Die Corona-Schutzimpfung von Biontech sorgt dafür, das Geimpfte nicht ansteckend sind. Auf diese Erkenntnis hat man lange gewartet. Jetzt muss der Bundestag politische Entscheidungen treffen, fordert Christian Rath.
Die Zeit des Konjunktives ist vorbei. Eine Auswertung der Erfahrungen aus Israel ergab, dass die Covid-Schutzimpfung von Biontech die Geimpften nicht nur zuverlässig vor eigener Erkrankung schützt. Sie sind auch für andere mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht ansteckend. Auch nach einem Kontakt mit dem Virus bleibt ihre Virenlast dank der Impfung sehr gering.
Die bisherige Debatte um Öffnungen für Geimpfte stand immer unter dem Vorbehalt, dass man noch nicht wusste, ob Geimpfte noch infektiös sind. Biontech-Chef Ugur Sahin hatte Festellungen hierzu bis Ende Februar angekündigt und hat Recht behalten. Die nun veröffentlichte Studie stammt von Mitarbeitern des Biontech-Partners Pfizer und des israelischen Gesundheitsministeriums.
Bundestag oder Landesregierungen?
Von nun an können Biontech-Geimpfte jederzeit zum Verwaltungsgericht gehen und verlangen, dass sie von bestehenden Beschränkungen befreit werden. Die Gerichte können vielleicht noch etwas auf Zeit spielen, denn das Papier aus Israel wurde bisher nur auf einem Preprint-Server veröffentlicht und noch nicht unabhängig begutachtet. Aber das ist nur noch eine Frage von wenigen Wochen.
Wie die Verwaltungsgerichte entscheiden würden, ist offen. Es droht ein Flickenteppich unterschiedlicher Gerichtsurteile. Deshalb ist es sinnvoll, eine politische Entscheidung zu treffen. Möglich wären zwei Ebenen: Entweder die Bundesländer legen in ihren jeweiligen Corona-Verordnungen fest, ob es Ausnahmen für Geimpfte geben kann. Oder der Bundestag ändert des Infektionsschutzgesetz (IfSG).
Zwar könnten die Länder im üblichen Verfahren der Bund-Länder-Konsulation versuchen, eine einheitliche Linie zu finden. Doch die jüngsten Erfahrungen mit der Schul- und Kita-Öffnung machen skeptisch, was einheitliches Vorgehen der Bundesländer betrifft. Und die Frage der Geimpften-Rechte ist von so grundsätzlicher Bedeutung, dass eine Regelung im Gesetz sinnvoll erscheint. Bei dieser Gelegenheit könnte der Bundestag auch zeigen, dass er in der Lage ist, auf die neue Lage schnell zu reagieren. Zuletzt hatten ja viele Abgeordnete beklagt, dass die wichtigen Corona-Entscheidungen meist von der Exekutive und am Parlament vorbei getroffen werden.
Grundrechte sind einschränkbar
Wie bereits vielfach betont, geht es nicht um Impfprivilegien, denn Grundrechte sind keine Privilegien. Allerdings ist mit dieser Feststellung die Diskussion nicht zu Ende. Denn natürlich kann der Gesetzgeber in Grundrechte eingreifen, wenn er dafür gute Gründe hat und verhältnismäßige Mittel wählt. Rechtlich sind hier viele Lösungen vertretbar: die Befreiung der Geimpften von allen Restriktionen oder die fortdauernde Gleichbehandlung von Geimpften und Nicht-Geimpften oder allerlei Mischformen.
Es geht dabei auch um unterschiedliche Konstellationen, die derzeit noch unterschiedlich relevant sind.
Noch nicht relevante Szenarien
In Konstellation 1 geht es um die Frage, ob Anbieter in Gastronomie, Einzelhandel und Tourismus nach Überwindung der Pandemie spezielle Angebote nur für Geimpfte machen dürfen. Dies dürfte - soweit es nicht um eine monopolartige Stellung geht - im Rahmen der Privatautonomie möglich sein. Hierfür wäre nur dann eine gesetzliche Regelung erforderlich, wenn man dies verbieten oder einschränken wollte, wofür aber wenig Gründe ersichtlich sind.
Doch dieser Teil der Diskussion ist verfrüht. Wir haben die Pandemie noch nicht überwunden, und wenn es soweit ist, gibt es vermutlich auch kaum Interesse für Sonderangebote, die sich nur an Geimpfte richten. Die aktuelle Diskussion zielt ja offensichtlich darauf, Beschränkungen, die während der Pandemie gelten, zu beseitigen.
