Eine unabhängige Kommission soll untersuchen, wie viel Einfluss NS-Juristen in den Gründungsjahren der Bundesrepublik auf das Bundesjustizministerium hatten. Schon bevor die Wissenschaftler ihre Arbeit aufnehmen steht fest, dass es einen personellen Umbruch in der Justiz nach dem Ende des Nazi-Regimes nicht gegeben hat.
Nachdem sich schon einige andere Ministerien mit ihrer Geschichte während der Zeit des „Dritten Reiches“ und der Nachkriegsjahre befasst haben, gab Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) am Mittwoch bekannt, dass sich nun auch das Bundesministerium der Justiz (BMJ) einem entsprechenden Rückblick stellen wird.
Mit der Erforschung der Vergangenheit des BMJ wurden der Potsdamer Historiker Prof. Dr. Manfred Görtemaker sowie der Marburger Strafrechtsprofessor Dr. Christoph Safferling beauftragt. Zusammen bilden sie die "Unabhängige wissenschaftliche Kommission beim Bundeministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit".
Über einen Zeitraum von etwa vier Jahren soll untersucht werden, wie weit der Einfluss personeller NS-Kontinuität in den Jahren der Nachkriegszeit im BMJ ging. Unter anderem soll es darum gehen, ob die Ermittlungen in den 50-er und 60-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die unter anderem zum Ulmer Einsatzgruppenprozess und den Frankfurter Ausschwitzprozessen führten, aus Berlin unterstützt oder behindert wurden.
Zudem wollen die Wissenschaftler prüfen, "wie sich das Haus in der Frage der Entnazifizierung von Gesetzen" verhielt, so etwa beim Familien- und Verfassungsrecht, aber auch bei den Normen der Verfahrensordnungen, erklärte Safferling. Die Gesetze seien lediglich "von den gröbsten nationalsozialistischen Einschnitten bereinigt" worden. "Ein klarer Schnitt" sei in der Gesetzgebung der "jungen Bundesrepublik" aber keinesfalls zu finden. Nun gelte es die Gründe dafür zu untersuchen.
Nürnberger Juristenprozess als Grundlage der Forschung
Eine der Grundlagen für weitere Nachforschungen soll laut Safferling das Urteil des Nürnberger Juristenprozesses von 1947 werden. Der Marburger Strafrechtler will mit seinem Kollegen Görtemaker der Frage nachgehen, wie seitens des Ministeriums mit den Ergebnissen des Verfahrens umgegangen wurde, das für ihn "im Wesentlichen ein Reichsjustizministeriumsprozess" ist.
Damals waren hohe Justizbeamte des NS-Regimes, Richter und Staatsanwälte vor einem amerikanischen Militärgericht angeklagt, weil sie NS-Gesetze initiiert oder angewandt hatten. Nach gut neunmonatiger Verhandlung kamen die vier US-Richter zu dem Ergebnis, dass sich "der Dolch des Mörders unter der Robe des Juristen" befand. Sie verurteilten zwölf Angeklagte zu teils lebenslangen Haftstrafen.
Dieses Urteil habe die "Verantwortung der Juristen für die aus ihren Gesetzen resultierenden Konsequenzen festgeschrieben". Die Urteile lauteten nicht auf Rechtsbeugung. Die Juristen hatten sich "wegen Mordes, Totschlags, Folter, Verfolgung – eben wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit – als Handlanger des verbrecherischen Systems" strafbar gemacht.
Solche Urteile blieben jedoch eine Seltenheit. Nachdem das "Kontrollratsgesetz Nr. 10" 1956 aufgehoben wurde, entfiel die von den Alliierten erlassene Rechtsgrundlage zur Strafverfolgung von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Gräueltaten der NS-Juristen konnten nur noch nach dem deutschen Strafgesetzbuch (StGB) geahndet werden. Dadurch habe man sich aber "ein konsequentes Weiterschreiten auf dem in Nürnberg begonnenen Weg abgeschnitten", meint Safferling. Auch hier will der Wissenschaftler "nach dem Warum fragen".
Alte braune Juristen im jungen Justizministerium
Eng damit verknüpft sieht er auch die Frage personeller Kontinuitäten. Viele Juristen, die im dritten Reich aktiv waren, bekleideten auch in der Bundesrepublik wichtige Posten. Die Untersuchung soll über die bloße Erhebung von Statistiken hinausgehen. Es gehe darum zu fragen, wie sich die Anwesenheit ehemaliger NS-Juristen im Bundesministerium auf die Rechtsentwicklung ausgewirkt habe, erläuterte der Marburger Strafrechtler.
Er will prüfen, welchen Einfluss Personen wie der ehemalige Generalreferent für Strafrecht im BMJ Eduard Dreher oder der Ex-Abteilungsleiter für öffentliches Recht Walter Roemer hatten. Dreher war Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck und selbst dann unerbittlicher Verfechter der Todesstrafe, wenn es nur um die unbefugte Benutzung eines Fahrrades ging. Auch Roemer, der unter anderem die Vollstreckung der Todesurteile an den Geschwistern Scholl überwachte, bezeichnete Safferling als Beispiele dafür, dass ein Umbruch im BMJ damals ausgeblieben sei.
Dreher, der spätere Kommentator des StGB und seit 1954 für die Strafrechtsreform zuständig, gilt außerdem als Schlüsselfigur bei der Initiierung des "Einführungsgesetzes zum Ordnungswidrigkeitengesetz" 1968. In dessen Folge kam es zur schlagartigen Verjährung von Beihilfehandlungen zum Mord – genau dem Tatbestand, mit dem man nach der Aufhebung des Kontrollratsgesetzes versuchte, von NS-Juristen begangenes Unrecht zu verfolgen. Die so genannte "kalte Verjährung" machte das unmöglich.
Der Historiker und der Rechtswissenschaftler werden viel Vorlaufzeit brauchen, um überhaupt in Erfahrung zu bringen, wie weit sie forschen können. Dabei komme es erst einmal darauf an "was an Material vorhanden ist", sagte Strafrechtslehrer Safferling. Zur weiteren Vorbereitung der Kommissionsarbeit soll im April dieses Jahres eine Auftaktkonferenz stattfinden, bei der sie mit weiteren Wissenschaftlern der aktuellen Stand der Forschung zu erörtern. Erst 2013 werde die Kommission ihre Arbeit vollständig aufnehmen. Spätestens dann wird mehr Licht unter die Robe der NS-Juristen gebracht.
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Sascha Hörmann, Bundesjustizministerium: . In: Legal Tribune Online, 12.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5282 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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