Spätestens seit bekannt wurde, dass radioaktiv belasteter Tee aus Japan nach Europa gelangt ist, wächst in deutschen Unternehmen die Angst vor einer möglichen Haftung. Geschäftsführer befürchten Regressforderungen in ungeahnter Höhe. Inwieweit sie tatsächlich für Gesundheitsschäden durch kontaminierte Produkte verantwortlich gemacht werden können, erklärt Reinhard Nacke.
Während der Großhandel im Fall des Mitte Juni aufgetauchten grünen Tees die Ware zweifellos zurücknehmen müsste, und geschädigte Verbraucher mit Erfolg versuchen könnten, ihren Lebensmittelmarkt und auch deren Lieferanten haftbar zu machen, ist die Frage einer Haftung der Geschäftsleitungen von involvierten Unternehmen nicht so klar zu beantworten.
Eine eindeutige Rechtsprechung dazu gibt es in Deutschland derzeit noch nicht. Die Richter am Bundesgerichtshof (BGH) hatten in der Vergangenheit höchst konträre Auffassungen. Fest steht nur, dass der Gesetzgeber das Management bei Schaffung des Aktiengesetzes und des GmbH-Gesetzes wohl keiner generellen Haftung Dritten gegenüber aussetzen wollte und stattdessen eine weitgehende Haftung der betreffenden Gesellschaft vorgesehen hat.
Auf der anderen Seite hatte der VI. Zivilsenat des BGH 1989 geurteilt, dass die Geschäftsleitungen für Gesundheitsschäden von Kunden, die durch gefährliche Produkte entstanden sind und durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen hätten verhindert werden können, durchaus zur Verantwortung gezogen werden können (Urteil vom 05.12.1989, Az. VI ZR 335/88).
Höheres Haftungsrisiko bei größerer Gefahrenlage
Diese Auffassung kritisierten die Kollegen vom II. Senat und auch viele Experten als zu hart: Die Unternehmensverantwortlichen könnten allenfalls am Verhältnis zwischen Gefahrenlage und organisatorischen Möglichkeiten gemessen werden.
Wenn überhaupt sollten die Führungspersonen nur bei einem groben Missverhältnis zwischen beiden Gesichtspunkten mit einer Haftung rechnen müssen. So die Meinung gewichtiger Stimmen aus der Wissenschaft. Ob sich die Richter des BGH in Zukunft auf eine ähnliche Linie einigen werden, ist im Augenblick nicht abzusehen. Möglicherweise wird es für einen Geschäftsführer auch noch eine zeitlang darauf ankommen, bei welchem Senat sein Fall verhandelt wird.
Im Ergebnis würden nach der geschäftführerfreundlichen Auffassung die für den Geschäftsführer bestehenden Sorgfaltspflichten und damit seine Haftungsgefahr mit der Größe der Gefahrenlage für Kunden und Mitarbeiter steigen. Für den Fall, dass diese tatsächlich gesundheitliche Schäden durch radioaktiv verstrahlte Produkte davon tragen, wird es für Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder allerdings auch danach sehr schwer, eine persönliche Haftung zu verhindern.
Strafverfolgung ist nicht versicherbar
Neben die Schadensersatzhaftung kann noch eine strafrechtliche Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft treten. Dabei kann die zivilrechtliche Haftung noch durch vertragliche Vereinbarungen mit dem Unternehmen oder spezielle D&O-Versicherungen verhindert werden, Versicherungen also, die das Führungspersonal gegen berufsbezogene Haftungsrisiken absichern sollen.
Anders sieht es im Strafrecht aus: Hier lassen sich die Folgen nicht auf einen Versicherer oder ein Unternehmen abwälzen. Viele Unternehmen versuchen deshalb, sich auf die Situation einzustellen. Dabei erscheinen Zusicherungen seitens der Lieferanten, dass beispielsweise ein Produkt nicht aus Japan stammt, ein nur wenig geeignetes Mittel - nicht nur bei Tee. Zum einen wäre die pauschale Forderung nach solchen Zusicherungen überzogen, denn in Japan ist nur ein - wenn auch zugegeben recht großes Gebiet - von Radioaktivität betroffen. Zum anderen kann eine solche Versicherung auch schlicht und ergreifend falsch sein.
Aus diesem Grund erscheinen Stichproben der aus Japan gelieferten Produkte immer noch als die sicherste Variante, um die eigenen Kunden, das Unternehmen und letztendlich auch sich selbst als Unternehmensverantwortlichen zu schützen. Auch der Zoll arbeitet mit diesem Mittel. Sollte es dann dennoch zur Auslieferung kontaminierter Ware gekommen sein, ist ein möglichst vollständiger und schneller Rückruf unumgänglich. Ein Unternehmen sollte deshalb wissen, welchen Weg seine Ware nimmt, und die Geschäftsführung entsprechende organisatorische Vorkehrungen treffen.
Dr. Reinhard Nacke ist Partner bei FPS Rechtsanwälte & Notare in Düsseldorf.
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Atomkatastrophe von Japan: . In: Legal Tribune Online, 06.07.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3671 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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