In Konstellation 2 geht es um die Frage, ob während der Pandemie die Beschränkungen des öffentlichen Lebens noch zu rechtfertigen sind, weil die Bevölkerung zunehmend aus Geimpften besteht. Auch diese Frage stellt sich in Deutschland derzeit noch nicht. Da erst rund zwei Prozent der Bevölkerung geimpft sind, ist eine Herdenimmunität noch in weiter Ferne.
Bisher galt bei Covid19 ein Impfgrad von rund 60 Prozent der Bevölkerung als ausreichend. Nach Auftauchen der wohl ansteckenderen Mutanten werden möglicherweise 80 Prozent erforderlich sein. Hier ist vieles noch im Fluss. Nicht nur dies spräche gegen die Festlegung einer Schwelle im Gesetz. Sie wäre auch unnötig, da bei Erreichen der Herdenimmunität schon der Status der "epidemischen Lage von nationaler Tragweite" gem. § 5 Abs. 1 IfSG aufgehoben werden müsste Und ohne Nationalepidemie-Lage sind auch die in § 28a IfSG aufgezählten Beschränkungen unzulässig. Für diese zukünftige Konstellation enthält das IfSG schon alles, was erforderlich ist.
Geimpfte ohne Masken?
Jetzt schon relevant ist Konstellation 3: Hier geht es um Beschränkungen, die den Bürgern in den Corona-Verordnungen direkt auferlegt werden. Im Vordergrund stehen hier die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Verkehr und in den noch geöffneten Geschäften, das Abstandsgebot und die Beschränkungen, wieviele Menschen man in der Öffentlichkeit und in der eigenen Wohnung treffen darf.
All diese Beschränkungen sind bei Biontech-Geimpften nicht mehr unmittelbar notwendig, was für eine Befreiung der Geimpften von diesen Pflichten spricht. Andererseits geht es vor allem um das Verhalten im öffentlichen Raum. Wenn ein zunehmender Teil der Bevölkerung von Maskenpflicht und Abstandsgebot befreit wäre, dürfte die Bereitschaft der Noch-Nicht-Geimpften, sich weiter an die Regeln zu halten, deutlich sinken. Oder es müsste im öffentlichen Raum in bisher unbekanntem Maße ständig die Impfbescheinigung der Maskenlosen kontrolliert werden. Solange noch der weit überwiegende Anteil der Bevölkerung ungeimpft ist, dürfte es deshalb vertretbar sein, die unmittelbaren Beschränkungen für alle aufrechtzuerhalten. Aber das ist, wie gesagt, eine politische Entscheidung.
Geimpfte in der Bar?
Ebenfalls von sofortiger Relevanz ist Konstellation 4, in der es um mittelbare Beschränkungen für die Bürger und unmittelbare Beschränkungen für die Anbieter von Waren, Dienstleistungen, Kultur und Sport geht. Im aktuellen Shutdown sind Einzelhandel, Gastronomie, Konzerthallen und Stadien für alle geschlossen. Es stellt sich aber die Frage, ob es Anbietern erlaubt werden soll, für Geimpfte zu öffnen. Diese könnten dann entscheiden, ob es sich bereits lohnt, entsprechende Angebote (etwa "Tanztee über 80" u. ä.) zu machen.
Dies ist sicherlich die komplexeste politische Entscheidung, weil eine Vielzahl von Überlegungen zu berücksichtigen ist und sich auch die Rahmenbedingungen permament ändern. Zu beachten ist nicht zuletzt folgendes:
· Die Kontrolle: Anders als beim Verhalten im öffentlichen Raum ist die Kontrolle von Angeboten für Geimpfte in geschlossenen Räumen einfacher. Es müsste einmal am Eingang die Zugangsberechtigung kontrolliert werden. Vorgelegt werden könnte die Impfbescheinigung, aus der sich auch der Impfstoff ergibt. Allerdings sind solche Bescheinigungen bisher nicht fälschungssicher. Falls bald in großer Zahl gefälsche Impfbescheinigungen kursieren, wäre die Kontrolle weitgehend sinnentleert. Nach israelischem Vorbild könnte für den Nachweis deshalb eine verifizierte App genutzt werden. Bis derartiges in Deutschland programmiert und zugelassen ist, dürften Monate vergehen.
