Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die von Sachsen-Anhalt blockierte Erhöhung des Rundfunkbeitrags und ordnet die Anhebung einfach selbst an. Christian Rath analysiert den Beschluss.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat einen großen Schutzpatron. Und das ist das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Es hat ARD, ZDF und Deutschlandradio nicht nur Existenz- und Entwicklungsgarantie gegeben. Es schützt die Sender auch davor, dass die Politik über die Beitragsschraube Einfluss auf Inhalte und Strukturen nehmen kann. Das Gericht blieb sich mit seiner neuesten Entscheidung (Beschluss vom 20. 7. 2021, Az.: 1 BvR 2756/20) also treu.
Das Sachsen-Anhalt-Problem
Eigentlich hatten die Bundesländer schon 2020 beschlossen, dass der Rundfunkbeitrag zum Jahreswechsel von 17,50 Euro um 86 Cent auf 18,36 Euro pro Monat steigen soll. Dem entsprechenden Staatsvertrag haben 15 Landtage zugestimmt, zum Schluss fehlte nur noch Sachsen-Anhalt.
Im Magdeburger Landtag gab es jedoch keine Mehrheit für die Beitragserhöhung, weil die Fraktionen von CDU und AfD dagegen waren. Damit die CDU nicht mit der AfD gemeinsam mit "Nein" stimmen muss, zog Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) Anfang Dezember den Gesetzentwurf einfach zurück. So rettete die CDU zwar ihre damalige Koalition mit SPD und Grünen. In der Sache wirkte dies aber wie ein "Nein" aus Sachsen-Anhalt. Die Beitragserhöhung war damit politisch gescheitert.
Sofort erhoben dann ARD, ZDF und Deutschlandradio Verfassungsbeschwerde. Die Blockade der Beitragserhöhung durch Sachsen-Anhalt verletze die Rundfunkfreiheit. Zu dieser gehöre ein Anspruch auf "funktionsgerechte Finanzierung" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, argumentierten die Sender unter Verweis auf frühere Urteile des BVerfG. Das Gericht solle den Landtag verpflichten, der Beitragserhöhung doch noch zuzustimmen.
Zwar lehnte das Gericht Ende Dezember eine einstweilige Anordnung ab, weil die Sender keinen drohenden "schweren Nachteil" belegen konnten. Doch haben die Richter:innen nun relativ schnell in der Hauptsache für Klarheit gesorgt.
Öffentlich-rechtliche Sender sind wichtiger denn je
Wie der Erste Senat des BVerfG nun entschied, hat Sachsen-Anhalt den Anspruch der öffentlich-rechtlichen Sender auf "funktionsgerechte Finanzierung" verletzt. Das Land habe die Beitragserhöhung "ohne tragfähige Begründung" blockiert.
Zunächst stellte das Gericht fest, dass die Verfassungsbeschwerden zulässig waren. Die öffentlich-rechtlichen Sender konnten gegen die Untätigkeit Sachsen-Anhalts klagen. Auch ein Unterlassen könne Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein, wenn sich aus dem Grundgesetz eine Pflicht zum Handeln ergibt.
Quasi einleitend nutzten die Verfassungsrichter:innen den Beschluss dann, um noch einmal die Notwendigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu bekräftigen. Dieser sei angesichts der unüberschaubaren Meinungsvielfalt im Internet nicht überflüssig geworden, sondern im Gegenteil wichtiger denn je. Angesichts von einseitigen Filterblasen und Fake News im Netz sei qualitativ hochwertiger Journalismus als "vielfaltsicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht" erforderlich.
Dies hatte der Senat zwar schon 2018 ausgeführt, als er den Übergang von der persönlichen Rundfunkgebühr zum wohnungsbezogenen Rundfunkbeitrag absegnete. Angesichts der skeptischen Stimmung in Teilen der Bevölkerung und nicht zuletzt in Sachsen-Anhalt, fand der Senat offenbar eine explizite Wiederholung angebracht.
Kein Druckmittel für Rundfunkpolitik
Die Richter:innen bestätigten auch das in früheren Urteilen von 1994 (Urteil vom 22.02.1994, Az.: 1 BvL 30/88) und 2007 (Urteil vom 11.09.2007, Az.: 1 BvR 2270/05) vorgegebene dreistufige Verfahren für Beitragserhöhungen: Zunächst müssen die öffentlich-rechtlichen Sender ihren Bedarf anmelden. Dann wird dieser Bedarf durch die unabhängige "Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten" (KEF) geprüft. Die KEF-Empfehlung ist dann Grundlage für die eigentliche Entscheidung durch die Länder.
