Eltern haben keinen Anspruch auf Zugang zum Facebook-Account ihres verstorbenen Kindes. Das KG ließ die Revision gegen sein Urteil zu – und wichtige Fragen offen, zeigt Gordian Oertel. Ist eine Mail oder ein Chat etwas anderes als ein Brief?
In dem vom Berliner Kammergericht (KG) nun in zweiter Instanz entschiedenen Fall hatte die Mutter eines 2012 verstorbenen Mädchens gerichtlich Zugriff auf das Facebook-Konto ihres Kindes gefordert. Sie wollte wissen, ob es sich bei dem Unfall ihrer Tochter, die an einem Berliner U-Bahnhof von einem einfahrenden Zug tödlich verletzt worden war, um einen Suizid gehandelt haben könnte und forderte daher von Facebook Zugang unter anderem zu den Chat-Nachrichten des Mädchens.
Das Unternehmen hatte den Zugriff verweigert und sich dabei unter anderem auf den Datenschutz berufen. Nachdem das Landgericht zunächst zugunsten der Mutter entschieden hatte, hat nun das Kammergericht Facebook Recht gegeben und die Klage abgewiesen (KG Berlin, Urt. v. 31.05. 2017, Az. 21 U 9/16.
Die Mutter bekommt keine Einsicht in die Kommunikation ihrer Tochter mit Dritten. Und weder ein theoretisch denkbarer erbrechtlicher Anspruch noch andere gesetzliche Regeln oder das elterliche Sorgerecht ändern daran etwas, befinden die Berliner Richter.
Das Fernmeldegeheimnis geht vor – immer
Nach Ansicht des KG geht der Schutz des Fernmeldegeheimnisses nach dem Telekommunikationsgesetz (TKG) vor. Dieses erstrecke sich, so die Richter, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch auf E-Mails, die auf den Servern von privaten Diensteanbietern gespeichert seien.
Und gilt damit nach Ansicht des KG entsprechend auch für bei Facebook gespeicherte Kommunikationsinhalte, die nur für Absender und Empfänger – also für einen beschränkten Nutzerkreis – bestimmt sind. Dieses in Art. 10 Grundgesetz (GG) geschützte Recht, das eine objektive Wertentscheidung der Verfassung enthalte, müssten auch private Diensteanbieter achten.
Ein Zugriff des Erben auf das Facebook-Konto könne, so der Senat, auch nicht mit Hinweis auf die im TKG vorgesehenen Ausnahmen gerechtfertigt werden. Es sei nicht im Sinne des Gesetzes ausnahmsweise erforderlich, Dritte über den Inhalt der Kommunikation zu informieren. Erforderlich in diesem Sinne sei nämlich technisch zu verstehen, also um den Dienst technisch zu ermöglichen oder aufrecht zu erhalten. Facebook aber habe die Kommunikationsdienste nur beschränkt auf die Person des (verstorbenen) Nutzers angeboten, so dass es – auch aus Sicht der ebenfalls schutzbedürftigen Kommunikationspartner eines Chats – eben nicht erforderlich sei, einem Erben nachträglich Zugang zum Inhalt der Kommunikation zu verschaffen.
Schließlich gebe es, speziell im Erbrecht, auch keine andere gesetzliche Vorschrift, die es erlauben würde, eine Ausnahme vom grundgesetzlichen garantierten Schutz des Fernmeldegeheimnisses zu machen.
In dem Prozess war nicht klar geworden, ob die Behauptung der klagenden Mutter zutraf, dass ihre Tochter ihr ihre Zugangsdaten zu dem sozialen Netzwerk überlassen habe. Es hätte nichts geändert, meint der Senat. Selbst wenn die verstorbene Nutzerin mit dem Zugriff ihrer Mutter auf die in dem Facebook-Account hinterlassenen Daten einverstanden gewesen wäre, hätten auch all diejenigen, die mit der Verstorbenen kommuniziert haben, auf den Schutz des Fernmeldegeheimnisses verzichten müssen.
2/2: Keine Entscheidung zur Vererbbarkeit des Accounts
Während der Senat die Fragen rund um das Fernmeldegeheimnis ausführlich prüft und beantwortet, lässt er eine in der Rechtsprechung bislang ungeklärte erbrechtliche Frage auch weiterhin offen. Es bleibt also ungewiss, ob der Facebook-Account und damit auch dessen Inhalte nach den erbrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches als Teil des Nachlasses zu behandeln sind.
In der erbrechtlichen Literatur ist umstritten, ob Erben in die Rechte und Pflichten des mit einem Anbieter digitaler Kommunikationsmöglichkeiten geschlossenen Vertrages eintreten und im Fall des Todes des Nutzers Rechte aus diesem Vertrag geltend machen können.
Zwar geht die wohl herrschende Meinung davon aus, dass bei solchen Verträgen nichts anderes gelten kann als bei herkömmlichen Verträgen, in die der Erbe ebenfalls einrückt. Dies gilt auch für die in Briefen "verkörperte" Kommunikation des Verstorbenen, die zwanglos als Teil des Nachlasses angesehen wird. Ist der digitale Nachlass des Erblassers wirklich etwas so anderes?
Der Senat in Berlin hält ein Nachrücken des Erben offenbar für möglich. Festlegen will er sich jedoch nicht. Sondern bestätigt in diesem Zusammenhang lediglich, was in der erbrechtlichen Praxis bereits seit längerem klar wird: Die Abgrenzungsprobleme, die mit allein virtuell existierenden E-Mails und nicht verkörperten Diensten einhergehen, sind erheblich.
Besser rechtzeitig vorsorgen - auf Papier
Der BGH wird bald Gelegenheit haben, die Rechtsfragen rund um den digitalen Nachlass zu beantworten. Das KG hat die Revision zugelassen.
In der Zwischenzeit werden Erben immer wieder vor Problemen stehen, wenn es darum geht, neben dem real existierenden Nachlass auch den digitalen Nachlass Verstorbener abzuwickeln. Was passiert etwa, wenn der Verstorbene Rechnungen und Kontoauszüge allein in digitaler Form in seinem E-Mail Postfach verwaltet?
Mit Blick auf die derzeit noch unsichere Rechtslage und die Abgrenzungsschwierigkeiten kann nur jedem geraten werden, rechtzeitig Vorkehrungen zu treffen. In diesem Sinne sollten dem späteren Erben in jedem Fall Informationen über die bestehenden digitalen Nutzerkonten, Dienste und ausschließlich online bestehende Vertragsbeziehungen hinterlassen werden - möglichst nicht in virtueller Form.
Der Autor Dr. Gordian Oertel ist Fachanwalt für Erbrecht in der überörtlichen Sozietät Meyer-Köring Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB mit Büros in Bonn und Berlin.
Dr. Gordian Oertel , KG verneint Erben-Zugriff auf digitalen Nachlass: Mutter darf Facebook-Chat ihrer toten Tochter nicht lesen . In: Legal Tribune Online, 31.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23082/ (abgerufen am: 01.07.2024 )
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