Die Düsseldorfer Rheinbahn hat als örtliches Nahverkehrsunternehmen häufig mit Falschparkern zu kämpfen. Nun will sie "Knöllchen" verteilen. Bei Robert Hotstegs sorgte die Nachricht für Kopfschütteln.
Die Situation ist alltäglich: Die Straßenbahn biegt um die Ecke, bleibt stehen und schaltet alle Blinker an. Es gibt kein Fortkommen, denn in der Kurve parkt ein Pkw. Natürlich ist dort Parken verboten, doch der Autofahrer hat es aber nicht so eng gesehen – zumindest nicht so eng, wie es nun der Straßenbahnfahrer sieht. Denn sein Fahrzeug ist schienengebunden. Einen starren Aufbau hat es auch noch und damit "schneidet" die Straßenbahn jede Kurve. Und dort ist das Auto nun im Weg.
Wenn überhaupt kein Vorbeikommen möglich ist, bleibt einem Straßenbahnführer nichts anderes übrig, als das Ordnungsamt zu verständigen und dafür zu sorgen, dass das Amt das Fahrzeug aus dem Weg schleppt. Ein Vorgang, der Zeit kostet, aber in der Regel von der Verkehrsüberwachung zumindest der Landeshauptstadt zügig bearbeitet wird. Denn eine Straßenbahn kann schnell für Staus in der ganzen Stadt sorgen, von den automatisch notwendigen Umleitungen für alle nachfolgenden Bahnen ganz zu schweigen.
Dann gibt es aber noch die zweite Fallkonstellation: Der Pkw steht zwar ungünstig, aber mit sehr viel Geduld, kritischem Blick und schrittweisem Tempo kann die Bahn an einem Falschparker vorbeizukommen. Hier sollen in Düsseldorf zukünftig die Fahrer ein Rheinbahn-Knöllchen verteilen.
Ohne Auftritt des Ordnungsamtes vor Ort will die Rheinbahn selbst eine entsprechende Nachricht am Scheibenwischer hinterlassen. Das gehe schneller und effektiver. Eine umfassende Dokumentation des Fehlverhaltens des Autofahrers werde dann an die Stadtverwaltung gesandt und von dort geahndet.
Größte OWiG-Sensation seit 1968?
Die Pressemitteilung zu dieser Sensation war kaum verschickt, da griffen alle Medien zu. Die Lokalmedien ohnehin, aber auch im weiteren Umfeld begannen Journalisten zu recherchieren: "Wie funktioniert das denn hier vor Ort? Will man sich das nicht bei der Rheinbahn abgucken? Die haben echt einen Kniff im Gesetz entdeckt!"
Bei Lichte betrachtet will man der Rheinbahn nicht zu nahe treten, aber die große Sensation verblasst wohl, wenn man sieht, dass das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) seit 1968 darauf abstellt, dass Verkehrsverstöße und andere Ordnungswidrigkeiten nur von Amts wegen verfolgt werden. Schon immer verweist § 46 OWiG auf die Vorschriften der Strafprozessordnung und damit auch auf die dortigen Möglichkeiten zur Anzeigeerstattung. Hat die Rheinbahn also womöglich fünfzig Jahre Anzeigen verpasst?
Nein, sicherlich nicht. Sie will offenbar nur die gesetzlichen Möglichkeiten besser nutzen und sich und ihre Mitarbeitenden besser vorbereiten. Denn die Rheinbahn ist in ihrem Betriebsablauf durch Falschparker behindert, sie kann also eigene Rechtsverletzungen geltend machen. Das unterscheidet sie von Unbeteiligten, die auch gerne mal ein Knöllchen schreiben möchten.
Knöllchen Horst schrieb über 10.000 Anzeigen
Unvergessen ist sicherlich der Fall des "Knöllchen-Horst", der mehr als 10.000 Falschparker im Kreis Osterode angezeigt haben soll, darunter auch einen "falschgeparkten" Rettungshubschrauber im Notfalleinsatz. Auch er konnte selbstverständlich Anzeigen an das Ordnungsamt richten. Er beobachtete allerdings, dass diese kaum bearbeitet wurden.
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) bestätigte ein entsprechendes Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Göttingen (Beschl. v. 23.09.2013, Az. 13 L A 144/12), das diese Verwaltungspraxis guthieß. "Knöllchen-Horst" messe sich die Rolle eines Ermittlungsbeamten an, so die Richter des OVG Lüneburg damals. Er verfolge kein schützenswertes Eigeninteresse. Ihm gehe es nur "um die Pflege eines recht speziellen Hobbys". Wenn eine Bußgeldbehörde solche Fälle bearbeiten müsste, hätte eine Privatperson Einfluss auf den Umfang, in dem eine staatliche Stelle Personal einsetzt. Ein solcher Einfluss stehe selbst ernannten Ordnungswächtern aber nicht zu. Und einen Anspruch auf Auskunft darüber, was aus den Anzeigen wurde, gebe es auch nicht.
