Betriebsräte sehen Arbeitnehmerkündigungen in der Regel eher kritisch. In Ausnahmefällen können sie aber auch selbst eine Kündigung gerichtlich durchsetzen. Solch eine seltene Konstellation entschied nun das BAG, erklärt Michael Fuhlrott.
Betriebsräte sind vor Ausspruch einer Kündigung gem. § 102 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zu unterrichten. Eine fehlerhafte oder unvollständige Anhörung zieht die Unwirksamkeit der Kündigung nach sich. Allerdings ist die inhaltliche Reaktion des ordnungsgemäß unterrichteten Betriebsratsgremiums für die Wirksamkeit der Kündigung unerheblich. Weder macht es die Kündigung unwirksam, wenn der Betriebsrat ihr widerspricht, noch führt dessen ausdrückliche Zustimmung zu rechtlichen Vorteilen für den Arbeitgeber. Allenfalls in "psychologischer" Hinsicht mag dies bei der Interessenabwägung in einem gerichtlichen Verfahren hilfreich sein, wenn der Arbeitgeber mit Hinweis auf die "sogar durch den Betriebsrat gutgeheißene Kündigung" argumentieren kann.
Das BetrVG gibt dem Betriebsrat darüber hinaus aber gem. § 104 S. 1 das Recht, vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung eines betriebsstörenden Arbeitnehmers zu verlangen. Hierfür müssen gravierende Fehlverhaltensweisen vorliegen, das Gesetz nennt exemplarisch "gesetzwidriges Verhalten" oder "rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen". Anerkannt worden durch die Rechtsprechung sind hierzu auch grobe Tätlichkeiten und Angriffe auf Arbeitskollegen (LAG Hamm v. 23.10.2009, Az. 10 TaBV 39/09) oder unbefugtes Mitschneiden einer Dienstbesprechung auf Tonband (LAG Hessen v. 7.9.1984, Az. 14/4 TaBV 116/83), die Literatur zählt auch Verunglimpfungen eines Arbeitnehmers, zielgerichtetes Mobbing oder sexuelle Belästigungen hierunter.
Folgt der Arbeitgeber einem solchen Entlassungsbegehren des Betriebsrats nicht, kann dieser gem. § 104 S. 2 BetrVG dem Arbeitgeber durch Beantragung eines arbeitsgerichtlichen Beschlusses die Entlassung des Mitarbeiters aufgeben zu lassen. Der Arbeitgeber, der sich dem widersetzt, riskiert sodann ein Zwangsgeld, das für jeden Tag der Zuwiderhandlung bis zu 250,- Euro betragen darf.
Ein seltener Fall vor dem BAG
Über einen solchen doch eher seltenen Fall hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) am Dienstag zu entscheiden (Urt. v. 28.3.2017, Az. 2 AZR 551/16). Vom zugrundeliegenden Sachverhalt ist leider nur wenig bekannt. Dem Urteil und den Ausführungen der Vorinstanzen ist lediglich zu entnehmen, dass die klagende Arbeitnehmerin seit 1993 als Sachbearbeiterin im Bereich Rechnungswesen in der Abteilung "Cash-Agentur Inkasso" für einen Versicherungskonzern tätig war. Das Arbeitsverhältnis muss dabei heftigst gestört gewesen sein, denn: Wer – wie der Autor dieses Beitrags – neugierig nach genauen Sachverhaltsangaben sucht, wird leider enttäuscht.
So sprechen die Urteilsgründe nebulös-sibyllinisch nur davon, dass es zwischen der Klägerin und einem Kollegen im Oktober 2014 und der Klägerin und einer weiteren Kollegin im Januar 2015 jeweils zu "Zwischenfällen" kam. Die beklagte Arbeitgeberin mahnte die Arbeitnehmerin ab und kündigte die Klägerin entsprechend nach dem zweiten "Zwischenfall" fristlos. Diese Kündigung wurde nach einem Kündigungsschutzverfahren der Klägerin vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf (Az.: 12 Ca 506/15) seitens der Arbeitgeberin zurückgenommen, das Arbeitsverhältnis sodann fortgesetzt.
Damit war der Betriebsrat keineswegs zufrieden. Nachdem dieser die Arbeitgeberin im April 2015 erfolglos zur Kündigung der "betriebsstörenden Arbeitnehmerin" aufgefordert hatte, rief er das Arbeitsgericht Düsseldorf an (Az.: 11 BV 100/15), um sein Kündigungsverlangen durchzusetzen. Die Richter sahen nach einer Beweisaufnahme unter Beteiligung der "Störerin" betriebsstörendes Verhalten gem. § 104 BetrVG als gegeben an. Sie verpflichteten das Unternehmen durch gerichtlichen Beschluss vom August 2015, die Arbeitnehmerin zu entlassen. Im Oktober 2015 tat die Arbeitgeberin sodann wie geheißen und kündigte die Klägerin fristlos, hilfsweise ordentlich fristgerecht.
