Beim DJT reden die Arbeits- und Sozialrechtler über die Datenschutzgrundverordnung. Gut so, vielleicht können sie die Mängel an dem noch frischen Referentenentwurf noch beheben, hofft Gregor Thüsing im Interview.
LTO: Herr Thüsing, der 71. Deutsche Juristentag verhandelt seit Mittwoch in seiner arbeits- und sozialrechtlichen Abteilung über das Thema "Digitalisierung der Arbeitswelt – Herausforderungen und Regelungsbedarf". Was verbirgt sich dahinter?
Thüsing: Im Kern geht es darum zu überprüfen, wieweit unser weitgehend in Ansehung analoger Strukturen gewachsenes Arbeitsrecht ein digitales Update braucht. Stimmt der Arbeitnehmerbegriff noch? Wie verhält es sich mit dem Betriebsbegriff, den wir ja schon seit den Zeiten der Weimarer Zeit unverändert mit uns schleppen? Was bedeutet die zunehmende digitale Verfügbarkeit für die strengen Regelungen des Arbeitszeitrechts? Gibt es neue Perspektiven im Hinblick auf die Möglichkeiten, den Arbeitsort und die Arbeitszeit als Arbeitnehmer selbst zu wählen? Wohl nicht zuletzt: Was heißt die zunehmende Digitalisierung für den Beschäftigtendatenschutz, der durch die Datenschutzgrundverordnung ja seine neue Ausprägung erfahren hat? Alles in allem also ein buntes Kaleidoskop von Themen, die sich hinter dieser Änderung der Arbeitswelt verbirgt.
BetrVG passt nicht zur digitalen gemeinsamen Arbeit
LTO: Das alles in zwei Tagen zu bearbeiten, ist ein strammes Programm. Können Sie bereits jetzt Schwerpunkte der Diskussion benennen?
Thüsing: Das vorbereitende Gutachten von Rüdiger Krause (Anm. der Red.: Prof. Dr. Rüdiger Krause ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Georg-August-Universität Göttingen) hat bereits deutlich gemacht: Ein Problem ist es in allen Diskussionen um die Fortentwicklung des Rechts, den Status quo überhaupt sauber zu beschreiben. Wir diskutieren viel über crowd working und wissen gar nicht so recht, welche vielfältigen Arbeitsformen sich dahinter verbergen. Rüdiger Krause hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir deswegen den Arbeitnehmerbegriff nicht ändern sollten, solange wir nicht wissen, wohin die Reise überhaupt geht, welches Ausmaß die digitalen Veränderungen haben werden. Bei anderen Fragen kann man schon mehr sagen. Insbesondere die betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen sollten stärker anpassbar sein auf gemeinsames digitales Arbeiten. Bislang haben wir in § 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) Ansatzpunkte, hier Strukturen vereinbarungsgemäß festzulegen durch die Tarifvertragsparteien oder durch Betriebsrat und Arbeitgeber. Diese Möglichkeiten können ausgebaut werden, um effektive Arbeitnehmervertretung auch in gewandelten Arbeitswirklichkeiten zu ermöglichen.
Vielleicht zusätzlicher Betriebsrat?
LTO: Lassen Sie mich beim Betriebsbegriff einhaken. Das klingt noch sehr abstrakt. Können Sie noch konkreter werden?
Thüsing: Ja, es sollte möglich werden, zukünftig Arbeitnehmervertretungen an die unternehmensübergreifenden Kooperationen und Organisationsformen anzupassen. Das kann auch als zusätzliche Arbeitnehmervertretung geschehen, die neben den Betriebsrat tritt und nicht an seine Stelle, und die eben funktionell nur eine begrenzte Zuständigkeit hat für die sich aus der Kooperation heraus entwickelnden Fragen und Handlungsfeldern.
2/2: "Referentenentwurf arbeitsrechtlich noch grobschlächtig"
LTO: Das Stichwort Arbeitszeit haben Sie selber schon genannt. Was kann oder was soll der Gesetzgeber hier tun?
Thüsing: Wir haben ein Arbeitszeitgesetz, dass auf europarechtlicher Grundlage fußt. Hier sind verbindliche Ruhezeiten von elf Stunden vorgeschrieben nach einem Arbeitstag. Ungelöst ist bislang, wieweit Unterbrechungen durch Email im Feierabend oder noch das kurze Telefonat nach Dienstschluss hier zu einem Neubeginn oder Unterbrechung der elf Stunden führt. Mit anderen Worten: Ist unsere Praxis unternehmerischen Alltags überhaupt arbeitszeitrechtskonform, und wenn sie dies nicht ist, wie müssen wir das anpassen. Es geht darum, die geringfügigen Unterbrechungen zu definieren, die wir noch in der Freizeit tolerieren wollen - und umgekehrt eine klare Grenze dort zu setzen, wo wir solche Belastungen außerhalb der regulären Arbeitszeit nicht mehr zulassen wollen. Das ist Arbeit im Detail, aber auch das kann der Juristentag leisten.
LTO: Datenschutzgrundverordnung und Beschäftigtendatenschutz: Da ist der Juristentag ja ganz aktuell, nachdem das Umsetzungsgesetz ja gerade in die Ressortabstimmung gegangen ist.
Thüsing: In der Tat, das ist ein glücklicher Zeitpunkt. Unsere Diskussion kann jetzt noch Änderungen in der Gesetzgebung bewirken und die richtigen Impulse setzen. Der bisherige Referentenentwurf ist arbeitsrechtlich noch etwas grobschlächtig. Es geht darum, klarer zu definieren, wann eine Einwilligung des Arbeitnehmers eine Rechtfertigung für eine Datenverarbeitung im Beschäftigungsverhältnis sein kann, und wann sie nicht mehr so freiwillig ist, dass wir sie als Legitimation zum Arbeitgeberhandeln hinnehmen wollen. Zum anderen sollte klar gestellt werden, dass derjenige Arbeitgeber, der die private Nutzung von Internet und Email seinen Arbeitnehmern erlaubt, dadurch nicht zum Teledienstleister wird, der den strengen Regelungen des Telekommunikationsgesetzes unterfällt und vielleicht gerade nur deswegen die Privatnutzung verbietet. Also hier auch Anpassungsbedarf, den der Juristentag diskutieren wird.
LTO: Herr Thüsing, können Sie abschließend sagen, was Sie sich vom Juristentag versprechen?
Thüsing: Ich kann auf jeden Fall meine Vorfreude ausdrücken.. Der Juristentag ist ein einzigartiges Plenum, in dem die verschiedenen Interessenvertreter aus Anwalts- und Unternehmenspraxis, Wissenschaft, Verbänden, Politik und Gerichtsbarkeit zusammenkommen, die anstehenden Fragen guter Gesetzgebung zu diskutieren. Gerade im Arbeitsrecht sind in der Vergangenheit wichtige Impulse von den Beschlüssen ausgegangen. Ich hoffe, dass es dieses Mal genauso ist.
Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M. (Harvard) ist Leiter des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit an der Universität Bonn und Referent zum Arbeits- und Sozialrecht beim 71. Deutschen Juristentag in Essen.
Das Interview führte Tanja Podolski.
Tanja Podolski, Deutscher Juristentag: Arbeits- und Sozialrecht: Arbeitsrecht ./. digitale Praxis . In: Legal Tribune Online, 14.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20580/ (abgerufen am: 18.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag