Nur bei Auftakt und Urteilsverkündung darf beim Schlecker-Prozess gefilmt werden. Mehr Bildberichterstattung will das LG Stuttgart nur tageweise einzeln prüfen. Das BVerfG findet das vorläufig in Ordnung. Eine erste Analyse von Martin W. Huff.
Vor Beginn des sogenannten Schlecker-Prozesses rund um die Insolvenz der Drogeriemarktkette am Landgericht (LG) Stuttgart am 6. März 2017 hatte der Vorsitzende der 11. Großen Wirtschaftsstrafkammer im Januar eine umfangreiche sitzungspolizeiliche Verfügung erlassen. In dieser gestattete er jeweils 10 Minuten vor Beginn der Hauptverhandlung am ersten Sitzungstag und vor Beginn der Urteilsverkündung Ton-, Bild- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal. Dabei wies er auch darauf hin, dass die Bilder der Angeklagten und Zeugen aus dem Saal nur nach den Grundsätzen des Persönlichkeitsrechts veröffentlicht werden dürften. Weiter hieß es dann wörtlich: "Die Genehmigung von Ton–, Bild– und Filmaufnahmen im Sitzungssaal vor anderen Verhandlungstagen oder in Sitzungspausen werden auf Antrag vom Vorsitzenden jeweils geprüft."
Insgesamt lehnte der Vorsitzende drei Anträge auf eine weitere Bildberichterstattung ab, nur für den 17. Juli 2017 ließ er für bestimmte Medienvertreter Bilder aus dem Gerichtssaal wieder zu. An diesem Tag sollte der Insolvenzverwalter des Unternehmens vernommen werden.
Gegen die Sitzungsverfügung aus Januar hatte der Springer-Verlag Beschwerde zum Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart eingelegt, die nach neuer Rechtsprechung des BVerfG vor einer Anrufung der Karlsruher Richter notwendig ist. Das OLG Stuttgart aber bestätigte die Entscheidungen des Kammervorsitzenden und wies die Beschwerde des Verlags zurück. Dieser hatte eine umfangreichere Bildberichterstattung gefordert. Der gegen diese Entscheidung gerichtete Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, den Springer sodann gemeinsam mit einer Verfassungsbeschwerde einreichte, war erfolglos, wie das BVerfG am Dienstag bekannt gab (Beschl. v. 17.08.2017, Az. 1 BvR 1741/17).
BVerfG: Beschränkung der Bildberichterstattung auf bestimmte Tage zulässig
Die Karlsruher Richter begründen das mit der üblichen Abwägung der Vor-und Nachteile für beide Seiten. Diese Abwägung führe dazu, dass weitere Bildaufnahmen nicht erforderlich seien, um die Interessen der Medien zu sichern. Vielmehr seien diese durch die Möglichkeit, im Laufe des Verfahrens wiederum den Antrag zu stellen, Bilder anfertigen zu dürfen, ausreichend gewahrt.
Zwar bestehe aufgrund der öffentlichen Aufmerksamkeit der hier in Rede stehenden Straftaten ein gewichtiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit an dem Strafverfahren. Einschränkungen der Berichterstattung begründeten auch möglicherweise einen gewichtigen Nachteil für die Pressefreiheit, so die 3. Kammer des Ersten Senats.
Durch die Anordnung des Vorsitzenden würden Bildaufnahmen der Verfahrensbeteiligten aber nicht vollständig verboten. Namentlich an den regelmäßig besondere öffentliche und mediale Aufmerksamkeit genießenden Terminen eines Strafverfahrens, also beim Beginn der Hauptverhandlung und bei der Urteilsverkündung, seien Ton-, Bild-und Filmaufnahmen im Sitzungssaal schließlich gestattet. Auf diese könne im Rahmen der weiteren Berichterstattung auch zurückgegriffen werden.
Bei jeder neuen Entscheidung über die Zulassung von Bildern müsse der Vorsitzende sein Urteil auf konkrete, auf Gesichtspunkte der Sitzungsleitung bezogene Gründe zum Schutz der Angeklagten und der sonstigen Verfahrensbeteiligten, eines ungestörten Verlaufs der Sitzung oder der Bedingungen für eine ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung stützen können. Die bloße "Lästigkeit" der Anwesenheit von Bildberichterstattern hingegen sei kein ausschlaggebendes Argument, betont der Senat. Der kann sich mit der Verfassungsbeschwerde eigentlich erst im Hauptsacheverfahren befassen.
