Muss ein Lizenznehmer die Lizenzgebühren auch dann zahlen, wenn er die lizenzierte Technologie gar nicht im Sinne des Patents nutzt und dieses später widerrufen wird? Unter Umstände schon, meint der EuGH.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) musste sich am Donnerstag mit der Frage auseinandersetzen, wofür genau der Lizenznehmer einer patentierten Technologie eigentlich zahlt: Für die Nutzung des Patents? Für das Recht, die Technologie als solche nutzen zu dürfen? Oder nur für das Recht, nicht (möglicherweise zu Unrecht) verklagt zu werden, falls er ein Schutzrecht verletzen sollte? Die Luxemburger Richter entschieden sich für die dritte Variante.
Prozessual Klägerin, im Ausgangsverfahren aber Beklagte, war ein Gentechnikunternehmen namens Genentech. Dieses hatte 1992 eine nicht ausschließliche, weltweite Lizenz zur Nutzung eines aus dem menschlichen Cytomegalovirus abgeleiteten patentierten DNA-Strangs ("Enhancer") erworben. Der dem deutschen Recht unterliegende Lizenzvertrag sah u. a. eine laufende Lizenzgebühr in Höhe von 0,5 % auf Grundlage der Umsätze mit "finished products" vor. Das von der Lizenz umfasste europäische Patent wurde im Jahr 1999 widerrufen, während zwei US-Patente fortbestanden. Genentech nutzte den Enhancer lediglich in einer Weise, die nicht vom Patent geschützt war (und die, selbst wenn sie geschützt gewesen wäre, aufgrund des Widerrufs des europäischen Patents keine Verletzungsansprüche seitens der Patentinhaberin begründet hätte).
2008 kündigte Genentech den Lizenzvertrag, nachdem das Unternehmen sich zuvor geweigert hatte, Lizenzgebühren zu bezahlen. In einem anschließenden Schiedsverfahren wurde Genentech zur Zahlung der laufenden Lizenzgebühren bis zur Kündigung des Lizenzvertrages verurteilt. Hiergegen richtete sich das Unternehmen mit einer Rechtsmittelklage vor dem Cour d’appel de Paris, der die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt hat.
Lizenzgebühr als Preis, um sich gegen Verletzungsklagen zu schützen
Der EuGH gab der Lizenzgeberin mit Urteil vom 7. Juni 2016 Recht (Az. C-567/14).
Nach Auffassung des EuGH steht das Wettbewerbsrecht einem Lizenzvertrag nicht entgegen, der die Zahlung von Lizenzgebühren für die Verwendung der lizenzierten Technologie auch dann vorsieht, wenn diese Verwendung keine Patentverletzung darstellt und das zugrundeliegende Patent zudem für nichtig erklärt wird. Die Lizenzgebühr stelle den Preis dar, der vom Lizenznehmer für die kommerzielle Nutzung der patentierten Technologie zu zahlen sei, um Gewissheit zu haben, vom Lizenzgeber nicht wegen Patentverletzung in Anspruch genommen zu werden. Wer aus kaufmännischen Erwägungen heraus einen Lizenzvertrag abschließt, um die lizenzierte Technologie als solche ohne das Risiko einer Verletzungsklage nutzbar machen zu können, soll dafür also auch Lizenzgebühren zahlen müssen, wenn das Patent selbst gar nicht verletzt wird.
Einen Wettbewerbsverstoß sieht der EuGH darin deshalb nicht, weil Genentech den Vertrag jederzeit frei kündigen konnte. Der Lizenznehmer kann somit entweder ohne Prüfung der Verletzungssituation Lizenzgebühren weiterzahlen oder den Vertrag kündigen und damit das Risiko eingehen, aus Patentverletzung (noch fortbestehender Schutzrechte) in einem gegebenenfalls langwierigen und kostspieligen Verfahren in Anspruch genommen zu werden.
Der EuGH, der inhaltlich den Schlussanträgen des Generalanwalts Wathelet vom 17. März 2016 folgt, knüpft damit hinsichtlich der Lizenzgebührenpflicht trotz Wegfalls des Schutzrechts an seine Rechtsprechung in der Entscheidung "Ottung" (EuGH v. 12.05.1989, Az. 320/87; EU:C:1989:195) an.
Alles eine Frage der Auslegung
Bei der Auslegung von Lizenzverträgen ist maßgeblich darauf abzustellen, ob die Lizenzgebühr nur konkrete Patentnutzungen abgelten soll oder nach dem Willen der Parteien – im Sinne des "freedom to operate"-Gedankens und ähnlich wie bei negativen Lizenzen – der Umstand im Vordergrund steht, eine Inanspruchnahme wegen (behaupteter) Schutzrechtsverletzung zu vermeiden.
Wer Lizenzgebühren nur für solche Produkte zahlen will, die vom Schutzbereich eines bestehenden Patents umfasst sind, sollte das ausdrücklich vereinbaren. Will man sich hingegen die Mühe sparen, zu prüfen, ob der Einsatz der lizenzierten Technologie unter den Schutzbereich des Patents fällt, kann die Vereinbarung einer laufenden Lizenzgebühr für bestimmte Produkte dazu führen, dass man Lizenzgebühren für Nutzungen zahlt, die der Lizenzgeber an sich gar nicht verbieten könnte. In einem solchen Fall hilft nur die Kündigung.
Der Autor Niklas Kinting ist als Rechtsanwalt bei CBH Rechtsanwälte schwerpunktmäßig im Bereich technischer Schutzrechte tätig.
EuGH zu Lizenzgebühren bei nicht genutzten und nichtigen Patenten: . In: Legal Tribune Online, 07.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19916 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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