Mit zwei aktuellen Beschlüssen erklärt das BVerfG die Durchsuchung von Redaktionsräumen eines Rundfunksenders für verfassungswidrig. Karlsruhe straft damit einmal mehr die mangelnde Verhältnismäßigkeit ermittlungsbehördlicher Maßnahmen ab. Martin W. Huff über ein spätes, aber sehr eindeutiges Bekenntnis zur Presse- und Rundfunkfreiheit.
Beiden am Mittwoch veröffentlichen Beschlüssen der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschl. v. 10.12.2010, Az. 1 BvR 1739/04 und 2020/04) lag der gleiche Sachverhalt zugrunde, nur aufgeteilt nach zwei Rechtskomplexen. Um die Bedeutung der Entscheidungen zu verstehen, ist ein Blick auf den Tatbestand notwendig.
Der Beschwerdeführer, ein eingetragener Verein, betreibt den Hamburger Rundfunksender "Freies Sender Kombinat (FSK)". Im Rahmen einer von ihm im Oktober 2003 ausgestrahlten Sendung wurde ein Beitrag gesendet, der sich mit angeblichen Übergriffen von Polizeibeamten bei einer Demonstration beschäftigte. Ein zunächst unbekannt gebliebener Moderator spielte die Mitschnitte von zwei Telefongesprächen ein, die zwischen einem Pressesprecher der Polizei und einem Mitarbeiter des Senders geführt worden waren.
Angeblich hatte der Pressesprecher keine Zustimmung zu der Aufnahme und Wiedergabe des Gesprächs erteilt. Auf die Strafanzeige des Landeskriminalamtes leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB)) ein. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung der Geschäftsräume des Beschwerdeführers an. Es lägen begründete Tatsachen für die Annahme vor, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln führen werde, insbesondere des die Gespräche wiedergebenden Tonträgers, sowie von Unterlagen, die Aufschluss über die Identität des Anrufers und der weiteren Verantwortlichen gäben.
Grundflächenskizzen auf der Suche nach einem Anrufer
Das Landgericht Hamburg wies die hiergegen erhobene Beschwerde als unbegründet zurück. Der Durchsuchungsanordnung stehe im Hinblick auf den gesuchten Tonträger und die Unterlagen nicht das Beschlagnahmeverbot aus § 97 Abs. 5 StPO entgegen. Sie sei auch nicht unverhältnismäßig, da es sich bei § 201 StGB nicht um ein Bagatelldelikt handele und die Durchsuchung keinen schweren Eingriff in den Sendebetrieb des Beschwerdeführers darstelle.
Im Zuge der Durchsuchung wurden Grundflächenskizzen und Lichtbilder von allen Räumlichkeiten der Rundfunkanstalt angefertigt sowie ein Notizbuch und diverse Aktenordner mit Redaktionsunterlagen sichergestellt, von denen die Staatsanwaltschaft vor ihrer Rückgabe an den Beschwerdeführer teilweise Kopien fertigte. Während der Durchsuchung gab sich ein Mitarbeiter des Beschwerdeführers als Moderator der Sendung und Anrufer zu erkennen.
Die Anträge des Beschwerdeführers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorgenannten Ermittlungsmaßnahmen sowie auf Vernichtung der gefertigten Skizzen, Lichtbilder und Kopien wies das Amtsgericht durch weiteren Beschluss zurück; die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb vor dem Landgericht ebenfalls ohne Erfolg.
Der Mitarbeiter, der die Mitschnitte gefertigt hatte, wurde wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes unter Vorbehalt der Verurteilung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 18,00 € verwarnt.
Im Anschluss an "Cicero": Rundfunkfreiheit verletzt
Mit beiden Verfassungsbeschwerden rügt der Sender die Verletzung seines Grundrechts auf Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG). Und weit überwiegend haben die Verfassungsbeschwerden Erfolg. Die Karlsruher Richter sehen eine deutliche Verletzung der Rundfunkfreiheit durch die staatlichen Behörden.
Das BVerfG selbst sieht in den Entscheidungen eine Umsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung. Die Richter beziehen sich insbesondere auf die Cicero-Entscheidung aus dem Jahr 2007 (BVerfG, Urt. v. 27.2.2007, Az. 1 BvR 538/06 u.a.) und das Urteil vom 12. März 2003 (1 BvR 330/96 u.a.), in dem es um den Schutzbereich der Redaktionsarbeit ging. Daher konnte nach der Senatsentscheidung durch Kammerbeschluss entschieden werden.
Liest man die Begründungen aber genau, gehen sie doch weiter als bisher, sind sie auch eine Fortführung der bisherigen Rechtsprechung.
Die Rundfunkfreiheit schützt auch Organisatorisches
Geschützt sind, so die Kernaussagen, die Geheimhaltung der Informationsquellen und das Vertrauensverhältnis der Medien zu ihren Informanten. Dieses verwehrt es staatlichen Stellen grundsätzlich, sich einen Einblick in die Vorgänge zu verschaffen, die zur Entstehung von Nachrichten und Beiträgen führen. Entsprechend dieser Zielrichtung fallen, so stellen die Richter klar, unter den Schutz des Redaktionsgeheimnisses nicht nur Unterlagen eigener journalistischer Recherche. Vielmehr sind auch organisationsbezogene Unterlagen des Medienunternehmens geschützt, aus denen sich redaktionelle Arbeitsabläufe, redaktionelle Projekte oder auch die Identität der Mitarbeiter einer Redaktion ergeben.
