Darf ein "Inlandsgeheimdienst" eigentlich auch im Ausland arbeiten - und was macht er da? Das will ein FDP-Abgeordneter von der Regierung genauer wissen. Nun entscheidet das BVerfG.
Der Jurist und FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle will endlich eine Antwort auf seine Frage Nr. 32 haben. Die hat er 2020 als Abgeordneter des Bundestags – damals noch in der Opposition – schriftlich an die Bundesregierung gestellt und bis heute keine befriedigende Antwort bekommen. Kuhle will wissen, wie viel Personal das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Ausland eingesetzt hat. Nach einer mündlichen Verhandlung im März 2022 in Karlsruhe, muss nun das Bundesverfassungsgericht (Az. 2 BvE 8/21) entscheiden. Am Mittwochnachmittag verkündet der Zweite Senat sein Urteil in dem Organstreitverfahren.
Kuhle interessiert sich für die Auskunft, weil das BfV vor allem als Inlandsnachrichtendienst angelegt ist und im Ausland eigentlich der Bundesnachrichtendienst (BND) Aufklärung betreibt. Der Politiker sieht dabei Potenzial für Zuständigkeitskonflikte. Wenn mehrere Sicherheitsbehörden mit ihren eigenen Logiken, Protokollen und Herangehensweisen am selben Fall arbeiten, hätte das in der Vergangenheit etwa bei NSU oder beim Anschlag von Anis Amri für Unsicherheit gesorgt, meint Kuhle.
Grenzüberschreitende Beobachtungen
Das Bundesinnenministerium bezeichnet das ihm zugeordnete BfV auf seiner Homepage als "Inlandsnachrichtendienst". Im Gesetz für den Dienst ist das dagegen ziemlich offen angelegt. In § 5 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) ist sogar ausdrücklich von "auswärtige[n] Belange[n] der Bundesrepublik" die Rede. Die Aufklärung zu äußerer und innerer Sicherheit lassen sich nicht scharf trennen. Wenn eine Gruppe deutscher Islamisten oder Neonazis zu einem Treffen ins Nachbarland fahren, dann muss die Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht abrupt an der deutschen Außengrenze enden. Dschihadistische Bedrohungen aus dem Ausland gegen das Inland sind für den Verfassungsschutz in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus gerückt. Zugleich auch eine Bedrohung, die den BND interessierte.
Der Abgeordnete Kuhle sieht sich durch die ihm seit 2020 verweigerte Antwort in seinem Frage- und Informationsrecht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Insbesondere auch weil die Regierung dafür lediglich eine formelhafte, aber keine konkrete Begründung gegeben habe. Die Bundesregierung stellt sich auf den Standpunkt, sie habe die Auskunft verweigern dürfen, sonst lasse das Rückschlüsse auf die Fähigkeiten und das Vorgehen des Nachrichtendienstes zu. So verteidigte die Bundesregierung auch in der mündlichen Verhandlung ihr Vorgehen.
Die Regierung hatte zwischenzeitlich eingeräumt, die Frage zumindest im Parlamentarischen Kontrollgremium beantworten zu wollen, ein kleines Bundestagsgremium, das die Arbeit der deutschen Geheimdienste kontrolliert. Kuhle ist dort kein Mitglied, andere aus seiner Fraktion schon. Aber erzählen dürften die ihm ohnehin nichts, die Sitzungen des Gremiums sind geheim. Ist der "einfache" Abgeordnete bei Informationen zur Geheimdienstarbeit also in einer Kontrolllücke gefangen?
Darüber muss der Zweite Senat nun entscheiden, Berichterstatter ist der Richter des Bundesverfassungsgerichts Peter Müller, selbst langjähriger Abgeordneter und danach Ministerpräsident im Saarland. In der münlichen Verhandlung hat sich für Beobachter abgezeichnet, dass das Gericht nicht unbedingt überzeugt war von der Verteidigung der Bundesregierung.
Agenten im Ausland
Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Verfassungsschutz - wie etwa auch das Bundeskriminalamt - an einigen wichtigen Auslandsvertretungen Verbindungsbeamte hat. Sie halten den Kontakt zu Partnerdiensten in den Gastländern. Dass der Geheimdienst darüber hinaus auch im Ausland operativ arbeitet, das hat die Bundesregierung bereits in ihren Antworten auf mehrere parlamentarische Anfragen bestätigt. Ein Einsatzgebiet: Sicherheitsbefragungen von Asylbewerbern, die nach Deutschland kommen wollten. Die BfV-Mitarbeiter klären ab, ob jemand einer extremistischen Gruppe angehört und ein Sicherheitsrisiko darstellt. Die Informationen gehen an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
In diesem Zusammenhang hat die Regierung sogar Zahlen geliefert. In 2019 waren demnach in Italien vier Mitarbeiter und auf Malta drei Mitarbeiter eingesetzt. Sie haben dort Interviews mit Asylsuchenden gemeinsam mit Mitarbeitern des Bundeskriminalamtes durchgeführt. Bis April 2019 haben laut Regierungsantwort 324 Überprüfungen stattgefunden, in zehn Fällen seien Sicherheitsbedenken mitgeteilt worden. Aus einer weiteren Antwort geht hervor, dass die Befragungen offenbar blockweise in jedem Monat durchgeführt wurden, maximal fünf BfV-Mitarbeiter würden dazu eingesetzt. Zu diesen Einsätzen hatte die Bundesregierung in der Vergangenheit ziemlich transparent geantwortet. Ob sie nun noch umfassender Informationen an einzelne interessierte Abgeordnete preisgeben muss, entscheidet sich am Mittwoch.
BVerfG entscheidet zu Verfassungsschutz: . In: Legal Tribune Online, 13.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50461 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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