2/2: Kündigungsschutzklage, die Zweite
Dies wollte die Arbeitnehmerin wiederum nicht auf sich sitzen lassen und erhob ihrerseits Kündigungsschutzklage gegen diese weitere Kündigung. Sie war der Auffassung, dass der "Entlassungsbeschluss" des Arbeitsgerichts keine präjudizielle Wirkung entfalte und das Gericht daher in eine inhaltliche Prüfung der Wirksamkeit der Kündigung und des Vorliegens von Kündigungsgründen eintreten müsse.
Auch sei die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist gem. § 626 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch für eine fristlose Kündigung nicht eingehalten und die Kündigung nur als ordentliche Kündigung möglich.
Das Arbeitsgericht Düsseldorf (Urt. v. 1.2.2016, Az. 4 Ca 6451/15) und das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urt. v. 13.6.2016, Az. 9 Sa 223/16) beurteilten zwar die fristlose Kündigung als unwirksam, sahen aber die hilfsweise ordentliche fristgerechte Kündigung für wirksam an.
Verfahren gem. § 104 BetrVG ist präjudiziell
Beide Instanzgerichte begründeten ihre Entscheidung damit, dass das Verfahren nach § 104 BetrVG präjudiziell für den nachfolgenden Kündigungsschutzprozess des Arbeitnehmers sei. Dies gelte immer dann, wenn der Arbeitnehmer im Beschlussverfahren beteiligt worden sei, sich also dort zu Wort melden konnte.
Das betriebsverfassungsrechtlich ausgestaltete Verfahren zur Entfernung betriebsstörender Arbeitnehmer nach § 104 BetrVG mache nämlich nur dann Sinn, wenn der Betriebsrat die Maßnahme, zu der das Arbeitsgericht den Arbeitgeber verpflichtet, auch effektiv durchsetzen könne. Einer erneuten Prüfung der Wirksamkeit der Kündigung in einem späteren Kündigungsschutzverfahrens bedürfe es daher nicht.
Arbeitnehmerin unterliegt nun auch vor dem BAG
Zu Recht, wie nun auch das BAG in der bislang nur in Form der Pressemitteilung vorliegenden Entscheidung bestätigte (Urteil v. 28.03.2017, 2 AZR 551/16). Fällt ein Arbeitsgericht rechtskräftig einen "Entlassungsbeschluss", so ist dieser für den Arbeitgeber verpflichtend umzusetzen, entschieden die Erfurter Richter. Für den Arbeitgeber liege dann ein dringendes betriebliches Erfordernis vor, auf das dieser die Kündigung stützen darf.
Der Arbeitgeber dürfe zusätzlich darauf vertrauen, dass diese Entscheidung in einem Kündigungsschutzverfahren die Gerichte bindet. Zumindest dann, wenn der Arbeitnehmer zuvor beteiligt worden ist und damit rechtliches Gehör erhielt, sei eine solche Entscheidung bindend. Andernfalls drohten Konstellationen, in denen der Arbeitgeber rechtskräftig kollektivrechtlich zur Entlassung verpflichtet ist, diese aber individualrechtlich nicht umsetzen könnte.
Allerdings müsse der Arbeitgeber die formalen Vorgaben bei der Kündigung wahren und insbesondere die Kündigungserklärungsfrist einhalten, so das BAG. Da das Arbeitsgericht durch den Beschluss zudem der Arbeitgeberin nur die ordentliche Kündigung, nicht aber die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgegeben hatte, durfte die Arbeitgeberin auch nur ordentlich kündigen. Die fristlose Kündigung sahen die Bundesrichter daher als als unwirksam an.
Arbeitnehmer nicht schutzlos – praktische Bedeutung gering
Wer dies unbillig findet, kann sich damit trösten, dass solche Konstellationen sehr selten gesät sind. Deutlich wird dies etwa daran, dass es sich um eine der ersten Befassungen des BAG mit dieser Thematik überhaupt handelt.
Neben dem Verlangen des Betriebsrats auf Kündigung setzen derartige Entlassungsbegehren weiterhin voraus, dass der Betriebsrat ein gerichtliches Verfahren anstrengt und erfolgreich durchführt. Durch die strengen Vorgaben bleibt der Anwendungsbereich auf Extremfälle beschränkt, bei denen regelmäßig eine fristlose arbeitgeberseitige Kündigung wirksam sein dürfte.
Daher kann die juristische Einkleidung des vorliegenden Falls zu Recht als "exotisch" eingeordnet werden. Somit bleibt nur noch eins offen: Der genaue Sachverhalt, über den man allzu gerne mehr gewusst hätte.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Professor für Arbeitsrecht und Studiendekan Wirtschaftsrecht an der Hochschule Fresenius sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Römermann Rechtsanwälte AG in Hamburg.
Michael Fuhlrott, Erstmals vor dem BAG: Kündigung auf Verlangen des Betriebsrats . In: Legal Tribune Online, 28.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22500/ (abgerufen am: 21.07.2024 )
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