Die Holtfort-Stiftung zeichnet sechs iranische Anwälte für ihren Einsatz für Bürger- und Menschenrechte aus. Abgeordnete des Bundestags übernehmen politische Patenschaften, ebenso der RAV. Die Öffentlichkeit soll vor Repression schützen.
Die sechs Preisträger werden an der Verleihung des Werner-Holtfort-Preises am Samstag in Hannover* nicht teilnehmen. Zwei von ihnen sitzen im Iran im Gefängnis, vier wurden zwar aus der Haft entlassen, müssen aber befürchten, erneut festgenommen zu werden. Was die Holtfort-Stiftung über die fünf iranischen Rechtsanwälte und eine Rechtsanwältin mitteilt, die für ihren Einsatz für Bürger- und Menschenrechte ausgezeichnet werden, zeichnet ein düsteres Bild von Repression und Verfolgung.
Mostafa Nili wurde im November 2022 am Teheraner Flughafen verhaftet, er wollte den juristischen Beistand für mehrere junge Menschen übernehmen, die gegen die iranische Regierung protestiert hatten. Arash Keykhosravi wird schon seit 2018 verfolgt, weil er sich für Bürgerrechte einsetzt, war in Haft und ist derzeit nur gegen Kaution auf freiem Fuß. Amirsalar Davoudi wurde zu 30 Jahren Gefängnis und 111 Peitschenhieben verurteilt, er setzte sich für politische Gefangene, religiöse und ethnische Minderheiten ein und kritisierte Menschenrechtsverletzungen – er ist weiterhin in Haft.
Ebenso sein Kollege Mohammad Najafi, dem nach Angaben der Holtfort-Stiftung unter anderem "Kollaboration mit feindlichen Staaten durch Weitergabe von Informationen", "Propaganda gegen den Staat" und "Beleidigung des Obersten Führers" vorgeworfen werden. Der Rechtsanwalt Saeid Ataei Kachouei und die Rechtsanwältin Giti Šafi'i wurden im Zuge des Aufstands nach der Ermordung von Mahsa Amini verhaftet, sind aber mittlerweile freigelassen worden.
Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), der der Holtfort-Stiftung nahesteht, hat die sechs iranischen Kollegen vorgeschlagen. "Dass die iranischen Kolleg:innen die Bevölkerung im Kampf gegen das autoritäre Regime in ihrem Land unterstützt und sich für die Menschenrechte einsetzen, das hat uns sehr beeindruckt", so der Vorsitzende des RAV, Dr. Peer Stolle. "Wir teilen ihre Forderungen und wir fühlen uns unseren Kolleg:innen im Iran verbunden."
"Nur wenige trauen sich überhaupt noch, Teilnehmer der Proteste zu verteidigen"
Der Preis soll ihr Engagement ehren und auch für Öffentlichkeit und damit Schutz vor weiteren Repressionen sorgen. Und er soll zeigen, wie dramatisch die Lage der Anwaltschaft im Iran weiterhin ist.
"Es gibt nur sehr wenige Anwälte im Iran, die sich für Menschen- und Frauenrechte einsetzen und die auch bereit sind, die Teilnehmer der Proteste vor Gericht zu verteidigen", sagt Sina Yousefi, selbst Rechtsanwalt und Stellvertretender Vorsitzender der Menschenrechtskommission der Anwaltskammer der iranischen Provinz Ost-Aserbaidschan im Gespräch mit LTO. Weil es so wenige sind, sei es für das Regime leicht, gegen einzelne Anwälte immer wieder gezielt vorzugehen, erklärt Yousefi: "Die Regierung lässt sich täglich etwas Neues einfallen, meine Kollegen werden festgenommen und verhört, die Anwaltskammern werden angeschrieben, sie sollen kritische Mitglieder ausschließen." Anwälten, die eigentlich nur ihre Arbeit machen, droht ein Verbot der Berufsausübung und oft auch ein Strafverfahren.
Yousefi lebt mittlerweile in Berlin, er hat den Iran im Dezember 2022 verlassen, nachdem ihm in Strafverfahren "Propaganda gegen die Islamische Republik" und "Bildung einer illegalen Gruppe zur Unterstützung von Protesten" vorgeworfen wurde. Nach den ersten großen Aufständen war Yousefis Kanzlei überfüllt mit verzweifelten Eltern, deren Kinder bei den Protesten festgenommen worden waren, so schildert er es. Yousefi schloss sich mit Kollegen zusammen, um den Ansturm der Mandate zu bewältigen, und wandte sich über Twitter an Eltern und Angehörige von Protestteilnehmern. Kurz darauf wurde er festgenommen.
