Die Bundeswehr soll mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro saniert werden. Das Vorhaben ist auch juristisch interessant. Mit Hilfe einer Grundgesetzänderung soll 2022 für diesen Zweck die Schuldenbremse umgangen werden.
Die Bundeswehr wurde nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts stark reduziert. Statt der Landesverteidigung gegen Angriffe des Ostblocks wurde als neuer Hauptzweck die Beteiligung an internationalen Auslandseinsätzen etwa in Afghanistan oder Mali festgelegt.
Nach der Annektion der Krim durch Russland im Jahr 2014 setzte jedoch ein Umdenken ein. Auch ein Krieg in Europa galt nun nicht mehr als undenkbar. Der Militäretat im Bundeshaushalt stieg seitdem von 33 Milliarden Euro auf rund 50 Milliarden Euro pro Jahr.
Dennoch ist die Bundeswehr bis heute ein Sanierungsfall. Nur wenige Panzer, Hubschrauber und U-Boote sind überhaupt gefechtsfähig. Was bisher eher belächelt wurde, wirkt angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine nun doch beunruhigend. Und falls 2024 Donald Trump wiedergewählt werden sollte, wäre Europa militärisch wirklich weitgehend auf sich allein gestellt.
Für Flugzeuge, die fliegen...
Deshalb kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Sondersitzung des Bundestags am Sonntag die Schaffung eines "Sondervermögens Bundeswehr" an. Dieses soll einmal mit 100 Milliarden Euro für Rüstungsvorhaben ausgestattet werden. "Wir brauchen Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen, und Soldatinnen und Soldaten, die für ihre Einsätze optimal ausgerüstet sind", sagte Scholz.
Finanzminister Christian Lindner (FDP) ergänzte am Montag im ARD-Morgenmagazin, die Bundeswehr solle "bis 2030" zu einer der leistungsfähigsten Armeen Europas werden.
Das sogenannte "Sondervermögen" wäre allerdings kein echtes Vermögen, sondern bestünde vor allem aus neuen Schulden. Neben dem normalen Bundeshaushalt würde der Bund in diesem Jahr 100 Milliarden Euro zusätzliche Kredite aufnehmen oder Kreditermächtigungen beschließen. Die Ausgaben sollen dann über mehrere Jahre gestreckt werden. An den Details arbeitet die Bundesregierung noch.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit stellte aber klar, dass Ausgaben des Sondervermögens auch mitgezählt werden, um schon ab 2022 das Nato-Ziel zu erreichen, zwei Prozent des Brutto-Inlandsprodukts für das Militär auszugeben. Das heißt, es muss weniger in anderen Bereichen des Haushalts gespart werden, um die Militärausgaben von 50 Mrd. Euro auf 70 Mrd. Euro pro Jahr zu steigern.
Bessere Zweckbindung
Eigentlich kann der Bundestag ein Sondervermögen per Gesetz mit einfacher Mehrheit einführen. So wurde etwa der Energie- und Klimafonds 2010 per Gesetz beschlossen.
Die Einrichtung des "Sondervermögens Bundeswehr" soll jedoch im Grundgesetz abgesichert werden, kündigte Kanzler Scholz am Sonntag an. Erforderlich ist dafür also eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Hierfür wurden mehrere Gründe genannt.
Ein Grund für die Verankerung des Sondervermögens im Grundgesetz ist die bessere Zweckbindung der Mittel: Wenn im Grundgesetz die Verwendung der 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr garantiert ist, kann der Bundestag das Geld nicht in zwei Jahren für die Steigerung der Renten oder Ähnliches umwidmen. Um die 100 Milliarden Euro anders als geplant auszugeben, müsste vielmehr zunächst erneut das Grundgesetz mit Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden.
Schuldenbremse wird ausgetrickst
Der zweite Grund für eine Grundgesetzänderung liegt in der Umgehung der Schuldenbremse, die in Artikel 109 und 115 des Grundgesetzes (GG) geregelt ist. Eigentlich darf der Bund laut GG pro Jahr nur maximal 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung an neuen Schulden aufnehmen. Derzeit wären das rund 13 Milliarden Euro. Bei schlechter Konjunktur kommt noch ein Zuschlag hinzu.
Nur in wenigen Ausnahmefällen darf der Bund mehr Kredite aufnehmen. So erlaubt es das GG, bei "Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituation" mehr auszugeben, als die Schuldenbremse eigentlich erlaubt. Die Corona-Pandemie ist so eine Notsituation, weshalb die Schuldenbremse für die Bewältigung der Pandemie derzeit nicht gilt.
Der desolate Zustand der Bundeswehr ist dagegen keine Notsituation, sondern ein strukturelles Problem. Um die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro zu stärken, dürfte die Schuldenbremse also nicht überschritten werden.
"Die Schuldenbremse ist trotz Pandemie nicht generell ausgesetzt", betont der Schuldenbremsen-Experte Alexander Thiele, Professor für Öffentliches Recht an der BSP Business & Law School Berlin.
Wenn aber - wie jetzt geplant - das "Sondervermögen Bundeswehr" ausdrücklich im GG abgesichert wird, dann kann dabei auch die Anrechnung auf die Schuldenbremse ausgeschlossen werden. Details zur geplanten Verfassungsänderung liegen aber noch nicht vor.
Vorgezogene Verbuchung von späteren Ausgaben
Thiele weist auch darauf hin, dass es neben unselbständigen Sondervermögen wie dem Energie- und Klimafonds (EKF) auch selbständige Sondervermögen wie die Sozialversicherungen gibt. Während der EKF in die Schuldenberechnung der grundgesetzlichen Schuldenbremse einbezogen wird, ist dies bei selbständigen Sondervermögen nicht der Fall. Bisher gibt es aber keine Anzeichen, dass die Bundesregierung das "Sondervermögen Bundeswehr" als selbständiges Sondervermögen ausgestalten will.
Vielmehr betont Finanzminister Lindner ausdrücklich, dass er ab 2023 die Schuldenbremse - wie versprochen - wieder einhalten will. Genau deshalb will er sich auch speziell für das Jahr 2022 eine verfassungsrechtliche Ausnahme von der Schuldenbremse schaffen. Vorgesehen ist nämlich, die gesamte Summe von 100 Milliarden Euro bereits im Haushaltsjahr 2022 zu verbuchen, auch wenn das Geld zum großen Teil erst in den Folgejahren ausgegeben wird. Das erleichtert es Lindner natürlich, die Schuldengrenze ab 2023 wieder zu beachten.
Im Fall des zweiten Nachtragshaushalts 2021 war genau diese vorgezogene Verbuchung von Kreditermächtigungen sehr umstritten.
In dem Gesetz, das am vorigen Freitag vom Bundespräsidenten verkündet wurde, beschloss der Bundestag, nicht benutzte Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro in den Energie- und Klimafonds zu verschieben, um mit klimarelevanten Investitionen die corona-geschädigte Konjunktur wieder anzuschieben. Die 60 Milliarden Euro wurden vollständig im Jahr 2021 verbucht, obwohl das Geld erst in den Folgejahren tatsächlich ausgegeben wird.
Auch dies ist einer der Gründe, warum die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine abstrakte Normenkontrolle gegen das zweite Nachtragshaushaltsgesetz angekündigt hatte. Auch bei diesem Problem könnte eine ausdrückliche Regelung des "Sondermögens Bundeswehr" im Grundgesetz Streit vermeiden.
Politische Folgen einer Grundgesetzänderung
Auch politisch macht die Grundgesetzänderung für Lindner Sinn. Da nun eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich ist, müssen CDU/CSU im Parlament und der Länderkammer zustimmen. CDU-Chef Friedrich Merz hat dies am Sonntag bereits in Aussicht gestellt. Als Mitverantwortlicher kann er dann aber Finanzminister Lindner nicht mehr so gut wegen dessen Schuldenpolitik angreifen.
Zugleich ist die Einbindung der Union für die Ampel aber auch gefährlich. Merz hat am Sonntag bereits deutlich gemacht, dass er nicht nur das Sondervermögen billigen will, sondern insgesamt über die Haushaltspolitik der Bundesregierung mitbestimmen möchte. Es klang fast so, als wolle er die gemeinsame Grundgesetzänderung nutzen, um doch noch Teil der Regierungskoalition zu werden.
Das Epressungspotenzial von Merz ist aber begrenzt. Sollte er mit seinen Forderungen zu weit gehen, könnte das "Sondervermögen Bundeswehr" aber auch ohne Grundgesetzänderung eingeführt und zum Beispiel als selbständiges Sondervermögen ausgestaltet werden.
Bundesregierung plant Sondervermögen: . In: Legal Tribune Online, 28.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47667 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag