VW, Siemens, Deutsche Bank: Sehen sich Unternehmen im strafrechtlichen Krisenfall erstmals mit Ermittlungen aus unterschiedlichen Ländern konfrontiert, stellen sich für die Betroffenen neue Fragen. Ein Überblick von Dr. Oliver Sahan.
VW-Abgasaffäre, Panama Papers, die Deutsche-Bank-Skandale der letzten Jahre – die aktuell prominentesten Beispiele strafrechtlicher Ermittlungen gegen Unternehmen weisen eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit auf: Sie werden nicht allein durch die Verfolgungsbehörden eines einzigen Landes betrieben.
Doch auch abseits dieser medial viel beachteten Fälle ist das keine Seltenheit. Aufgrund der grenzüberschreitenden Tätigkeiten zahlreicher Unternehmen in einer globalisierten Welt stehen diese im strafrechtlichen Krisenfall beinahe zwangsläufig internationalen Ermittlungen gegenüber. Neben all den Herausforderungen, die Krisenfälle ohnehin mit sich bringen, stellen sich den Betroffenen zusätzliche Fragen: Wie groß sind die Verfolgungs- und Sanktionsrisiken? Und wie reagiert man am besten?
USA in der Vorreiterrolle, UK besonders streng
Das traditionell größte Ermittlungs- und Sanktionsrisiko für ausländische Unternehmen droht aus den USA. In der berühmt gewordenen Siemens-Korruptionsaffäre zahlte der Konzern 900 Millionen Dollar an US-Behörden. Auch für Volkswagen ist die strafrechtliche Drohkulisse in den USA bereits weit aufgespannt. Die USA erweisen sich dabei nicht nur als konsequentes Land in Sachen Strafverfolgung: Aufgrund exterritorial anwendbarer Gesetze reicht die Sanktionsgewalt sehr weit. Insbesondere der Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) ermöglicht eine US-amerikanische Verfolgung korruptiver Handlungen weit über die USA hinaus. Die konsequente Anwendung der eigenen Strafgesetze erfolgt dabei, sobald nur geringste Anknüpfungspunkte zu den USA bestehen. So kann etwa bereits ein E-Mail-Versand über einen amerikanischen Server als Ermittlungsgrund ausreichen.
Daneben hat auch das Vereinigte Königreich mit dem U.K. Bribery Act ein Gesetz erlassen, das darauf abzielt, Korruptionstaten über die eigenen Staatsgrenzen hinweg zu bekämpfen. Aufgrund der materiellen Ausgestaltung verdiente sich das Gesetz schnell den Titel als strengstes Anti-Korruptionsgesetz der Welt. Dabei galt der UK Bribery Act mangels Anwendung in den ersten Jahren eher als Scheinriese, lediglich eine Hand voll Individualverurteilungen stützten sich auf das Gesetz. Verschärft sich die Wettbewerbssituation durch den Brexit, dürfte auch dies das Sanktionsinteresse gegenüber ausländischen Unternehmen fördern.
Europa und Deutschland setzen eher auf Kooperation
Die übrigen Staaten der Europäischen Union definieren ihre Bemühungen um grenzüberschreitende Strafverfolgung derzeit noch vornehmlich über eine verstärkte behördliche Vernetzung. Vielfach werden Ermittlungsverfahren in Europa über gemeinsame Stellen, wie etwa das OLAF (Office Européen de Lutte Anti-Fraude), der Stelle zur Überwachung des Einsatzes von EU-Mitteln, EUROJUST und EUROPOL, angestoßen oder koordiniert. Vor diesem Hintergrund passt es ins Bild, dass die Diskussionen über eine europäische Staatsanwaltschaft deutlich weiter fortgeschritten ist, als die um die Etablierung eines materiellen europäischen Strafrechts.
Das deutsche Strafrecht erfasst bereits heute eine Vielzahl von Auslandssachverhalten. Durch verschiedene Gesetzesinitiativen, etwa im Bereich der Steuer- und Korruptionsbekämpfung, ist das materielle Recht zudem in den letzten Jahren bewusst in diese Richtung angepasst worden. Nicht selten übersehen wird zudem die strukturelle Reichweite von Unternehmensgeldbußen. Fällt die Tathandlung eines ausländischen Unternehmensvertreters unter die deutsche Sanktionsgewalt – zu erinnern ist an die enorme Reichweite des Territorialitäts- und Personalitätsprinzips der §§ 3 ff. Strafgesetzbuch –, so ermöglicht § 30 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten im Falle der Betriebsbezogenheit grundsätzlich auch die Verhängung von Geldbußen gegen die ausländische Einheit.
Wirtschaftsstrafverfolgung als Einnahmequelle und Abschreckung
Schon bei der nationalen Verfolgung wirtschaftsstrafrechtlicher Sachverhalte ist die fiskalische Motivation deutlich zu erkennen. Die Nationalstaaten haben das Wirtschaftsstrafrecht längst als haushaltsrelevante Einnahmequelle erschlossen. Die Verfolgung von Auslandstaten und Auslandstätern schafft zusätzliche Möglichkeiten. Anders als mit der Bekämpfung anderer grenzüberschreitender Delikte lässt sich mit der Verfolgung von Wirtschaftskriminalität sogar Geld machen.
Darüber hinaus scheint in Anlehnung an die ökonomischen Theorien der Verbrechensforschung bei Strafverfolgern die Überzeugung zu bestehen, dass Entscheidungen im Wirtschaftsumfeld oftmals auf reinen Kosten-Nutzen-Rechnungen basieren und somit nur die Sorge vor erheblichen finanziellen Sanktionen und einer umfassende Gewinnabschöpfung kriminelle Verhaltensweisen wirksam bekämpfen können.
