Das Zugangserschwerungsgesetz ist gekippt, "löschen statt sperren" das Motto des Tages. Webseiten wie das zu trauriger Berühmtheit gelangte Mobbingportal "isharegossip" können damit aber noch lange nicht einfach gelöscht oder gesperrt werden. Ansgar Koreng über die Möglichkeiten und Grenzen der Regulierung von Internet-Inhalten.
Dass Schüler über Schüler lästern, ist wahrlich kein neues Phänomen. Doch mussten Generationen von Jugendlichen sich dazu noch herkömmlicher Methoden bedienen. So mancher wird sich daran erinnern, dass die schon sprichwörtlichen "Klowände des Internets" (Jean-Remy von Matt) durchaus über analoge Vorbilder verfügen.
Dennoch hat mit dem Internet-Portal "isharegossip" das Mobbing eine neue Dimension erreicht. Nicht nur wegen der für das Internet typischen, wohl auf die Anonymität des Mediums zurückzuführende Heftigkeit der Äußerungen, sondern auch aufgrund der nahezu unmöglichen Verfolgung dieser Art von Verfehlungen ist dieses Phänomen nicht nur quantitativ, sondern auch in seiner Qualität neu.
Die Behörden stehen nicht zum ersten Mal vor der Frage, wie der digitale Sperrmüll adäquat zu entsorgen ist.
Kein Fall für das Zugangserschwerungsgesetz
Nun hat sich die Regierungskoalition am Dienstag auf die Aufhebung desumstrittenen Zugangserschwerungsgesetzes (ZugErschwG) verständigt und das Schlagwort "löschen statt sperren" geistert wieder durch alle Medien.
Für das Cybermobbing allerdings schränkt dieser Wegfall des ZugErschwG den Handlungsspielraum der Behörden keineswegs ein. Das ZugErschwG, das jedenfalls dem Namen nach wie auf diesen Fall zugeschnitten erscheint, ist für das Problem der Lästerseiten gar nicht anwendbar. Die umstrittene Regelung stellte nur ein Sonderrecht für kinderpornographische Inhalte dar.
Anders als es die vielzitierte These vom "rechtsfreien Raum" Internet suggerieren möchte, bietet das geltende Recht aber auch jenseits dieses problematischen Gesetzes Instrumente, derer sich der Staat im Kampf gegen rechtswidrige Inhalte bedienen kann. Wer sich auf die Suche nach solchen Werkzeugen begibt, muss sich allerdings zunächst einen Weg durch das Dickicht des föderalen deutschen Medienrechts bahnen.
Im Dschungel des föderalen Medienrechts
Bereits am 24. März 2011 hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien "isharegossip" nach den Vorschriften des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) auf den Index gesetzt. Auch für Telemedien ist eine solche Indizierung nach § 18 des Gesetzesmöglich. Telemedien sind in der Sprache des Gesetzgebers Internet-Angebote im weitesten Sinn.
Über die Rechtsfolgen der Indizierung kann das Jugendschutzgesetz als Bundesrecht allerdings aufgrund der föderalen Kompetenzordnung keine Regelung treffen. Es ist also nach der Indizierung Sache des Jugendmedienschutzrechts der Länder, wie mit dem Mobbing-Portal weiter zu verfahren ist.
Die dabei maßgebliche Norm ist der wenig prominente § 59 Abs. 3 des Rundfunkstaatsvertrags (RStV). Die Vorschrift erlaubt es, die "erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter" zu treffen, um Rechtsverstöße im Internet abzustellen, wobei sie ausdrücklich auch die "Untersagung und Sperrung" von Angeboten zulässt. Mit der "Untersagung" meint das Gesetz die endgültige Löschung der rechtswidrigen Inhalte. Die "Sperrung" hingegen ist nur die Verhinderung des Zugangs zu den fraglichen Inhalten, ohne diese zu löschen. Sie ist also weniger effektiv und auch weniger präzise, weil stets die Gefahr besteht, dass sie mehr betrifft als nur die rechtswidrigen Inhalte.
Untersagung und Sperrung nach Indizierung möglich
Zwar bezieht sich die Vorschrift unmittelbar nur auf bestimmte Verstöße gegen den RStV. Aber auch § 20 Abs. 4 des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) verweist auf sie. Der Staatsvertrag zwischen allen deutschen Bundesländern gibtdie scharfen Schwerter von Untersagung und Sperrung auch der Kommission für den Jugendmedienschutz an die Hand, welche sie auch bei Verstößen gegen den JMStV anordnen darf.
Wer danach sucht, was nach den Kriterien des JMStV rechtswidrig ist, wird in dessen § 4 fündig. Die Norm enthält eine Reihe von Voraussetzungen, unter denen ein Internet-Angebot unzulässig ist, darunter etwa Verweise auf verschiedene Normen des Strafrechts. Im Fall von "isharegossip" besonders interessant ist allerdings der in der Vorschriftenthaltene Verweis auf die Indizierungsentscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien nach dem Jugendschutzgesetz. Diese hat "isharegossip" bereits indiziert, so dass sich der Kreis so schließt.
Nun könnte man meinen, die Sache sei klar und die Kommission für den Jugendmedienschutz müsse nur noch die Löschung von "isharegossip" anordnen.
Düsseldorfer Präzedenzfälle und ihre Gefahren
Wenn da nicht noch das Völkerrecht wäre. Denn die indizierte Website wird in Schweden gehostet. Schwedischen Host-Providern gegenüber kann eine deutsche Behörde aber keine Löschung verfügen, sofern sie nicht gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot verstoßen möchte.
Was bleibt also zu tun? Im Jahr 2002 haben deutsche Behörden in einer ähnlichen Situation die Sperrung amerikanischer Internetseiten mit rechtswidrigen Inhalten gegenüber deutschen Access-Providern verfügt. Diese "Düsseldorfer Sperrverfügungen" gegenüber den Unternehmen, die den Zugang zu den fremden, regelmäßig im Ausland gehosteten Inhalten vermitteln, sind zwar von den Gerichten durchweg bestätigt worden, waren aber nicht zuletzt mit Blick auf die vom Grundgesetz garantierte Meinungsfreiheit bedenklich. Sie führen im Ergebnis auch nicht dazu, dass das rechtswidrige Angebot aus dem Netz verschwindet. Ihre Folge ist lediglich, dass man es in Deutschland nicht mehr so leicht abrufen kann.
Schließlich bergen solche Sperrverfügungen schon aus technischen Gründen immer das Risiko, auch rechtlich unproblematische Inhalte pauschal mit zu unterdrücken. Ob sich die Behörden im Fall von "isharegossip" auf dieses glatte Eis begeben möchten, werden die nächsten Wochen zeigen.
Ein kleiner Trost aber bleibt: Im Gegensatz zu echten Klowänden ist man denen des Internets nicht zwangsläufig ausgesetzt. Ignorieren ist das Mittel der Wahl.
Dr. Ansgar Koreng hat seine Dissertation zum Thema "Zensur im Internet" verfasst. Er ist derzeit Rechtsreferendar bei JBB Rechtsanwälte in Berlin.
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Ansgar Koreng, Cyber-Mobbing: . In: Legal Tribune Online, 06.04.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2966 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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