Lieferheld, Uber, Airbnb – Arbeitnehmer können ihr Angebot von Leistungen per Online-Plattform vermitteln lassen. Das Problem: Wie sind die Erbringer dieser Services arbeitsrechtlich zu behandeln? Nico Kuhlmann zur aktuellen Entwicklung.
Der digitale Ureinwohner des 21. Jahrhunderts lässt sich von einem Uber-Fahrer durch die Gegend chauffieren, übernachtet mit Hilfe von Airbnb bei völlig fremden Personen und bestellt auch die ausgefallensten Essenwünsche bei Lieferheld. Alle diese Dienstleistungen werden über Plattformen im Internet vermittelt und jede stellt für den Erbringer einen einzelnen Gig dar, einen digital vermittelten Kurzzeit-Job. Eine dauerhafte Anstellung besteht nicht.
In den USA arbeiten bereits über 600.000 Personen vermittelt durch Online-Plattformen in der Gig-Ökonomie. In Deutschland ist die Anzahl noch geringer, nimmt aber wegen der geringen Marktzutrittsbarrieren und minimalen Transaktionskosten stetig zu.
Auch Juristen bieten mittlerweile ihre Dienste über Internet-Vermittler an. Das Unternehmen Axiom beispielsweise, bereits 1999 gegründet, hat mittlerweile 17 Büros auf der ganzen Welt und vermittelt unter anderem Juristen bei Bedarf als temporäre In-House Counsel an Unternehmen. Diese werden dann nur für die Monate bezahlt, die diese tatsächlich an einem Projekt arbeiten.
Anbrechende Blütezeit oder Dumpinghölle?
Je nach Blickwinkel bedeutet diese Entwicklung eine anbrechende Blütezeit für Freiberufler oder den nächsten Meilenstein der fortschreitenden Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse. Die einen loben die Flexibilität während die anderen vor der Dumpinghölle für die "Generation Praktikum" warnen. In einer Gesellschaft, in der die unkündbare Festanstellung als Idealbild propagiert wird, bilden solche Portale eine Ausbeutungsmaschinerie von Scheinselbstständigen.
Für diejenigen, die ihre Abhängigkeit von der Erwerbswirtschaft hinter sich lassen wollen, ist die Plattform-Ökonomie das Betriebssystem einer Gesellschaft, das selbstbestimmtes Arbeiten ermöglicht.
Unabhängig davon, wie man zu diesem Geschäftsmodell steht, stellt sich die Frage, wie diejenigen, die ihre Dienste auf diesen Plattformen anbieten, arbeitsrechtlich zu qualifizieren sind. Weder die Regeln für Angestellte noch die für Selbstständige repräsentieren die zugrundeliegenden Interessen hinreichend.
Hybrid aus Angestelltem und Selbstständigem
Der Angestellte auf der einen Seite kann sich auf ein regelmäßiges Gehalt freuen, hat feste Arbeitszeiten und einen Urlaubsanspruch. Im Krankheitsfall wird der Lohn fortgezahlt und der Arbeitgeber übernimmt einen Teil der Sozialabgaben. Dafür gibt der Vorgesetzte die Marschrichtung vor und die Angst vor einer Kündigung schwebt stets in unterschiedlicher Intensität wie ein Damoklesschwert in der Luft.
Der Selbstständige auf der anderen Seite kann sich seine Zeit frei einteilen und hat einen großen Gestaltungsspielraum. Bei genügend Angeboten kann sich die Arbeit frei ausgesucht werden. Dafür trägt der Selbstständige aber auch das gesamte wirtschaftliche Risiko auf seinen Schultern und wenn die Aufträge ausbleiben, dann steht dieser am Ende des Monats ohne Einkommen dar.
Die Plattformen bieten nun eine neue Kombination zwischen finanzieller Sicherheit sowie beruflicher Wahlfreiheit. Es gibt keine festen Arbeitszeiten mehr, sondern jeder kann sich nach Belieben seine Aufträge vermitteln lassen. Die traditionellen Einflussmöglichkeiten eines Arbeitgebers sind größtenteils beseitigt. Allerdings haben die Plattformen aufgrund der Wechselkosten und des Netzwerkeffekts eine immanente Tendenz zum Monopol, wodurch trotzdem eine enorme Abhängigkeit besteht. Dies gilt besonders, wenn die Plattformen auch die zu verlangenden Preise zentral festlegen.
Ein US-amerikanischer Richter, der mit der arbeitsrechtlichen Einordnung dieses neuen Betätigungsfeldes konfrontiert war, sprach zutreffend vom metaphorischen Dilemma, einen eckigen Baustein durch eines von zwei runden Löchern stecken zu müssen.
2/2: Uber als Vorreiter der Plattform-Ökonomie
In den USA waren wegen dieser Rechtsunsicherheit zwei große Sammelklagen gegen den Fahrdienstvermittler Uber anhängig, in denen Fahrer verlangt haben, nicht mehr als Selbstständige, sondern als Angestellte eingeordnet zu werden. Im April wurden beide Klagen mit einem Vergleich beendet, nach dem die Fahrer weiterhin als selbstständige Dienstleister gelten, allerdings nun mit dem Recht, eine Art Gewerkschaft zu gründen, um Anliegen kollektiv vorbringen zu können.