2/2: Geordneter Verhandlungsablauf und aussagebereite Zeugen haben Vorrang
Das BVerfG lässt damit - nach einer Entscheidung vom 9. September 2016 (1 BvR 2022/16) - zum zweiten Mal einschränkende Anordnungen für die Bildberichterstattung zu. Die Verfassungsrichter haben keine Bedenken dagegen, dass Bilder aus dem Strafverfahren nur an bestimmten Verhandlungstagen überhaupt erstellt werden dürfen. Die 3. Kammer des Ersten Senats mit dem Berichterstatter Prof. Dr. Johannes Masing verfolgt damit eine durchaus begrüßenswerte einschränkende Linie für Bilder aus dem Gerichtssaal.
Sie gestehen zu, dass an bestimmten Verhandlungstagen Bilder angefertigt werden dürfen, unterstützen aber die Argumentation der Kammervorsitzenden, dass es - gerade wenn Zeugen vernommen werden - Verhandlungstage gibt, die nicht so in der Öffentlichkeit stehen und an denen grundsätzlich keine Bilder gestattet werden müssen.
Nur muss es, so wird aus dem Karlsruher Beschluss deutlich, dafür eine ausreichende Begründung geben. Der Vorsitzende im Schlecker-Prozess hatte darauf abgestellt, dass Zeugen, gerade auch aus dem Ausland, erklärt hätten, nicht zu erscheinen oder zumindest von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, wenn die Gefahr bestehe, dass Bilder von Ihnen angefertigt würden. Seine Wertung, dass andernfalls die Wahrheitsfindung erschwert werden könne und die Rechte der Medien durch die getroffenen Anordnung nicht unangemessen eingeschränkt würden, lassen die Verfassungsrichter gelten. Dabei ist aber auch immer zu beachten, dass selbstverständlich Journalisten im Saal anwesend sein dürfen - nur die Bildberichterstattung ist eingeschränkt.
Prominente müssen nicht immer verpixelt werden
Deutlich wird in dem Beschluss auch, dass sich Angeklagte, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen, nicht mehr darauf verlassen können, dass die Medien Bilder von ihnen unkenntlich machen. Aus der Anordnung des Stuttgarter Richters ergibt sich, dass er nicht auf verpixelten Bildern besteht, sondern Bilder grundsätzlich angefertigt werden dürfen. Die Entscheidung, gem. §§ 22, 23 des Kunsturhebergesetzes (KunstUrhG) festzulegen, ob unanonymisierte Bilder von den Betroffenen im Saal veröffentlicht werden dürfen oder nicht, liege bei den Medien, die sich dabei am abgestuften Schutzkonzept des Bundesgerichtshofs orientieren sollten. Im Juni 2011 hatte der nämlich entschieden, dass keine Unkenntlichmachung verlangt werden könne, solange die Bilder ein Ereignis der Zeitgeschichte zeigten. Geht es also in Prozessen um derartige Ereignisse, dürfen die Bilder auch ohne Zustimmung des Betroffenen veröffentlicht werden.
Die Entscheidung führt zu der - immer noch nicht abgeschlossenen - Diskussion, ob Angeklagte das Recht haben, sich grundsätzlich gegen Bilder aus dem Gerichtssaal zu wehren, gerade weil sie gezwungen werden, sich der Anwesenheit dort also nicht entziehen können. Der Beschluss der Karlsruher Richter führt zumindest dazu, dass Bilder auf bestimmte Verhandlungstage beschränkt werden können. Es bleibt zu hoffen, dass das BVerfG bald einmal Gelegenheit erhält, über diese Frage der Abwägung der verschiedenen Grundrechte zu entscheiden. Der am heutigen Dienstag veröffentlichte Beschluss ist aber ein richtiger Weg der Beschränkung von Bildern aus dem Gerichtssaal.
Martin W. Huff, BVerfG bestätigt Einschränkungen von Bildern aus dem Gerichtssaal: Springer-Verlag darf beim Schlecker-Prozess nur tageweise filmen . In: Legal Tribune Online, 12.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24487/ (abgerufen am: 19.07.2024 )
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