Es klingt nach einem Schildbürgerstreich: Die Stasi-Unterlagenbehörde beschäftigt stasibelastete Mitarbeiter. Ihr neuer Chef hat nun angekündigt, dass er die Betreffenden künftig nicht mehr in seinem Haus haben möchte. Wie aber sieht das Ganze arbeitsrechtlich aus? André Niedostadek nimmt einige Punkte unter die Lupe und zeigt, dass die aktuelle Diskussion zu kurz greift.
Die Antrittsrede von Roland Jahn, dem neuen Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatsicherheit, bot einen Paukenschlag: Dass nach wie vor ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in seiner Behörde arbeiten, bezeichnete er als "unerträglich" und einen "Schlag ins Gesicht der Opfer".
Wenn es nach Jahn geht, sollen stasibelastete Mitarbeiter künftig keinen Platz mehr in der Behörde haben. Die Kritik an dieser Absichtserklärung ließ nicht lange auf sich warten; der neue Bundesbeauftragte möge sich doch bitte an rechtsstaatliche Prinzipien halten und insbesondere die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen nicht aus den Augen verlieren.
Der Anlass der Diskussion selbst ist nicht neu. Seit langem ist bekannt, dass in der Stasi-Unterlagenbehörde, einer Mammutinstitution mit immerhin rund 1.600 Beschäftigten, Mitarbeiter des früheren MfS arbeiten. Konkret soll es um 47 Personen gehen, teils Wachpersonal, teils ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter des MfS. Schon in der Vergangenheit war dies vielfach kritisiert worden, wobei man gern darauf verwies, dass man schließlich auch nicht Brandstifter zum Feuerlöschen einsetze.
Joachim Gauck, der erste Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, sah darin gefühlsmäßig eine Gratwanderung. Dessen Nachfolgerin und Jahns Vorgängerin Marianne Birthler sprach von einer "schweren Hypothek". Birthler hatte sich allerdings gehindert gesehen, weitere arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ziehen. Wie sollten die auch aussehen?
Stasi-Tätigkeit allein reicht nicht für Kündigung
Zu denken wäre daran, die arbeitsrechtliche Notbremse ziehen und das Arbeitsverhältnis einseitig zu beenden. Theoretisch denkbar sind zwei Wege: Die Anfechtung eines Arbeitsverhältnisses und die Kündigung. Der erste Weg ist jedoch gleich versperrt und der zweite ebenfalls nur schwer zu gehen.
Zwar sieht das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) die Option vor, Arbeitsverträge anzufechten und damit rückwirkend aus der Welt zu schaffen. Allerdings bedarf es dazu eines Anfechtungsgrundes, beispielsweise aufgrund einer arglistigen Täuschung (§ 123 BGB).
In der Praxis kommen solche Fälle immer mal wieder vor, etwa wenn jemand im Rahmen eines Vorstellungsgespräches auf bestimmte zulässige Fragen (wie etwa nach der eigenen Stasi-Vergangenheit) wahrheitswidrig antwortet. Das Problem nur: Hier war den Beteiligten die Vergangenheit der Beschäftigten offenbar bekannt. Hinzu kommt, dass eine Anfechtung nach mehr als zehn Jahren ohnehin entfällt (§ 124 Abs. 3 BGB).
Bliebe eventuell eine Kündigung, durch die sich ein Arbeitsverhältnis für die Zukunft beenden lässt. Als einschneidende Maßnahme ist sie nur in engem Rahmen zulässig. Die Rechtsprechung, allen voran das Bundesarbeitsgericht, hatte zwar schon verschiedentlich entschieden, dass Tätigkeiten für das MfS je nach den Umständen des Einzelfalls zu einer Kündigung berechtigen können. Dabei ist aber die Verhältnismäßigkeit zu beachten und es sind die beiderseitigen Interessen gegeneinander abzuwägen.
Das führt immer zu Einzelfallentscheidungen. Die inzwischen mehr als zwanzig Jahre zurückliegende Tätigkeit für das MfS reicht für sich allein genommen jedenfalls noch nicht. Zugunsten der Mitarbeiter ist nicht nur die Dauer der jetzigen Beschäftigung in die Waagschale zu werfen, sondern auch, dass hier offenbar keine Stasi-Verstrickungen verschwiegen wurde.
