Seit langem umstritten: Dürfen Polizeieinsätze zum Zweck der Dokumentation gefilmt werden? Ja, meinen Christoph Schnabel und Markus Wünschelbaum. Die Zulässigkeit ergebe sich aus der DSGVO. Die Justiz müsse umdenken.
In Hamburg eskalierte ein Polizeieinsatz am Jungfernstieg: Polizeikräfte hielten einen Feuerwehrmann für einen "Corona-Spaziergänger" und attackierten ihn unverhältnismäßig. Anschließend zeigten sie das Opfer wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung an. Vor Gericht sagten die Polizist:innen einheitlich und überzeugend die Unwahrheit aus. Nur durch eine Handyaufnahme des Vorfalls konnte das Opfer in letzter Minute freigesprochen werden. Die Polizist:innen waren dann selbst Ermittlungen wegen Falschaussage und Körperverletzung im Amt ausgesetzt.
Geht es nach der herrschenden Meinung in Deutschland, wäre die Anfertigung dieser entscheidenden Aufnahme wohl strafbar gewesen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits 2015 entschieden, dass es nicht grundsätzlich unzulässig sein kann, Polizeibedienstete im Einsatz zu filmen.
Nun gehen Polizeikräfte aber anders vor: Nicht das Bild, sondern die Tonaufnahme während des Einsatzes würde die Vertraulichkeit ihrer Ansprache nach § 201 Strafgesetzbuch (StGB) verletzen. Diese Strafbarkeit richtet sich nämlich nicht nach dem Inhalt des Gesagten, sondern ob die Worte in der "Nichtöffentlichkeit", also vertraulich gefallen sind. Ob dies der Fall ist, wird in der Rechtsprechung kunterbunt unterschiedlich beurteilt.
Öffentlichkeit als Maßstab der Strafbarkeit
In Kassel etwa führen "lautstarke" Äußerungen am Bahnhof, die von einer in der Nähe befindlichen Menschengruppe mitgehört werden, zum Strafausschluss. Die Polizeikontrolle bei einer Feier von 15-20 Personen an einem Teich in Zweibrücken ist hingegen nichtöffentlich; die Aufnahme damit strafbar. Wenn allerdings 15-20 Personen in Köln feiern, wird eine sog. faktische Öffentlichkeit angenommen. Die Polizeibeamten hätten damit rechnen müssen, dass ihre Ansprache nicht vertraulich ist. Im Verkaufsraum einer Aachener Tankstelle entsteht diese faktische Öffentlichkeit schon dann, wenn ein anderer Kunde sich durch den Verkaufsraum bewegt und damit das Gespräch der Polizist:innen mitgehört haben könnte.
Steht ein unbeteiligter Dritter unmittelbar neben einer zur Seite genommenen Demonstrantin im öffentlichen Raum von München, soll es sich um ein nichtöffentlich gesprochenes Wort handeln. In Düsseldorf wird hingegen auch am Rande einer Demonstration noch eine faktische Öffentlichkeit angenommen. Für das Landgericht Osnabrück ist die faktische Öffentlichkeit an jeglicher Kreuzung in der Innenstadt gegeben; es reicht ein frei zugänglicher Verkehrsraum. Detailgenau geht es in Hamburg zu: Steht eine Personengruppe nach Aktenlage drei Meter von der Polizeikontrolle entfernt, ist das Gespräch öffentlich. In Hanau hängt es von der Technik ab: Dort entsteht die Öffentlichkeit, sobald Polizeikräfte ihre Bodycam einschalten.
Die Prüfung der faktischen Öffentlichkeit führt erkennbar zu widersprüchlichen Ergebnissen. Gerade im dicht besiedelten Deutschland könnte eigentlich jedes in der Nachbarschaft geöffnete Fenster für eine faktische Öffentlichkeit ausreichen. Das rein deskriptive Merkmal kann das eigentliche Problem, ob das Kontroll- oder Beweissicherungsinteresse eines Bürgers gegenüber den Persönlichkeitsrechten der Polizeikräfte überwiegt, gar nicht abbilden.
Unbefugt – der verkannte Tatbestandsausschluss
Doch nicht nur das: Die Rechtsprechung geht damit auch vorbei am ursprünglichen Gesetzeszweck vorbei. Denn § 201 StGB enthält ein entscheidendes Merkmal, auf welches für eine Interessenabwägung abgestellt werden könnte. Strafbar sind nämlich nur "unbefugte" Aufnahmen des vertraulichen Wortes.
In Rechtsprechung und Literatur versteht man hierunter einen – an sich unnötigen – Verweis auf die allgemeine Rechtfertigungsgründe wie Notwehr, Notstand und Einwilligung. Ein solches Verständnis missachtet die Gesetzesbegründung zu § 201 StGB. Danach sollte der Strafausschluss gerade nicht auf bestimmte Rechtfertigungstatbestände des StGB oder die Einwilligungen beschränkt sein. Vielmehr verwies der Gesetzgeber in den 1960er Jahren auf eine Abwägung anhand der Gesamtrechtsordnung, um über die Strafbarkeit zu entscheiden.
