetzentwurf gegen Kinderpornographie Ermittlungen?
Bundesjustizministerin Lambrecht forderte unterdessen, dass soziale Medien Kinderpornografie nicht mehr nur löschen, sondern auch dem Bundeskriminalamt melden sollten. "Die Täter handeln immer perfider", sagte Lambrecht der Passauer Neuen Presse. "Deshalb verschärfen wir gegenwärtig die Ermittlungsmöglichkeiten gegen Kinderpornografie in sozialen Netzwerken."
Dem widersprach jedoch gegenüber LTO der CDU-Rechtspolitiker Dr. Jan-Marco Luczak. Aktuell werde zwar der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Hasskriminalität beraten: "Entgegen der Behauptungen von Bundesjustizministerin Lambrecht werden hier die Hürden für Ermittlungen deutlich erhöht. Anders als bisher soll die Abfrage von Nutzungsdaten zur Identifizierung von Tätern nur nach gerichtlicher Anordnung zulässig sein. Das kostet Zeit und gefährdet den Ermittlungserfolg, weil viele Daten dann schon nicht mehr vorhanden sein können. Täter können dann nicht mehr identifiziert werden und bleiben unbehelligt. Der so dringende Kampf gegen Kinderpornographie wird hier massiv behindert."
Die Debatte um Strafverschärfungen war aufgekommen, nachdem am Wochenende ein Fall schweren sexuellen Missbrauchs mehrerer Kinder in Münster bekannt geworden war. Der 27 Jahre alte Hauptverdächtige war wegen Kinderpornografie-Besitzes zweifach vorbestraft. Bislang gab es in dem Fall in Münster Festnahmen von elf Tatverdächtigen aus mehreren Bundesländern. Sieben von ihnen sitzen in Untersuchungshaft.
Mit Material von dpa
Debatte um höhere Strafrahmen bei Kinderpornografie: . In: Legal Tribune Online, 11.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41874 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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