Die Durchsuchung in den Räumen eines Medienunternehmens stellt wegen der damit verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit sowie der einschüchternden Wirkung der Durchsuchung eine Beeinträchtigung des Grundrechts des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG dar.
Zwar sei die Rundfunkfreiheit nicht schrankenlos gewährleistet, sondern unterliege den allgemeinen Gesetzen. Aber nur, weil die allgemeinen Gesetze eine Durchsuchung erlaubten, dürfe diese noch nicht durchgeführt werden. Denn hier sei immer eine – dies hatte das Gericht schon in der Cicero-Entscheidung klargestellt – Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich, die gerade die Bedeutung des Art. 5 GG berücksichtigen müsse.
BVerfG: Keine Gedanken über die Verhältnismäßigkeit gemacht
Und verhältnismäßig seien die Maßnahmen nicht gewesen, besonders wenn man auch die presserechtlichen Vorschriften etwa in der Strafprozessordnung berücksichtige.
Zwar habe ein Anfangsverdacht gegen den Moderator durchaus bestanden, die Art und Weise der Durchsuchung und der Dokumentation aber bewerten die Karlsruher Richter mit deutlichen Worten als unverhältnismäßig. Weder bei der Anordnung der Durchsuchung noch bei deren Durchführung habe man sich Gedanken über die Verhältnismäßigkeit gemacht. Auch die Gerichte hätten dazu keine Ausführungen gemacht, sondern einfach die Ansicht der Staatsanwaltschaft bestätigt.
Erstaunlich ist es schon, mit welcher Vehemenz die Behörden hier vorgegangen sind. Anders sah dies noch bei dem Interview der damaligen hessischen SPD-Vorsitzenden Andrea Ypsilanti aus, die im September 2008 auf einen Stimmenimitator des Senders ffn hereingefallen war und mehrere Minuten mit dem Imitator telefonierte in der Annahme, es handele es sich tatsächlich um Franz Müntefering, für den sich der Anrufer ausgab.
Der Sender und auch die Plattform YouTube, bei der das Interview kurze Zeit später auftauchte, wurden strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen, alle Verfahren wurden von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Auch hier wären Durchsuchungen und ähnliches möglich gewesen, sinnvollerweise hat die Staatsanwaltschaft Hannover im Jahr 2008 davon abgesehen.
Ermittlungsbehörden aufgepasst: Konsequent medienfreundlicher Kurs
Die drei Verfassungsrichter setzen mit ihrer Entscheidung den sehr konsequenten medienfreundlichen Kurs seit der Cicero-Entscheidung fort. Noch stärker als bisher müssen die Ermittlungsbehörden eine Interessenabwägung zwischen der Aufklärung (vermeintlicher) Straftaten und dem Schutz der Medienfreiheit vornehmen. Dieser Ansatz ist uneingeschränkt zu begrüßen. In der Praxis tun dies schon viele Staatsanwaltschaften, wie die Erfahrung zeigt. In Hamburg war man allerdings dazu nicht bereit, aus welchen Gründen auch immer.
Richtig wäre – bei dem Verdacht des Verstoßes gegen § 201 StGB durch den Mitarbeiter der Senders – Folgendes gewesen: Zunächst hätte ermittelt werden müssen, wer der Moderator der Sendung mit dem Interview an diesem Tag war. Dies wäre meines Erachtens durch Auskünfte des Senders möglich gewesen, auch ohne den Ermittlungszweck zu gefährden.
Wenn man dies aber nicht wollte, hätte die angesetzte Durchsuchung dann abgebrochen werden müssen, als sich der Moderator als Verantwortlicher vor Zeugen zu erkennen gegeben hatte. Warum dann noch weitere Durchsuchungsmaßnahmen erforderlich gewesen sein sollten, erschließt sich mir nicht. Und dass Grundrisszeichnungen etc. angefertigt wurden, kann man wohl nur mit Übereifer erklären.
Die Entscheidung zeigt aber auch, dass die Kritik der Bundesrechtsanwaltskammer und des Deutschen Richterbunds am Entwurf eines Pressefreiheitsstärkungsgesetzes berechtigt ist. Mit der Gesetzesänderung wäre diese Durchsuchung nicht verhindert worden, denn es ging nicht um eine Beihilfehandlung, sondern um die direkte Tatbeteiligung eines Journalisten. Und dass hier ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden durfte, steht auch außer Frage.
Schade ist nur, dass die Richter sich so lange Zeit ließen, bis sie seit gut sechs Jahren anhängigen Verfahren entschieden. Warum geschah dies nicht im Zusammenhang mit der Cicero-Entscheidung des Gerichts, kann man schon fragen, sondern brauchte auch dann noch einmal nahezu drei Jahre?
Der Autor Rechtsanwalt Martin W. Huff ist Rechtsanwalt und Journalist in Leverkusen und Lehrbeauftragter für Medienrecht bei der Forschungsstelle Medienrecht der Fachhochschule Köln.
Martin W. Huff, Durchsuchung in Medienunternehmen: . In: Legal Tribune Online, 06.01.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2281 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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