Die Länder dürfen zwar von der KEF-Empfehlung abweichen, so das Gericht. Zulässig sind dabei aber nur sozialpolitische Argumente, etwa eine drohende Überforderung der Beitragszahler:innen. Kritik an der Struktur der Sender oder am Inhalt der Programme darf bei der Beitragsfestsetzung keine Rolle spielen. Die Sender sind so zu finanzieren, wie sie derzeit rechtlich vorgesehen sind.
Das ist ein klarer Hinweis Richtung Sachsen-Anhalt, wo derzeit der Koalitionsvertrag für eine neue CDU-SPD-FDP-Koalition ausgehandelt wird. Bisher soll es im Koalitionsvertrag heißen, dass Sachsen-Anhalt künftigen Beitragserhöhungen nur zustimmen werde, wenn es "strukturelle Reformen" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gebe. Die CDU denkt etwa an die Zusammenlegung paralleler Klassik- und Jugendwellen oder an die Integration von Radio Bremen und Saarländischem Rundfunk in größerere Sender.
Solche Forderungen hat Karlsruhe nun als eindeutig unzulässig eingestuft. Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks darf nicht als Druckmittel benutzt werden, um rundfunkpolitische Forderungen durchzusetzen.
Eine Innovation aus Karlsruhe
Zwar könnte Sachsen-Anhalt auch mit den Corona-Belastungen der Bürger:innen argumentieren. Dies wäre nach den Karlsruher Vorgaben grundsätzlich zulässig. Bisher hat auch vor allem die dortige CDU auf die leeren Portemonnaies ihrer Wähler:innen verwiesen.
Dennoch kann das Land nach dem jetzigen Karlsruher Beschluss weitere Beitragserhöhungen kaum noch verhindern. Die Richter:innen stellten nämlich fest - und das ist die eigentliche Innovation dieser Entscheidung - dass nur alle Länder gemeinsam von der KEF-Empfehlung abweichen können. Falls nur einzelne Länder sozialpolitische Einwände haben, müssen diese Länder dennoch zustimmen, wenn sie nicht die Gesamtheit aller Länder überzeugen können. Die Richter:innen begründen das mit der "föderalen Verantwortungsgemeinschaft" für die Finanzierung des Rundfunks.
Die Richter:innen sehen darin keine unzulässige Schwächung des Föderalismus. Sie verweisen darauf, dass einzelne Länder auch beim Abschluss eines Staatsvertrags nicht zwingend ein Vetorecht haben müssen. Denkbar wären auch Staatsverträge, bei denen eine Mehrheit der Ministerpräsidenten bzw. der Landtage genügt. Dies hat das BVerfG schon in seiner Entscheidung zur Rundfunk-Finanzierung von 2007 für möglich erklärt.
Richter:innen erhöhen den Beitrag
In einer Vollstreckungsanordnung gem. § 35 BVerfGG erhöhten die Richter:Innen den Rundfunkbeitrag nun selbst (ab 20. Juli) auf die geplanten 18.36 Euro. Das Datum "20. Juli" war der Tag der internen Schlussabstimmung im Gericht. Am heutigen Donnerstag wurde der Beschluss nur veröffentlicht.
Diese Zwischenregelung wird so lange gelten, bis die Länder per Staatsvertrag einen neuen Beitrag festsetzen. Dies wird vermutlich bald der Fall sein, weil das Gericht den Sendern auch einen Anspruch auf "Kompensation" für die unterbliebene Beitragserhöhung der letzten Monate gewährte. Die Sender können nun geltend machen, dass sie die Qualität des Programmes nur durch den Rückgriff auf eigentlich anderweitig verplante Rücklagen gewährleisten konnten. Auch in die Feststellung der Kompensationshöhe soll die KEF-Kommission eingebunden werden.
Die KEF arbeitet ohnehin bereits an ihrem nächsten Bericht, der im Februar 2022 veröffentlicht wird. Eigentlich sollte dies nur ein Zwischenbericht ohne Beitrags-Empfehlung sein, da die KEF grundsätzlich nur alle vier Jahre eine Empfehlung ausspricht. Nun könnte das Zwischenverfahren aber genutzt werden, um die Kompensation in eine moderate Beitragserhöhung umzurechnen.
Das Karlsruher Urteil fiel ohne sichtbare Gegenstimme. Federführend war Ines Härtel, die erste Verfassungsrichterin mit ostdeutscher Biografie, die voriges Jahr von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) durchgesetzt worden war. Sie ist als Nachfolgerin von Johannes Masing auch für die Rundfunkfreiheit zuständig.
BVerfG zu Rundfunkbeitrag: . In: Legal Tribune Online, 05.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45662 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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