· Die Geimpften: Die Zahl der Geimpften wird spätestens im zweiten Quartal 2021 schnell steigen. Je höher die Zahl der Geimpften, desto größer das Bedürfnis nach Lockerungen speziell für diese Gruppe und desto größer der wirtschaftliche Anreiz, Angebote für diese wachsende Gruppe zu machen. Umgekehrt heißt dies, je höher die Zahl der Geimpften, desto größer der Eindruck einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der die einen weitgehend zur Normalität zurückkehren und die anderen weiter das Gewicht der Pandemie-Bekämpfung tragen müssen.
· Die Nicht-Geimpften: Diese Gruppe ist heterogen. Wer Noch kein Impfangebot erhalten hat, ist fremdbestimmt nicht-geimpft. Diese Personen werden sich doppelt benachteiligt fühlen: Einerseits fehlt ihnen noch der Schutz vor Covid19, den andere bereits erhalten haben. Andererseits sind sie von der Normalisierung des Lebens ausgeschlossen, die sich vor ihren Augen vollzieht. Immerhin beruht die Impfreihenfolge auf wissenschaftlichen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission. Und die Nicht-Geimpften hätten auch keinen Vorteil, wenn auch den Geimpften die Rückkehr zur Normalität verwehrt würde. Allerdings ist ein Gefühl des Ausgeschlossenseins ein Übel, das in einer modernen Gesellschaft nicht einfach hingenommen wird, weshalb es zum Beispiel das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gibt. Gleichbehandlung ist insofern auch ein rechtlich relevantes Ziel, das die Verzögerung von Lockerungen für Geimpfte rechtfertigen könnte.
Anders ist die Situation der selbstbestimmt Nicht-Geimpften zu beurteilen. Wer Impfungen generell oder bei Covid19 ablehnt, muss sich in Deutschland nicht impfen lassen. Die Politik betont auch immer wieder, dass keine Impfpflicht geplant ist. Wenn Herdenimmunität allerdings erst ab einem Impfgrad von über 80 Prozent der Gesellschaft erreicht würde, könnten Impfanreize durch Normalisierungs-Vorteile helfen. Andererseits sollte die Politik auch glaubwürdig bleiben und das Versprechen, auf einen Impfzwang zu verzichten, nicht dadurch unterlaufen, dass sie einen massiven faktischen Impfdruck zulässt.
· Der Impfstoff: Noch bezieht sich die wissenschaftliche Aussage zur Infektiösität der Geimpften nur auf den Impfstoff von Biontech. Für die Impfstoffe von Moderna, Astra-Zeneca und Johnson & Johnson liegen noch keine derartigen praktischen Erfahrungen vor. Wenn also zunächst nur Lockerungen für Biontech-Geimpfte erlaubt werden, könnte dies das Impfprogramm durcheinander bringen. Wie bei der aktuell zu beobachtenden Zurückhaltung gegenüber dem Impfstoff von Astra-Zeneca zu beobachten, können Menschen zwar impfwillig, aber dennoch sehr wählerisch sein. Lockerungen nur für die Geimpften eines bestimmten Impfstoffs könnten also die schnelle Impfung der (fast) gesamten Bevölkerung behindern und würden damit sogar die möglichst schnelle Beendigung aller Corona-Restriktionen beeinträchtigen.
· Die Schnelltests: Als Alternative für Nicht-Geimpfte kommt immer mehr die Anwendung von Schnelltests ins Spiel, vor allem wenn die Bundesregierung eine kostenlose Abgabe solcher Tests organisiert. Derzeit soll diese ab Anfang März beginnen. So könnte eine Zwei-Klassen-Gesellschaft verhindert werden. Einlass bekäme dann, wer geimpft ist oder sich testen lässt. Zu fragen ist allerdings, ob hier darauf vertraut werden kann, dass die Einlassbegehrenden den Test korrekt ausführen und ein positives Ergebnis akzeptieren - auch wenn dann auf das Konzert der Lieblings-Band verzichtet werden muss.
· Die Angebote: Nicht zuletzt ist es ein Wert an sich, wenn möglichst viele Menschen wieder shoppen und essen gehen können, wenn sie sich Kultur aussetzen und beim Sport mitfiebern können. Und es ist auch wichtig, dass Gastronomen und Einzelhändler wieder ihrer Arbeit nachgehen und sich selbst versorgen können, dass Künstler und Künstlerinnen sich wieder öffentlich ausdrücken dürfen.
All dies müsste der Bundestag abwägen, wenn er eine Entscheidung im IfSG treffen will. Die Aussage mancher Juristen, dass es in dieser - nur unvollständig beschriebenen komplexen Lage - nur eine Lösung geben kann, wirkt etwas voreilig.
Sonderrechte für Geimpfte?: . In: Legal Tribune Online, 23.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44336 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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