2/2: Berufsperspektive für "Knöllchen-Horst"
Knöllchen-Horst könnte sich nun als Fahrer bei der Rheinbahn bewerben. Fahrdienstmitarbeiter könnten mit selbstgemachten Rheinbahn-Knöllchen und mit dem Ordnungsamt drohen. In den allermeisten Fällen ist damit zu rechnen, dass die Anzeigen auch bearbeitet werden. Vorausgesetzt die Rheinbahn wurde auch tatsächlich behindert.
Der Rheinbahn steht als Unternehmen sogar ein Auskunftsrecht zu. Nur ein Schicksal würde auch Knöllchen-Horst nicht umgehen können: § 46 Abs. 3 S. 3 OWiG schließt das Klageerzwingungsverfahren aus. Das war es auch, was das OVG Lüneburg besonders betont hat: Nur die Ordnungsbehörde entscheidet über Einleitung des Verfahrens und Verfolgung des Verstoßes, keine Privaten.
Schon 1996 stellte das Amtsgericht (AG) Tiergarten fest: "Denn die Feststellung von Ordnungswidrigkeiten im Rahmen der Verkehrsüberwachung ist eine typische Hoheitsaufgabe, die zum Kernbereich staatlicher Verwaltung gehört. Zur Mitwirkung bei der Feststellung von Ordnungswidrigkeiten sind Privatpersonen (…) grundsätzlich nicht befugt. Die Verkehrsüberwachung ist Ausfluss der Zuständigkeit für die Verfolgung von Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten (§ 36 I Nr. 1 OWiG, § 26 I 1 Straßenverkehrsgesetz, StVG). (...) Zur Verfolgung gehört auch die selbstständige und eigenverantwortliche Ermittlungsarbeit. In dieser Ermittlungsarbeit ist der Beginn der Verfolgungshandlung zu sehen. (...)" (Urt. v. 24.04.1996, Az. 304a OWi 467/96; NStZ-RR 1996, 277). Daran hat sich im Kern nichts geändert.
Keine Amtsanmaßung durch die Fahrer
Bleibt die Frage offen, was die Rheinbahn eigentlich unter den Scheibenwischer klemmt. Ein "Knöllchen" ist es nicht, das folgt erst durch das Ordnungsamt. Aber der Hinweiszettel sieht so ähnlich aus. Layout und Formulierung sind eng an vergleichbare Schreiben von Ordnungsämtern angelehnt. Geriert sich damit die Rheinbahn wie ein Ordnungsamt? Handelt es sich um eine Amtsanmaßung im Sinne des § 132 StGB?
Wohl nein. Denn die Postkarte der Rheinbahn stellt bei Lichte betrachtet nur möglichen weiteren Schriftverkehr in Aussicht. Zwar klingt es amtlich, wenn bereits auf die Möglichkeit eines Einspruchs hingewiesen wird. Aber anmaßend im strafrechtlichen Sinne ist es nicht.
Und so müssen sich also weder Rheinbahnfahrer noch Knöllchen-Horst hierum Sorgen machen. Auch andere Verkehrsbetriebe haben keinen Grund zu neidischen Blicken in die NRW-Landeshauptstadt. Zwar klang es ein bisschen wehmütig, als etwa ein Sprecher der Duisburger Verkehrsbetriebe (DVG) mitteilte, Mitarbeiter seien in Duisburg "nicht befugt Knöllchen zu verteilen" und auch neugierig, als ein Sprecher der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) "von Düsseldorfern lernen" wolle. Nun ist die Katze aber aus dem Sack: die Düsseldorfer kochen auch nur mit Wasser. Sie sind auch nicht befugt "Knöllchen" zu verteilen. Sie haben nur eine knackige Überschrift für eine Pressemitteilung gefunden.
Der Autor Robert Hotstegs ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft, Düsseldorf, und dort leidenschaftlicher Rheinbahn-Fahrgast.
Robert Hotstegs, Düsseldorf: Straßenbahnfahrer verteilen "Knöllchen": Postkarten von der Rheinbahn . In: Legal Tribune Online, 15.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23445/ (abgerufen am: 18.07.2024 )
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