Das BVerwG hat am Donnerstag unter Würdigung äußerer Umstände die Kündigung gegenüber einem Rettungssanitäter bestätigt, der den hilflosen Zustand eines Patienten ausgenutzt hatte. Das Urteil erläutert Frank Wieland.
Entsteht durch ein Dienstvergehen nur ein geringer Schaden, kann das nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ein Milderungsgrund im Disziplinarverfahren sein, um von der Höchststrafe, der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis, abzusehen. Nach einem Urteil des BVerwG vom Donnerstag (10.12.2015, Az. 2 C 6.14) sind aber auch Konstellationen denkbar, in denen aufgrund der äußeren Umstände des Tatgeschehens der anerkannte Milderungsgrund ausgeschlossen werden kann. Einen solchen Umstand sieht das BVerwG in der Ausnutzung einer hilflosen Situation, in der sich der Geschädigte des verhandelten Vorfalls befand: Stark alkoholisiert und bewusstlos war er im Rettungswagen von einem Rettungssanitäter bestohlen worden.
Im entschiedenen Fall hatte der beklagte Rettungssanitäter einem bewusstlosen Patienten während des Transports zum Krankenhaus einen 50-Euroschein aus der Geldbörse gestohlen. Er war deswegen bereits zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Bei Nachweis eines Dienstvergehens steht in entsprechenden Disziplinarverfahren meist die Bemessung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme im Fokus, die sich nach § 13 Abs. 1 Satz 2 Bundesdisziplinargesetz (BDG) nach der Schwere des Dienstvergehens zu richten hat. Dabei sind das Persönlichkeitsbild des Beamten und ein Vertrauensverlust zu berücksichtigen. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis kommt nach § 13 Abs. 2 BDG nur in Betracht, wenn der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat.
Ausschluss der Milderung bei Zugriff auf "nicht-dienstliches" Geld?
Zugriffsdelikte werden grundsätzlich als so schwerwiegend bewertet, dass als Regeleinstufung die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder die Aberkennung des Ruhegehalts Ausgangspunkt der Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme ist.
In der Praxis sind Zugriffsdelikte auch die häufigsten Fälle, in denen es zur Entlassung kommt. Zugriffsdelikte zeichnen sich allerdings dadurch aus, dass der Beamte ausdrücklich auf ihm dienstlich anvertrautes oder dienstlich zugängliches Geld zugreift. Ob dies bei einem Rettungssanitäter auf der Einsatzfahrt zu bejahen ist, lässt das BVerwG offen und führt stattdessen aus, dass es auf die Einstufung des Diebstahls als Zugriffsdelikt nicht ankomme, da in Konstellationen, in denen der Beamte die innerdienstliche Straftat "unter Ausnutzung seiner Dienststellung" begangen habe, der Orientierungsrahmen bis zur Höchstmaßnahme eröffnet sei.
Milderungsgrund der Geringwertigkeit bei Diebstahl sowieso kritisch
Die im Fall des Diebstahls von der Schwere ausgehende Indizwirkung entfällt, wenn gewichtige Entlastungsgründe festgestellt werden. So kann der Milderungsgrund der Geringwertigkeit dazu führen, dass im Hinblick darauf, dass durch das Dienstvergehen nur ein geringer Schaden entstanden ist, von der Höchstmaßnahme abgesehen werden muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.07.2013, Az. 2 C 63/11). Bezüglich der Grenzwerte orientiert sich die Rechtsprechung an den Grundsätzen zu § 248 a Strafgesetzbuch und bemisst derzeit den geringen Wert mit etwa 50,-- € (BVerwG, Urt. v. 11.06.2002, Az.1 D 31.01).
Dogmatisch, aber auch was die Nachvollziehbarkeit angeht, ist es nur schwierig zu vermitteln, dass die beim Zugriffsdelikt offenbarte Unzuverlässigkeit des Beamten sich je nach Wert des entwendeten Gegenstandes anders darstellt. Die Anwendung des Milderungsgrundes der Geringwertigkeit bei Zugriffsdelikten ist also durchaus kritisch zu sehen.
50 oder 100 Euro: Vertrauensverlust so oder so gegeben
Im vorliegenden Fall wäre es nur schwierig vorstellbar, dass der Rettungssanitäter weiter das Vertrauen seines Dienstherrn genießt, obwohl er die Situation eines schutzbedürftigen Patienten aufgrund seiner Stellung ausgenutzt hat und das Fehlverhalten weder freiwillig offenbart noch den Schaden vor Entdeckung der Tat wieder gutgemacht hat. Richtiger Weise ist daher auch bei Vorliegen eines Milderungsgrundes eine Gesamtwürdigung vorzunehmen. Je schwerer das Zugriffsdelikt auch unter Berücksichtigung der Begleitumstände im Einzelfall wiegt, umso angemessener ist es, den Milderungsgrund dem Beamten nicht zugutekommen zu lassen.
Das BVerwG führt daher zutreffend aus, dass der Beamte die hilflose Situation des Geschädigten im Rettungswagen zum Diebstahl ausgenutzt habe und ebenso zu berücksichtigen sei, dass er wegen weiterer außerdienstlich begangener Eigentums- und Vermögensdelikte vorbelastet gewesen war. So hatte der Beamte auch während des laufenden Disziplinarverfahrens einen weiteren Diebstahl begangen. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist daher bei gebotener Würdigung der belastenden und entlastenden Umstände die zwingend notwendige Konsequenz.
Im vorliegenden Fall den betroffenen Beamten nur deshalb im Beamtenverhältnis zu belassen, weil er sich – vielleicht nur, weil sich gerade nicht mehr Geld in der Börse des bewusstlosen Patienten befand – einen 50-Euroschein und keinen 100-Euroschein gegriffen hat, wäre kaum vermittelbar angesichts der Gesamtumstände.
Frank Wieland ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Seine Kanzlei ist spezialisiert auf sämtliche Fragen des öffentlichen Dienstrechts.
Frank Wieland, Patienten im Rettungswagen bestohlen: . In: Legal Tribune Online, 12.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17843 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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