Dies ist in der Gig-Ökonomie von besonderer Relevanz, da einzelne Dienstleister kaum eine Chance haben, sich dagegen zu wehren, wenn eine Plattform die Preise senkt, einen größeren Anteil als Provision einbehält oder Teilnehmer komplett, beispielsweise aufgrund schlechter Bewertungen, ausschließt.
In der Vergangenheit wurde die überlegende Verhandlungsposition von Arbeitgebern mit der Bildung von Gewerkschaften beantwortet. Selbstständigen ist dieses Instrument aber grundsätzlich verwehrt, da die kollektive Durchsetzung von Preisvorstellungen oder sonstigen Anliegen eine Wettbewerbsbeschränkung darstellen würde. Was bei Angestellten eine Gewerkschaft ist, wäre bei Selbstständigen ein Kartell.
Eine neue Kategorie könnte Abhilfe schaffen
Die Lösung könnte darin bestehen, eine neue arbeitsrechtliche Kategorie einzuführen, die zwischen den bestehenden Interessen vermittelt: den "unabhängigen Arbeitnehmer". In den USA wurde dies kürzlich von zwei einflussreichen Ökonomen vorgeschlagen. Seth Harris war Arbeitsminister unter Barack Obama und ist mittlerweile unter anderem Counsel in der Arbeitsrechtspraxis der renommierten Wirtschaftskanzlei Dentons. Alan B. Krueger ist Professor für Ökonomie an der Universität in Princeton und war Vorsitzender des Rates der ökonomischen Berater des Weißen Hauses.
In ihrer Studie mit dem Titel A Prosposal for Modernizating Labor Laws for Twenty-first-Century Work: The Independent Worker versuchen sie eine Brücke zu schlagen und fordern die Einführung einer Kombinationslösung mit passenden Regeln aus beiden Kategorien. Diese unabhängigen Arbeitnehmer sollen das Recht bekommen, eine Gewerkschaft aufzubauen, und die Plattformen sollen die Sozialabgaben bezahlen müssen. Dafür würde es allerdings keinen Mindestlohn geben.
Diese unabhängigen Arbeitnehmer sollen sich unter anderem dadurch auszeichnen, dass die Gesamtheit ihrer Arbeitszeit nicht messbar ist. Die Zeit, in der ein Fahrer im Auto oder zu Hause beim Bügeln auf einen Auftrag wartet, kann nicht eindeutig zugerechnet werden, wenn dieser sowohl bei Uber als auch beim Konkurrenten Lyft registriert ist. Im Gegensatz zur Festanstellung kann ein Dienstleister seine Arbeitskraft in der Gig-Ökonomie auf mehreren Plattformen gleichzeitig anbieten.
Die Kategorie des unabhängigen Arbeitnehmers soll nach ausdrücklichem Wunsch von Harris und Krueger nicht dazu dienen, die Kosten des Arbeitgebers für Festangestellte zu senken, sondern um gegenwärtigen Scheinselbstständigen mehr soziale und finanzielle Sicherheit zu geben. Rechtlich abgesichert werden soll diese Absicht mit einer Beweislastumkehr zulasten des Arbeitgebers.
Wachstumspotenzial korreliert mit Überprüfungsbedürfnis
Bisher ist lediglich ein kleiner Bestandteil der berufstätigen Bevölkerung in der Plattform-Ökonomie aktiv. Unter Berücksichtigung der Lebensweise der digitalen Ureinwohner hat diese bisherige Randerscheinung aber ein enormes Wachstumspotenzial. Deshalb macht es Sinn, die rechtlichen Rahmenbedingungen einmal zu hinterfragen.
Leider hat sich in Deutschland eine tiefverwurzelte Skepsis gegenüber neuen Arbeitsmodellen festgesetzt. Reflexartig wird nach einem gesetzlichen Verbot gerufen und der Gesetzgeber tendiert instinktiv dazu, alte Marktteilnehmer vor neuen Geschäftsideen zu schützen. Falschverstandene Besitzstandswahrung ist Volkssport.
Selbstverständlich würden durch ein Aufbrechen der gewohnten arbeitsrechtlichen Einordnung neue Probleme entstehen. Zusätzliche Rechtskategorien resultieren wieder in neuen Abgrenzungsschwierigkeiten und Arbeitgeber könnten versuchen, diese neue Möglichkeit als Schlupfloch zu missbrauchen, um den Mindestlohn zu umgehen. Die Internationale Arbeitsorganisation hat sich deshalb in einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung kritisch mit der Einführung dieser Kombinationslösung auseinandergesetzt.
Trotzdem ist es wenig sinnvoll, unreflektiert gesetzliche Kategorien anzuwenden, die aus einer Zeit stammen, als die meisten Reisekutschen noch nicht motorisiert waren. Die Arbeitswelt verändert sich und das rechtliche Sicherheitsnetz für Arbeitnehmer sollte dies widerspiegeln.
Der Autor Dipl.-Jur. Univ. Nico Kuhlmann, Wirtschaftsjurist (Univ.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einer internationalen Wirtschaftskanzlei in Hamburg.
Nico Kuhlmann, Plattform-Ökonomie von Uber bis Airbnb: Der "unabhängige Arbeitnehmer" . In: Legal Tribune Online, 26.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19470/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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