Noch steht nicht genau fest, wie die Verunreinigungen in die Futtermittel gelangen und damit letztlich auf dem Tisch des Verbrauchers landen konnten. Verdächtigt wird ein Unternehmen aus Uetersen in Schleswig-Holstein. Die Staatsanwaltschaften ermitteln bereits – und begeben sich damit in die Untiefen des weitgehend europäisierten Lebensmittelstrafrechts.
Der Verbraucher ist verunsichert. Erneut besteht der Verdacht, dass deutsche Nahrungsprodukte dioxinbelastet sind. Proben von Eiern und Geflügelfleisch hatten eine 77-fache Überschreitung der zugelassenen Höchstmenge des toxischen Stoffs ergeben. Die verseuchten Futtermittel stammen anscheinend aus einem Rührwerk, in dem man für die Herstellung von Tierfutterfetten Fette aus der Biodieselproduktion verwendet haben soll.
Dabei ist die Tatsache, dass Dioxin "ubiquitär" ist, das heißt Kleinstmengen im Picogrammbereich täglich vom menschlichen Organismus aufgenommen werden, nur ein schwacher Trost für den Endverbraucher. Dieser weiß schließlich nicht, ob nicht eventuell ausgerechnet in seinem Frühstücksei ein viel zu hoher Gehalt an Dioxin enthalten ist. Die potentielle Gefahr von Immunschwäche, Impotenz, Akne, Leberschäden sowie Stoffwechselstörungen und die auf Dauer sogar krebserregende Wirkung will niemand riskieren. Es mag daher auch keinen wundern, dass die landwirtschaftliche Marktberichterstattungsstelle (MEG) schon von einem merklich gesunkenen Verkauf von Hühnereiern berichtet.
Der neue "Dioxin-Skandal" demonstriert eindrucksvoll, welch überragenden Einfluss die Lebens- und Futtermittelindustrie gegenüber der Bevölkerung und der Marktwirtschaft hat. Der Endabnehmer hat überhaupt keinen Einblick - schon gar keinen Einfluss - auf den Produktionsprozess und kann meist auch nicht nachvollziehen, ob die von ihm erworbenen Produkte ordnungsgemäß zustande gekommen sind.
Nahezu jedes Produkt unterliegt einem strengen Regelement
Dementsprechend genießt der Verbraucher im Bereich der Lebensmittel-, Arznei- und Bedarfsgegenständeproduktion einen überragenden Schutz: Stets besteht die Gefahr, dass Hersteller und Lieferanten die ihnen obliegende Verantwortung bzw. Machtposition nicht ernst genug nehmen oder gar missbrauchen.
Zivilrechtlich führt diese Machtstellung zu einer verschärften Haftung der Unternehmer, die insofern strenger ist als sonst, als dass sie nach § 1 Produkthaftungsgesetz auf ein Verschulden des Unternehmers verzichtet, soweit eine Fehlerhaftigkeit des Produkts festgestellt wurde. In verwaltungsrechtlicher Hinsicht existiert nahezu für jedes Produkt, das in die Hände des Verbrauchers gelangen kann, ein Sondergesetz, das dem Unternehmer besondere Sicherungs- und Überwachungspflichten sowie Ge- und Verbote im Hinblick auf die Herstellung sowie dem Umgang mit dem konkreten Produkt auferlegt.
Ob Spielzeuge, Feuerwerk für Silvester, Kosmetika, Arzneimittel oder eben Nahrung wie Schokolade, Fleisch und Milch: Für jedes dieser Produkte existiert ein Verwaltungsgesetz, das vorschreibt, wie diese Gegenstände herzustellen sind bzw. was bei ihrem Vertrieb zu beachten ist. Für Lebensmittel ist dies beispielsweise das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LFGB), das zugleich auch die Herstellung von Futtermitteln für die Tiere regelt, die letztlich zu Lebensmitteln verarbeitet werden.