2/2: Schutz der eigenen Wirtschaft als Nationalinteresse
Vielfach wird Wirtschaftskriminalität im Ausland zudem als Bedrohung der eigenen Wirtschaft und insofern als internationale Wettbewerbsbeeinträchtigung wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund wollen Nationalstaaten die Sanktionierung ausländischer Unternehmen nicht allein der Strafverfolgung in deren Sitzländern überlassen.
Im Fokus stehen häufig gerade die Tatbestände, in denen sich der zwischenstaatliche Wettbewerb am stärksten bemerkbar macht. In den vergangenen Jahren ist auch zunehmend ein Trend zur internationalen Bekämpfung der grenzüberschreitenden Steuerhinterziehung erkennbar. Hier sorgen internationale Abkommen für einen Datenaustausch, der Verfahren ermöglicht, denen zuvor unüberwindbare rechtliche Grenzen gesetzt waren.
Zu erwarten sein wird in der Zukunft auch die verstärkte Verfolgung der Korruption in der Privatwirtschaft. Dieser im Westen anerkannte Straftatbestand ist in aufstrebenden Wirtschaftsnationen noch nicht vergleichbar im Fokus. Die großen Wirtschaftsnationen werden den internationalen Druck zur Bekämpfung auch dieser Korruptionsausprägung voraussichtlich erhöhen.
Geldstrafen und Blacklistings als beliebteste Sanktionen
Die Sanktionsvielfalt hält sich dabei in Grenzen. Je nach nationalstaatlichem Regime drohen strafrechtliche Sanktionen gegen den Verband selbst, die zwar bis hin zur Auflösung eines Unternehmens reichen. Im Regelfall droht dem betroffenen Unternehmen jedoch eine – zumeist empfindliche – Strafzahlung. Zudem droht wie im Inland die Abschöpfung desjenigen, was das Unternehmen durch kriminelle Handlungen seiner Mitarbeiter erlangt hat.
Bei Korruptionsstraftaten oder Embargoverstößen können betroffenen Unternehmen außerdem der Ausschluss von Ausschreibungen und ein "Blacklisting" drohen, was erhebliche Einschränkungen für die unternehmerischen Tätigkeiten mit sich bringen kann. In strafrechtlichen Verfahren besteht zudem stets auch die Möglichkeit persönlicher Sanktionen gegen Führungskräfte.
Unternehmen nicht zwangsläufig in der Rolle des Verfolgten
Insbesondere für international tätige Unternehmen werden die Herausforderungen in strafrechtlicher Hinsicht nicht weniger. Wichtig ist, die rechtlichen Anforderungen aller betroffenen Rechtsordnungen zu ermitteln und diese bewerten zu können, um gesetzeskonformes Verhalten in allen Regionen vorgeben und durchzusetzen zu können.
Kommt es zum strafrechtlichen Krisenfall, gilt es, schnellstmöglich die verschiedenen nationalen Behörden im Blick zu haben. Aufgrund der zum Teil weit fortgeschrittenen, internationalen Vernetzung auf Seiten der Ermittler ist eine konsistente Strategie auf Unternehmensseite unvermeidlich. Das Unternehmen wird gezwungen sein, an allen Krisenherden auf Grundlage einer abgestimmten Vorgehensweise mit Ermittlungsbehörden zu kommunizieren und gegebenenfalls zu kooperieren.
An dieser Stelle vermag das Unternehmen schließlich sogar aus der Not eine Tugend zu machen: Die trotz aller Vernetzung freilich bestehenden zeitlichen Verzögerungen im grenzüberschreitenden behördlichen Informationsfluss schaffen für Unternehmen Möglichkeiten, um aus der passiven Verfolgtenrolle gegenüber verschiedenen Behörden in eine aktivere Aufklärungsrolle zu wechseln.
Schadensbegrenzung durch rechtliches Taktieren
Auch für den Fall, dass sich internationale Ermittlungen nicht vermeiden lassen, schafft ein solides grenzüberschreitendes Krisenmanagement Möglichkeiten, Verfahren signifikant zu beeinflussen. Je nach Fallgestaltung und beteiligten Rechtsräumen können dabei vor dem Hintergrund strafrechtlicher Prinzipien wie dem Doppelbestrafungsverbot gar strategische Ansätze entstehen, um weitreichende Sanktionen einzelner Länder durch Kooperation in einem anderen Land zu sperren.
Entdeckt beispielsweise ein Unternehmen, dass einzelne seiner Mitarbeiter in der Vergangenheit mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen international an Aufträge gelangten, und betreffen diese Vorgänge mehrere Jurisdiktionen, so ist es ratsam zu prüfen, ob hieraus ein Vorteil für das Unternehmen erwachsen könnte. Verfolgt nämlich eines der betroffenen Länder die Korruption mit härteren Sanktionen als die anderen, könnte eine zügig erreichte Sanktionierung in einem nachsichtigeren Land eine strengere Ahndung sperren.
Die größte Herausforderung ist in diesen Fällen häufig, sicherzustellen, dass die erste Sanktionierung das Verhalten der Mitarbeiter und etwaige Organisationsdefizite so weit erfasst, dass der Strafklageverbrauch tatsächlich in vollem Umfang erwächst.
Der Autor Dr. Oliver Sahan ist Rechtsanwalt und Managing Partner bei Roxin Rechtsanwälte am Standort Hamburg. Sein Schwerpunkt liegt in der Verteidigung von Unternehmen bei wirtschaftsstrafrechtlichen Vorwürfen und er betreut Mandanten vornehmlich im Zusammenhang mit Korruption und Steuerhinterziehung.
Dr. Oliver Sahan, Internationale Ermittlungen gegen Unternehmen: Eine Grenze, mehrere Verfolger . In: Legal Tribune Online, 14.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20817/ (abgerufen am: 06.07.2024 )
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