Wie lange dürfen Bürger darauf vertrauen, dass ein Steuergesetz Bestand hat? Das BVerfG hat seine Rechtsprechung zu dieser Frage mit einem am Freitag veröffentlichten Beschluss weiterentwickelt. Entscheidender Zeitpunkt war diesmal der Beschluss des Vermittlungsausschusses. Was wird es das nächste Mal sein, fragt Gunnar Knorr.
In dem Vorlageverfahren ging es um die gewerbesteuerliche Hinzurechnung von so genannten Streubesitzdividenden. Diese Dividenden fließen den Anteilseignern zu, die an einem Unternehmen nur unwesentlich – also zu unter zehn Prozent – beteiligt sind. Für bestimmte Zahlungen waren sie im Jahr 2001 zunächst nicht gewerbesteuerpflichtig. Der Gesetzgeber unterstellte die Streubesitzdividenden jedoch mit dem Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz vom Dezember 2001 rückwirkend für das Jahr 2001 der Gewerbesteuer.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat nun auf den Tag genau entschieden, dass das rückwirkende Gesetz teilweise nichtig ist und zwar hinsichtlich der Streubesitzdividenden, die bis zum Beschluss des Vermittlungsausschusses zugeflossen sind. Für alle anderen Dividenden gilt hingegen die rückwirkend in Kraft getretene Gewerbesteuerpflicht (Beschl. v. 10.10.2012, Az. 1 BvL 6/07).
Die Entscheidung wird sich wesentlich auf andere Fälle auswirken und dem Gesetzgeber für künftige Steuerrechtsänderungen als Richtschnur dienen.
Unechte Rückwirkungen eingeschränkt zulässig
Grundsätzlich ist zwischen einer echte und einer unechten Rückwirkung zu unterscheiden. Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz nachträglich auf einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt angewandt wird. Im Steuerrecht ist das nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG nur dann der Fall, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert.
Eine unechte Rückwirkung bedeutet dagegen, dass ein Gesetz auf einen zwar noch nicht abgeschlossenen, aber bereits in Teilen verwirklichten Sachverhalt angewandt wird. Die meisten Steuern wie etwa Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer entstehen erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums. Rechtsänderungen im laufenden Jahr sind daher nur unecht rückwirkend; sie beziehen sich erst auf in der Zukunft entstehende Steuern.
Während echte Rückwirkungen generell unzulässig sind, hält das BVerfG hält unechte Rückwirkungen für eingeschränkt zulässig, etwa dann wenn Steuerpflichtige mit einer Rechtsänderung rechnen mussten. An einem schutzwürdigen Vertrauen in den Fortbestand der Rechtslage fehlt es in einer solchen Situation nämlich.
Vertrauensschutz nur bis zur ersten Lesung?
Für die Gewerbesteuer auf Streubesitzdividenden zog der Erste Senat die Vertrauensschutzgrenze mit dem Tag, an dem der Vermittlungsausschuss seinen Beschluss veröffentlichte. Denn der Gesetzentwurf der Bundesregierung hatte noch keine entsprechende Regelung vorgesehen; dagegen sei es sehr wahrscheinlich gewesen, dass die Bundestagsabgeordneten dem Vermittlungsvorschlag annehmen würden, weil er am Ende des parlamentarischen Entscheidungsfindungsprozesses und sämtlicher Kompromissbemühungen stehe.
Was gilt, wenn ein Gesetz nicht durch den Vermittlungsausschuss muss, bleibt offen. Man könnte bereits auf die erste Lesung im Bundestag verweisen; oder warten bis weitestgehend feststeht, dass ein Entwurf auch tatsächlich Gesetz wird und nicht mehr in einem der Ausschüsse oder im Bundesrat scheitern kann. Die Karlsruher Richter stellten fest, dass Steuerpflichtige ab der Einbringung eines Gesetzentwurfs im Bundestag nicht mehr uneingeschränkt darauf vertrauen könnten, dass das gegenwärtig geltende Recht auch in Zukunft unverändert fortbestehen werde. Spätestens ab dem endgültigen Bundestagsbeschluss sei aber mit der Verkündung und dem Inkrafttreten der Neuregelung zu rechnen.
Der Gesetzgeber darf in Zukunft Steuerrechtsverschärfungen also mit einer gewissen Rückwirkung versehen, insbesondere dann, wenn er vermeiden will, dass bereits die Ankündigung der Verschärfung zu Gegenmaßnahmen der potenziell Steuerpflichtigen führt. Gerade Unternehmen sollten daher auch laufende Gesetzgebungsverfahren beobachten – vor allem am Jahresende. Nur so können sie gewährleisten, dass Steuerrechtsänderungen in laufenden Transaktionen berücksichtigt werden.
Der Autor Dr. Gunnar Knorr ist Rechtsanwalt, Steuerberater und Partner der Sozietät Oppenhoff & Partner.
BVerfG zu unechter Rückwirkung von Steueränderungen: . In: Legal Tribune Online, 12.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7519 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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