Verstößt der Betrieb bzw. der Unternehmer als natürliche Person gegen die dort statuierten Vorschriften, drohen ihm neben zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen verwaltungsrechtliche Konsequenzen, wie etwa die Versagung des betrieblichen Gewerbes. Da mit Leben und Leib der Konsumenten elementare Güter der Rechtsordnung gefährdet sind, hat sich der Gesetzgeber darüber hinaus entschieden, beachtliche Verstöße gegen derartige Produktverwaltungsgesetze mit empfindlichen Strafen zu bedrohen.
Das Problem von Ursache und Wirkung bei der Körperverletzung
Denn die konventionellen Straftatbestände wie etwa die Körperverletzung gem. § 223 Strafgesetzbuch (StGB) und Totschlag gem. § 212 StGB sind erst dann einschlägig, wenn "das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist". So kann dem Unternehmer, der ein gefährliches bzw. giftiges Produkt auf den Markt gebracht hat, erst dann der Vorwurf (fahrlässiger) Körperverletzung gemacht werden, wenn bei dem Verbraucher entsprechende Symptome auftreten.
Im vorliegenden Fall wäre die Weitergabe von dioxinbelastetem Tierfett eine taugliche Verletzungshandlung. Doch wird man (vor allem bei "Allerwelt"-Symptomen wie Immunschwäche oder Akne) nur in den allerseltensten Fällen den Nachweis führen können, dass ausgerechnet das Dioxin das Krankheitsbild verursacht hat. Dieses Problem verschärft sich vor allem bei chemischen Substanzen, bei denen nicht einmal feststeht, ob sie grundsätzlich das Potential haben, eine schädliche Wirkung zu entfalten.
Hinzu kommt, dass bis zum eigentlichen Verletzungserfolg mehrere Stationen durchlaufen werden müssen und somit auch mehrere Verantwortliche in Betracht kommen, deren Verhaltensweisen die Kausalität der Beiträge der früheren "Sünder" in Frage stellen. Schließlich treffen nicht nur den Fettlieferanten, sondern auch den Futtermittelverarbeiter, den Besteller des Futtermittels, den Bauern und besonders eingerichtete Kontrollinstitutione besondere Überwachungspflichten. Nur in den seltensten Fällen gelingt es somit, die Produzenten über die Straftatbestände der Körperverletzung zu belangen.
Betrug zu Lasten der Bauern und Steuerhinterziehung denkbar
Natürlich ist auch an eine Strafbarkeit der verantwortlichen Mitarbeiter des Futtermittelproduzenten wegen Betrugs gem. § 263 StGB zulasten der Zwischenhändler zu denken. Das Unternehmen soll technische Mischfettsäuren, die für die Papierherstellung bestimmt waren, als Futtermittel verkauft haben. So sollen bis zu 3.000 Tonnen verseuchtes Futterfett an mehr als zwei Dutzend Futtermittelhersteller aus vier Bundesländern ausgeliefert worden sein.
Damit hätten sie ihre Abnehmer über eine verkehrsrelevante Tatsache getäuscht. Da technisches Mischfett nur halb so viel wert ist wie Futterfett, hätten die Abnehmer auch einen Vermögensnachteil erlitten. Dabei hätten sich die Verkäufer einerseits bereichert und andererseits auch steuerrechtlich mit geringeren Abgaben rechnen können. Die diesbezüglich gemachten Falschangaben bei der Steuerbehörde wären strafbar als Steuerhinterziehung gem. § 370 I Abgabenordnung.
Derartige strafrechtliche Konsequenzen haben aber natürlich nichts mit Verbraucherschutz zu tun. Dieses ergäbe sich allenfalls aus den Strafvorschriften des oben bereits genannten LFGB.