Dieser Verweis auf die Gesamtrechtsordnung führt dazu, dass heute vor allem das Datenschutzrecht das Merkmal der "Unbefugtheit" in § 201 StGB ausfüllen kann: Ist eine Aufnahme nach den Maßstäben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zulässig, kann kein unbefugtes Handeln vorliegen. Denn das EU-Datenschutzrecht regelt die Frage der Datenverarbeitung durch eine Tonaufnahme abschließend und einheitlich für die Union. Es wäre damit unvereinbar, wenn die Mitgliedstaaten eine nach der DSGVO erlaubte Handlung durch ihr nationales Strafrecht ausnahmslos kriminalisieren würden.
DSGVO als Ermöglichungsrecht
Einschlägig ist dabei der Erlaubnistatbestand des "berechtigten Interesses" in Art. 6 Abs. 1 lit f. DSGVO. Hiernach sind Aufnahmen erlaubt, wenn sie zur Wahrung berechtigter Interessen erforderlich sind und keine überwiegenden Interessen der aufgenommenen Personen entgegenstehen. Auf der einen Seite steht das Interesse des Bürgers, Beweise zu sichern gegen ein möglicherweise rechtswidriges, staatliches Hoheitshandeln. Grundsätzlich stehen die Persönlichkeitsrechte natürlich auch Polizist:innen zu. Sie müssen diese während eines hoheitlichen Einsatzes aber regelhaft zurückstellen. Denn die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben genießt regelhaft Vorrang.
Daher kommt es bei der Frage, ob Aufnahmen von Polizeieinsätzen zulässig sind, entscheidend darauf an, ob hoheitliche Befugnisse ausgeübt werden. Denn hier besteht ein klares Machtgefälle zwischen Bürger und Staatsgewalt. Dieses Ungleichgewicht spricht in der Abwägung meist für ein überwiegendes Kontrollinteresse der Öffentlichkeit. Vor allem wenn es später zu einem Gerichtsverfahren kommen könnte, in dem der genaue Inhalt des Gesprächs wichtig wird.
Pauschale Ansichten überzeugen da nicht, wenn sie Aufnahmen von Polizeieinsätzen für generell datenschutzwidrig erklären oder den Einsatz unmittelbaren Zwangs voraussetzen, um ausnahmsweise eine Aufnahme in Notwehr anzuerkennen. Dies gilt natürlich nicht unbegrenzt. Bei Routinetätigkeiten wie Streifenfahrten, Pausen und Brötchenholen besteht kein Kontrollinteresse der Öffentlichkeit. Hier müssen es sich Polizeibeamte nicht gefallen lassen, ungefragt gefilmt zu werden. Erst recht nicht, wenn die Aufnahmen sie verhöhnen oder lächerlich machen sollen.
Umdenken in der Rechtsprechung notwendig
Das Beispiel des Feuerwehrmanns vom Hamburger Jungfernstieg zeigt, wie wichtig Aufnahmen von Polizeieinsätzen sein können, um Fehlverhalten zu dokumentieren und Fehlurteile zu verhindern. Gleichzeitig wird deutlich, dass pauschale Antworten zur Zulässigkeit solcher Aufnahmen nicht weiterhelfen.
Statt auf eine widersprüchliche Rechtsprechung zur "faktischen Öffentlichkeit" abzustellen, sollte das Datenschutzrecht maßgeblich sein. Die DSGVO erlaubt Aufnahmen, wenn sie zur Wahrung berechtigter Interessen erforderlich sind und keine überwiegenden Interessen der Polizisten entgegenstehen. Die Aufnahme hoheitlichen Handelns durch Polizeikräfte ist datenschutzrechtlich zulässig und damit straffrei – auch wenn es sich nur um einen Platzverweis handelt. Andernfalls würden rechtsstaatlich gebotene und unionsrechtlich erlaubte Datenverarbeitungen kriminalisiert werden.
Die Autoren Dr. Christoph Schnabel und Markus Wünschelbaum sind beim Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit beschäftigt. Der Beitrag wurde nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst und gibt ausschließlich persönliche Auffassungen wieder.
Bei dem Text handelt es sich um eine Zusammenfassung eines wissenschaftlichen Beitrags mit Literatur- und Rechtsprechungsbelegen aus der Zeitschrift "StV - Strafverteidiger", Heft 6, 2024. Die Zeitschrift wird wie LTO von Wolters Kluwer herausgegeben. Sie ist als Abo hier erhältlich.
Aufnahmen von Polizeieinsätzen von der DSGVO gedeckt: . In: Legal Tribune Online, 01.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54461 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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