Die Rechtsprofessoren gaben grünes Licht: Der Nachtragshaushalt 2023 entspreche den Karlsruher Vorgaben. Bedenken hatten nur die Ökonomen und der Bundesrechnungshof. Christian Rath hat zugehört.
Inzwischen hört der Haushaltsausschuss des Bundestags im Wochenrhythmus Sachverständige an, so turbulent sind die Zeiten. Vor einer Woche ging es eigentlich um den Haushalt 2024. Doch dabei stellten die Sachverständigen fest, dass bereits der Haushalt 2023 durch die neuen Buchungsvorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verfassungswidrig geworden war. Diese Woche ging es dann offiziell um den Haushalt 2023. Denn die Bundesregierung hat schnell gehandelt. Sie legte einen Nachtragshaushalt für 2023 vor und die Formulierungshilfe einer Notlagenfeststellung für das laufende Jahr.
Konkret geht es um zwei Buchungs-Korrekturen. Die Kosten für die Energiepreisbremse in Höhe von 43,2 Mrd. Euro müssen entsprechend den Karlsruher Vorgaben im Jahr 2023 verbucht werden und nicht wie von der Bundesregierung ursprünglich praktiziert im Jahr 2022, als der Wirtschaftstabilisierungsfonds hohe Kreditermächtigungen hierfür erhielt. Außerdem sollen 1,6 Mrd. Euro Aufbauhilfe für das Ahrtal nun korrekt im Jahr 2023 verbucht werden.
Dies führt zu einer erhöhten rechnerischen Schuldenaufnahme im Jahr 2023 in Höhe von 44,8 Mrd. Euro. Da damit auch im Jahr 2023 die Schuldenbremse nicht eingehalten werden konnte, will der Bundestag in der kommenden Woche erneut eine Notlage gem. Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG erklären. Die Ausgaben für die Energiepreisbremse sollen dabei mit dem russischen Überfall auf die Ukraine und die dadurch ausgelöste Energiepreiskrise gerechtfertigt werden, die Zahlungen für das Ahrtal mit dem "weiter bestehenden Erfordernis zur Beseitigung der Schäden".
Diese Notlagenerklärung billigte nicht nur Rechtsprofessor Alexander Thiele, der die Bundesregierung vor dem BVerfG vertrat, sondern auch Rechtsprofessor Hanno Kube, der die erfolgreiche Klage der CDU/CSU-Abgeordneten geschrieben hatte. "Hier wurde vertretbar dargelegt, dass 2023 noch eine Notlage besteht", sagte Kube in der Anhörung.
Ökonomen kritisieren
Kritik kam vor allem von den ökonomischen Sachverständigen. Der Finanzwissenschaftler Thiess Büttner kritisierte, dass die fortdauernden Hilfen für das Ahrtal zu gering seien, um die Finanzlage des Bundes "erheblich" zu beeinträchtigen, wie es Art. 115 GG erfordern würde. "Das ist ein geringfügiger, aber übeflüssiger Buchungstrick", sagte Büttner, der von der CDU/CSU benannt worden war.
Außerdem kritisierte Büttner, dass der Energiepreisanstieg sich nicht, wie vom Grundgesetz gefordert, "der Kontrolle des Staates entzieht". Vielmehr habe die Ampel-Koalition mit Ihrer Entscheidung, die letzten drei AKWs nach dem 15. April 2023 abzuschalten, zum Energiepreisanstieg selbst beigetragen.
Der von der AfD benannte Ökonom Fritz Söllner trieb das Argument der selbstgemachten Notlage noch weiter. "Es war eine politische Entscheidung, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, das war keine Notlage", der Staat habe den Energiepreisschock also selbst verursacht.
Vermutlich hätten derartige Argumente, die tief die politische Handlungsfreiheit des Staates berühren, beim BVerfG keine Chance.
Rückwirkende Notlage möglich
Einig waren sich alle Sachverständigen, dass es problematisch ist, die Notlage für 2023 erst am Ende des Jahres, also rückwirkend, zu erklären. "In der Regel ist das nicht zulässig", sagte Alexander Thiele. "Aber hier sind rückwirkend die Kreditermächtigungen weggefallen, deshalb muss nun auch rückwirkend die Notlage erklärt werden". Dies sei der einzige verfassungskonforme Weg, um einen verfassungskonformen Haushalt 2023 zu erhalten.
Auch Hanno Kube sprach von einer Sondersituation, in der es ausnahmsweise "vertretbar" sei, die Notlage erst am Ende des Jahres auszusprechen und zu begründen.
Ministerialrat Jan Keller vom Bundesrechnungshof warnte zwar vor verfassungsrechtlichen Risiken. Als ihn jedoch ein FDP-Abgeordneter nach Alternativen fragte, musste er passen.
Was ist mit den übrigen Sondervermögen?
Bisher waren vor allem zwei Sondervermögen im Blickpunkt der Öffentlichkeit: der Klima- und Transformationsfonds, gegen dessen trickreiche Finanzierung die CDU/CSU-Abgeordneten in Karlsruhe geklagt hatten, und der Wirtschaftstabilisierungsfonds, mit dem die Energiepreisbremse finanziert wurde. Andere Sondervermögen (außer dem kleinen Ahrtal-Fonds) blieben bisher außer Betracht. Ob das verfassungsrechtlich korrekt ist, blieb in der Anhörung ungeklärt.
Thies Büttner forderte, dass auch für alle anderen Sondervermögen das vom BVerfG stark gemachte Prinzip der Jährlichkeit gelten müsse. Kredite, die von Sondervermögen aufgenommen werden, müssten auch im Jahr der Aufnahme in die Berechnung der Nettokreditaufnahme und damit in die Prüfung der Schuldenbremse einfließen. "Sondervermögen und Kernhaushalt müssen gemeinsam betrachtet werden", betonte Büttner, "die Bundesregierung hat das Urteil immer noch nicht voll verinnerlicht". Nach seiner Rechnung läge die Schuldenaufnahme deshalb 2023 um 18 Mrd. Euro höher und wäre auch vom Nachtragshaushalt nicht gedeckt. Jan Keller und Fritz Söllner sahen dies ebenso.
Ganz anders argumentierten die regierungsnahen Sachverständigen. Der von der SPD nomminierte Rechtsprofessor Joachim Wieland erklärte: "In Karlsruhe ging es ausschließlich um Sondervermögen, die mit Notlagenkrediten finanziert wurden". Auch Alexander Thiele betonte: "Zu sonstigen Sondervermögen hat das Bundesverfassungsgericht nichts gesagt." Und Rechtsprofessor Henning Tappe, von den Grünen benannt, verwies auf das Grundgesetz. In Art. 110 heiße es ausdrücklich: "Bei Sondervermögen brauchen nur die Zuführungen oder die Ablieferungen eingestellt zu werden".
Hanno Kube hielt sich aus dem Konflikt heraus. Für ihn liegt die Priorität darauf, zunächst einmal einen verfassungskonformen Haushalt für 2023 zu verabschieden. "Die übrigen Sondervermögen müssen wir später gründlich bewerten, für den Haushalt 2024", so Kube.
Die Notlage für 2023 will der Bundestag am 14. Dezember beschließen, ebenso den Nachtragshaushalt 2023.
Sachverständige zur Haushaltskrise: . In: Legal Tribune Online, 05.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53339 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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