Freilich können sich die Umstände ändern. Die Behörde selbst weist darauf hin, dass die Beschäftigten regelmäßig überprüft würden. Durch neue Erkenntnisse sei es in der Vergangenheit in einzelnen Fällen auch zu Entlassungen gekommen. Aber dann bleibt es bei Maßnahmen im Einzelfall.
Bei Versetzungen wäre eventuell Mitarbeitervertretung anzuhören
Doch es ist nicht nur an die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zu denken. Wie man diversen Pressemitteilungen entnehmen kann, ist man von Seiten der Behörde bemüht, die betroffenen Mitarbeiter in anderen Bundeseinrichtungen unterzubringen. Das ist verständlich, zumal Arbeitgeber hier nicht die Unterlagenbehörde selbst ist, sondern die Bundesrepublik Deutschland.
Die Versetzung eines Arbeitnehmers an andere Standorte, eventuell auch verbunden mit einer anderen Tätigkeit, ist arbeitsrechtlich nicht ausgeschlossen. Sie ist insbesondere möglich, wenn sich der Arbeitgeber diese Option im Arbeitsvertrag ausdrücklich vorbehalten hat.
Was aber, wenn der Arbeitsvertrag keine detaillierten Regelungen vorsieht? Grundsätzlich hat ein Arbeitgeber die Möglichkeit, aufgrund seines Weisungsrechts das Arbeitsverhältnis zeitlich, inhaltlich und örtlich zu konkretisieren.
Arbeitnehmer können vom Arbeitgeber auch nicht verlangen, dass dies in einer bestimmten Art und Weise zu erfolgen hat. Der Arbeitgeber hat dieses Recht vielmehr nach billigem Ermessen auszuüben – und dabei wiederum die Interessen beider Parteien angemessen zu berücksichtigen. Speziell eine örtliche Veränderung kann der Arbeitgeber aber möglicherweise nur im Wege einer so genannten Änderungskündigung durchsetzen.
Doch selbst wenn eine Versetzung arbeitsrechtlich immerhin möglich erscheint, ist sie an weitere Bedingungen geknüpft. So sind neben den individualarbeitsrechtlichen Aspekten gegebenenfalls noch kollektivarbeitsrechtliche Rahmenbedingungen zu beachten. Das gilt etwa für die Beteiligung der Mitarbeitervertretung bei einer mit einer Versetzung verbundenen Änderung der Tätigkeit.
Behörde sollte arbeitsrechtliche Gestaltungsspielräume nutzen
Alles in allem ist das arbeitsrechtliche Instrumentarium damit aber noch nicht erschöpft. Weitere denkbare Optionen reichen von einvernehmlichen Vertragsänderungen bis hin zu Vorruhestandsregelungen. Das Rad der Zeit ist schließlich auch hier nicht stehen geblieben.
Inwieweit auch mögliche Abfindungen eine Rolle spielen können, ist letztlich wiederum eine Frage des Einzelfalls. Eine Abfindung zu zahlen, so Jahn, sei für ihn nicht akzeptabel. Der Gesetzgeber sieht das nach dem Kündigungsschutzgesetz ohnehin nur bei Verlust des Arbeitsplatzes vor. Alles andere ist Vereinbarungssache.
Das Begehren ehemaliger Stasi-Opfer, die alten Geheimdienst-Mitarbeiter zu entlassen, ist verständlich. Der rechtliche Rahmen ist allerdings eng gesteckt. Letztlich greift hier allein der Blick auf das Arbeitsrecht aber ohnehin zu kurz, sind doch die Besonderheiten dieser Fälle mit dem Arbeitsrecht schwerlich zu bewältigen. Wie so oft hat vielmehr auch diese Medaille zwei Seiten.
Schon vor Jahren hatte Joachim Gauck die Beschäftigung von früheren Mitarbeitern des MfS verteidigt und darauf verwiesen, dass solche Insider für die Aufklärungsarbeit förderlich waren. Das Arbeitsrecht ist ein Schutzrecht für Arbeitnehmer. Als solches bietet es durchaus viele Gestaltungsräume, die sich nutzen lassen. Dies scheint Jahn tun zu wollen, wenn er anmerkt, er habe begonnen, mit allen Betroffenen zu sprechen. In diesen Fällen ist genau das vermutlich der richtige Weg.
Der Autor Prof. Dr. André Niedostadek lehrt Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz.
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André Niedostadek, Beschäftigung von Ex-MfS-Mitarbeitern: . In: Legal Tribune Online, 28.04.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3136 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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