Dominique Strauss-Kahn, zentrale Figur im Kampf gegen die Euro-Krise, soll versucht haben, eine Hotelangestellte zu vergewaltigen. Als Leiter einer Internationalen Organisation genießt er eigentlich Immunität vor Strafverfolgung. Wieso die USA ihn dennoch verhaften durften, während die deutsche Polizei machtlos wäre, erklärt Przemyslaw Roguski.
Eigentlich sollte der Generaldirektor des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, sich am Sonntag mit Bundeskanzlerin Merkel treffen, um über die Griechenland-Krise zu sprechen. Am Montag sollte ein Treffen mit den EU-Finanzministern folgen. Doch dazu kam es nicht, nachdem Strauss-Kahn am Sonntag von US-amerikanischen Polizisten auf dem New Yorker Flughafen verhaftet wurde. Der Vorwurf: Versuchte Vergewaltigungm versuchter sexueller Missbrauch und nach Medienberichten auch Freiheitsberaubung einer 32-jährigen Hotelangestellten.
Grundsätzlich ist jede Person dem Recht des Staates unterworfen, in dem sie sich aufhält. Sie darf nach den Gesetzen dieses Staates von den Behörden verhaftet und wegen einer Straftat angeklagt werden. Nun ist DSK, wie Strauss-Kahn von den Franzosen auch genannt wird, allerdings keine gewöhnliche Person. Er ist Chef einer bedeutenden Internationalen Organisation. Für bestimmte Personengruppen sieht das Völkerrecht Ausnahmen von dem genannten Grundsatz vor: Es gewährt ihnen Immunität.
Zu der Personengruppe, die Immunität genießt, zählen Staatsoberhäupter und Diplomaten. Kraft ihres ausgeübten Amtes sind sie Repräsentanten ihres Staates, üben für diesen Hoheitsgewalt aus oder vertreten ihn in Kontakten mit anderen Staaten. Um diese Funktionen erfüllen zu können, gewährt das Völkerrecht Immunität vor der Strafgerichtsbarkeit.
Bei Staatsoberhäuptern und Diplomaten erstreckt sich die Immunität auf das gesamte persönliche Handeln für die Dauer der Amtszeit (die so genannte persönliche Immunität). Geschützt ist zudem das Handeln in Ausübung der Amtsfunktion (also die funktionelle Immunität).
IWF-Chef genießt persönliche Immunität nur in bestimmten Staaten
Bei der Gründung der Vereinten Nationen (UN) und verschiedener anderer Internationaler Organisationen einigten sich die Staaten darauf, auch hohen Amtsträgern dieser Organisationen in einem bestimmten Umfang Immunität zu gewähren. Die Funktionsträger sollten in Ausübung ihres Amtes nicht belangt werden dürfen, weil die Staaten den Organisationen, denen sie angehörten, internationale Rechtspersönlichkeit verliehen und bestimmte Aufgaben und Hoheitsrechte übertrugen. Manche Amtsträger wie zum Beispiel der UN-Generalsekretär genießen auch persönliche Immunität, weil ihrem Amt ähnliche Bedeutung zukommt wie dem von Staatsoberhäuptern.
Nach Art. 6, Sektion 21 der UN-Konvention über die Privilegien und Immunitäten der Spezialisierten Agenturen werden dem Leiter einer Spezialisierten Agentur dieselben Rechte und Immunitäten gewährt, wie sie auch Diplomaten gewährt werden. Annex V regelt, dass auch der IWF eine Spezialisierte Agentur in diesem Sinne ist. Diplomaten wiederum genießen gemäß Art. 29 des Wiener Diplomatenrechtsübereinkommens persönliche Immunität. Dominique Strauss-Kahn müsste also eigentlich für die Dauer seiner Amtszeit vor jedweder Strafverfolgung geschützt sein.
Die Sache hat allerdings einen Haken: Die USA sind, anders als etwa Frankreich oder Deutschland, dieser UN-Konvention nicht beigetreten. DSK kann sich also auf amerikanischem Territorium nicht auf persönliche Immunität berufen.
IWF-Vertrag schützt nicht bei Sexualverbrechen
Auf dem Gebiet der USA gilt für den IWF-Chef daher nur eine funktionale Immunität, wie sie in dem IWF-Gründungsvertrag, den sogenannten "Articles of Agreement" (AoA), festgehalten wurde. Nach Artikel IX, Sektion 8 der AoA genießt der Generaldirektor des IWF Immunität vor der Gerichtsbarkeit eines Mitgliedstaates. Sie erfasst aber nur solche Handlungen, die in Ausübung des Amtes vorgenommen wurden. Auch diese funktionale Immunität kann der IWF auf Antrag aufheben.
Welche Handlungen zu den Amtshandlungen oder "offiziellen Handlungen" zählen, ist im Einzelnen umstritten. Nicht eindeutig wäre zum Beispiel, ob Verstöße gegen das Wirtschaftsstrafrecht verfolgt werden dürften oder nicht. Vergehen gegen Leib und Leben oder die sexuelle Selbstbestimmung eines Menschen aber sind keine Handlungen, die in offizieller Funktion getätigt werden.
Dominique Strauss-Kahn durfte also von den New Yorker Polizisten festgenommen werden. Anders wäre dies allerdings, wenn die USA der einschlägigen UN-Konvention beigetreten wären - oder der angebliche Vorfall sich beispielsweise in Deutschland ereignet hätte. Ein Zimmermädchen des Adlon-Hotels hätte bei gleicher Ausgangslage eine Verhaftung von DSK nicht bewirken können.
Der Autor Przemyslaw Nick Roguski, Mag. Iur. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Internationales Wirtschaftsrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
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Przemyslaw Roguski, Festnahme von "DSK": . In: Legal Tribune Online, 16.05.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3288 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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