Verworrene Regelungen im deutschen Lebensmittelstrafrecht
Die im Rahmen des Vorwurfs der Körperverletzung geschilderten Probleme stellen sich - jedenfalls soweit es um die Strafbarkeit der Produzenten nach deutschem Lebensmittelrecht geht – nicht. Hier reicht der bloße Verstoß gegen eine Sicherheitsvorschrift und damit die Handlung an sich aus, um den Übeltäter zu belangen. Es muss niemand verletzt oder der konkreten Gefahr einer Verletzung ausgesetzt worden sein.
Diese Vorschriften finden sich in den §§ 58, 59 LFGB, die in ihren verschiedenen Handlungsmodalitäten die mannigfaltigen Herstellungs- und Umgangsformen von Lebens- und Futtermitteln entgegen den Vorschriften des LFGB unter Strafe stellen. Darunter finden sich – bezogen auf den vorliegenden Fall - auch Vorschriften, die das Herstellen und Inverkehrbringen gesundheitsschädlicher Futtermittel sanktionieren.
Dies hört sich zunächst relativ einfach an, allerdings gilt das LFGB nicht umsonst als besonders kompliziert. Die Strafnormen an sich sind nicht exakt beschrieben, sondern nehmen auf verschiedene Verbote des LFGB Bezug, die ihrerseits auf andere Vorschriften verweisen, insbesondere auf Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft, in denen beispielsweise Begriffe wie "Futtermittel" definiert und Grenzwerte für zulässige Dioxinwerte festgelegt werden.
Sind etwa die Tierfette, die den sonstigen Futtermitteln beigemischt werden, bereits für sich als Futtermittel zu qualifizieren? Woraus sollen sich die zulässigen Grenzwerte ergeben? Wie wirkt sich der Umstand aus, dass die Produzenten ihrerseits vielleicht schon dioxinbelastetes Öl erworben haben, ohne hiervon zu wissen? Diese Voraussetzungen, Gebote und Definitionen müssen aus zahlreichen Zusatzvorschriften zusammengetragen werden, um einen "kompletten" Normbefehl zu erreichen.
Rechtseinheit bedeutet nicht automatisch Rechtsklarheit
Nicht nur die Strafvorschrift selbst, sondern das gesamte deutsche Lebensmittelrecht bildet also nur den großen, aber letztlich leeren Rahmen - man spricht daher auch von einem "Blankett". Dieses muss durch zahlreiche Bundes- und Landes-, aber vorrangig EU-Verordnungen ausgefüllt werden. Diese "Europäisierung" verfolgt den legitimen Zweck, Rechtseinheit zu schaffen und damit internationalen Verbraucherschutz zu gewährleisten und überdies den Handel mit Lebensmitteln zu erleichtern.
Rechtseinheit bedeutet allerdings im Falle LFGB zumindest derzeit noch nicht Rechtsklarheit. So kann sich eine Strafnorm als Labyrinth entpuppen, wenn zu ihrer Ausfüllung die Lektüre von drei verschiedenen Gesetzen und vier EU-Verordnungen notwendig ist. Schließlich unterliegen diese Verordnungen auch keinem komplizierten Gesetzgebungsverfahren, sodass die Normen des LFGB stets im Fluss sind.
Es bleibt daher mit Spannung abzuwarten, ob bzw. wie die Staatsanwaltschaften unter dem Druck öffentlichen Vergeltungsverlangens die seltene Fahrt durch die Untiefen des kaum noch deutschen Lebensmittelstrafrechts meistern werden. Sollten sie eine Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens im Ergebnis bejahen, drohen den Verantwortlichen zumindest nach den §§ 58, 59 LFGB bis zu drei Jahre Haft - bei Annahme eines "besonders schweren Falles", was mitunter bei einer vorsätzlichen Gefährdung einer großen Zahl von Menschen angenommen wird, sogar bis zu fünf Jahre.
Der Autor Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie Prof. Kudlich an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen/Nürnberg.
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Dioxinskandal: . In: Legal Tribune Online, 12.01.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2314 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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