Kassenärzte, die von einem Pharmaunternehmen Vorteile für die Verordnung von Arzneimitteln entgegennehmen, machen sich nach geltendem Recht nicht wegen Bestechlichkeit strafbar. Die mit Spannung erwartete Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen klärt eine kontrovers diskutierte Grundsatzfrage. Warum die Mediziner trotzdem wohl bloß für den Moment aufatmen können, erklärt Oliver Sahan.
Zuwendungen an Kassenärzte beispielsweise in Form gegenständlicher Geschenke, Einladungen zu Tagungen an illustren Orten, "Aufwandsentschädigungen" für Anwendungsbeobachtungen und teilweise überzogene Vortragshonorare von Pharmareferenten und anderen Vertretern waren noch bis vor einigen Jahren ein weit verbreitetes Phänomen.
Trotz ethischer Bedenken an mancher dieser Praktiken wurden diese in rechtlicher Hinsicht nicht hinterfragt. Wie selbstverständlich wurde allgemein angenommen, dass niedergelassene Kassenärzte – anders als Amtsärzte und beispielsweise angestellte Krankenhausärzte – wegen ihrer freiberuflichen Tätigkeit nicht taugliche Täter einer Bestechlichkeit seien. Nach geltender Rechtslage ist das neben Amtsträgern nämlich nur, wer Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes ist.
Die Überlegung, in selbständig tätigen Ärzten einen Amtsträger zu sehen, erschien fernliegend. Dass ein Kassenarzt Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes sein sollte, wurde lange mit der Begründung verneint, dass er im Interesse seiner jeweiligen Patienten und damit eben nicht im Interesse eines geschäftlichen Betriebes handelt. Strafverfolgungsbehörden wurden daher lange auch dann nicht tätig, wenn sie Anhaltspunkte dafür hatten, dass Pharmareferenten großzügige Geschenke an solche Kassenärzte verteilten, die ihre Produkte im Gegenzug bevorzugt verschrieben.
Ärzte als Beauftragte oder Amtsträger?
Schon seit einigen Jahren wurde nun jedoch kontrovers diskutiert, ob solche Verhaltensweisen nicht sehr wohl als strafbare Korruption einzuordnen seien. Im Fokus der Diskussion stand die Frage, ob niedergelassene Ärzte bei der Behandlung von Kassenpatienten einen Auftrag der Krankenversicherung erfüllen.
Damit könnten sie unabhängig von ihrem Behandlungsverhältnis gegenüber den Patienten im Verhältnis zu den gesetzlichen Krankenkassen Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes im Sinne des Bestechungstatbestandes sein. Aber auch die These, niedergelassene Vertragsärzte seien vor dem Hintergrund ihrer Einbindung in das System der gesetzlichen Krankenkassen als Amtsträger anzusehen, fand nach und nach ihre Anhänger.
Infolge dieser Diskussion kam es immer häufiger auch zu Ermittlungsverfahren durch Staatsanwaltschaften, die eine Strafbarkeit des geschilderten Verhaltens befürworteten. Erste Ärzte wurden sogar bereits wegen Korruption verurteilt. Diese wehrten sich jedoch, legten Rechtsmittel gegen die Urteile ein und erzwangen so eine Entscheidung des obersten ordentlichen Gerichts. Dieses erkannte die Bedeutung der Rechtsfrage für das gesamte Gesundheitswesen und legte sie dem Großen Senat für Strafsachen zur grundlegenden Entscheidung vor.
BGH: Der Arzt des Patienten, nicht der der Krankenkasse
Nach mehreren Monaten der Unsicherheit sowohl der betroffenen Ärzte und sonstigen Beteiligten des Gesundheitswesens als auch der Staatsanwaltschaften veröffentlichte der Bundesgerichtshof am Freitag seine bereits Ende März getroffene Entscheidung und sorgt somit für Rechtssicherheit: Ärzte können nicht wegen Bestechlichkeit strafbar sein (BGH, Beschl. v. 29.03.2012, Az. GSSt 2/11).
Der Große Senat kommt nach Prüfung der aktuellen Gesetzeslage zu dem Ergebnis, dass niedergelassene Vertragsärzte weder als Amtsträger zu betrachten sind noch als Beauftragte der Krankenkassen handeln, wenn sie ihren Patienten Medikamente verschreiben. Die gesetzlichen Krankenkassen seien zwar Stellen öffentlicher Verwaltung im Sinne der gesetzlichen Amtsträgerdefinition. Der freiberuflich tätige Kassenarzt aber sei weder Angestellter noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde, so die Bundesrichter.
Vielmehr werde er durch den Versicherten ausgewählt. Die Verordnung eines Arzneimittels vollziehe sich im Rahmen der ärztlichen Behandlung dieses Patienten, einem personal geprägten Vertrauensverhältnis zwischen dem Patienten und seinem Arzt. Die Einbindung des Kassenarztes in das System öffentlich gelenkter Daseinsfürsorge verleihe der ärztlichen Tätigkeit nicht den Charakter hoheitlich gesteuerter Verwaltungsausübung, so dass er kein Amtsträger sein könne.
Korruption im Gesundheitswesen - der Rest ist Sache des Gesetzgebers
Nach Ansicht der Karlsruher Richter ist der Vertragsarzt bei der Verordnung eines Arzneimittels auch nicht Beauftragter eines geschäftlichen Betriebs, was Voraussetzung einer Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr wäre. Er werde von seinem Patienten frei ausgewählt und handele daher auch als dessen Beauftragter, nicht aber als Beauftragter der Krankenkassen.
Dies begründet der für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zuständige Senat damit, dass die Krankenkasse den Arzt akzeptieren muss, welchen der Versicherte frei gewählt hat. Den so bestimmten Arzt nimmt der Patient als "seinen" Arzt wahr, den er beauftragt und dem er sein Vertrauen geschenkt hat.
Mit seiner Entscheidung sorgt der Große Senat nicht nur für Rechtssicherheit, sondern weist auch diejenigen in ihre Schranken, die durch eine übermäßig weite Auslegung der bestehenden gesetzlichen Tatbestände ein ethisch unerwünschtes Phänomen der Strafrechtspflege überantworten wollten. So schließt der Beschluss des BGH auch damit, dass er nur zu entscheiden hatte, ob korruptes Verhalten von Kassenärzten und Mitarbeitern von Pharmaunternehmen nach dem geltenden Strafrecht strafbar ist. Das war zu verneinen.
Darüber zu befinden, ob Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig ist, und gegebenenfalls durch entsprechende Straftatbestände eine effektive strafrechtliche Ahndung zu ermöglichen, sei Aufgabe des Gesetzgebers.
Das letzte Wort ist in der Diskussion der Korruption im Gesundheitswesen also sicher noch nicht gesprochen. Vor diesem Hintergrund sollten die Vertragsärzte bei der Annahme von Zuwendungen weiterhin besondere Vorsicht walten lassen.
Dr. Oliver Sahan ist Strafverteidiger bei der Roxin Rechtsanwälte LLP in Hamburg.
BGH erklärt korrupte Vertragsärzte für nicht strafbar: . In: Legal Tribune Online, 22.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6455 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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