Das Gefährliche: Sobald es um die Bildung von illegalen Gruppen nach Art. 498 des Strafgesetzbuches der Islamischen Republik Iran geht, hat das Gericht auch zu prüfen, ob diese Gruppenbildung als "Moharebeh" einzustufen ist - zu übersetzen etwa mit "Krieg gegen Gott". Vor diesem Vorwurf haben viele seiner iranischen Kollegen Angst, denn darauf steht die Todesstrafe. Die iranische Verfassung gibt Richtern allerdings grundsätzlich einen gewissen Spielraum bei der Frage, welches Strafmaß sie verhängen. Das führt einerseits dazu, dass der Verstoß gegen religiöse Vorschriften strafverschärfend gewertet werden kann, andererseits gibt es dem Gericht auch die Möglichkeit, auf internationalen Druck zu reagieren, ist sich Yousefi sicher. "Wenn die Welt hinschaut, lässt sich das Regime beeindrucken. Ich weiß von mehreren Fällen, in denen die Todesstrafe nicht vollstreckt wurde, obwohl im Urteil auf 'Moharebeh' erkannt wurde – das lag einzig und allein an massivem internationalem Druck."
Politische Patenschaften sollen besonders gefährdete Bürgerrechtler schützen
Für Anwälte und engagierte Bürger im Iran ist es deshalb eine reale Gefahr, wenn das öffentliche Interesse an den Vorgängen im Land nachlässt. Eine Möglichkeit, für öffentliche Aufmerksamkeit zu sorgen, sind politische Patenschaften für Gefangene, wie sie die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) vermittelt. Der RAV hat so eine Patenschaft für Amirsala Davoudi, einen der sechs Preisträger, übernommen und will fordert bei der iranischen Botschaft und dem iranischen Justizministerium Davoudis Freilassung: "Wir wissen, dass das etwas bewirkt, es wird im Iran durchaus wahrgenommen und auch ernstgenommen, wenn wir uns als deutsche Anwältinnen und Anwälte für unsere Kollegen einsetzen," sagt Stolle.
Oft sind es Bundestagsabgeordnete, die solche politischen Patenschaften übernehmen, sei es im Iran oder in anderen Ländern. So setzt sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen, selbst von Beruf Rechtsanwalt, für Davoudis Kollegen Mostafa Nili ein. "Er ist einer der bekanntesten Menschenrechtsanwälte im Iran und hat unter anderem die Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi verteidigt", so Röttgen. "In einem Unrechtsregime wie der Islamischen Republik Iran, in dem Willkür und brutalste Gewalt herrschen, machen sich Anwältinnen und Anwälte, die politische Gefangene verteidigen, selbst zur Zielscheibe."
Den Kontakt zu Nili stellte die IGFM her. Das stelle auch sicher, dass im Rahmen der Patenschaften keine Informationen öffentlich werden, die den politisch Verfolgten und ihren Familien schaden könnten. "Ich habe meine politischen Kontakte genutzt, um mich bei allen offiziellen Stellen für ihn einzusetzen. Aber wichtiger noch war meine öffentliche Plattform, die ich für ihn nutzen konnte. Er hat dadurch in Deutschland ein Gesicht und eine Stimme erhalten", so Röttgen. Auch die Preisverleihung könne dazu beitragen, Aufmerksamkeit für die Situation der Anwältinnen und Anwälte im Iran zu schaffen.
CDU und Linke fordern mehr Druck seitens der Bundesregierung
Röttgen fordert eine Kurskorrektur der Bundesregierung und der Ampel-Koalition, sie nehme zu viel Rücksicht auf das Regime im Iran: "Wir müssen zumindest versuchen, dem Regime das Leben so schwer wie möglich zu machen. Dazu gehört an erster Stelle die EU-Terrorlistung der Revolutionsgarden. Aber auch Wirtschaftssanktionen müssen auf den Tisch. Deutschland ist noch immer der größte Handelspartner Irans in der EU. Und auch innerhalb Deutschlands kann das Regime sich nach wie vor recht frei entfalten: Die Regimebanken sind weiter offen und auch die Schließung des Islamischen Zentrums in Hamburg lässt auf sich warten."
Auch die rechtspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag Clara Anne Bünger warnt davor, dass der internationale Druck auf den Iran abnimmt: "Im Moment findet wieder eine Hinrichtungswelle statt, über die deutlich weniger berichtet wird, als zu Beginn der Revolution. Wir haben aber gesehen, dass eine breite mediale Berichterstattung und große Proteste einiges bewirken und das iranische Regime unter Druck setzen können."
Bundesregierung und Bundestag müssten "alle Hebel in Bewegung setzen, die dramatische Menschenrechtslage im Iran wieder verstärkt zu verurteilen und politischen Druck auf das Regime auszuüben." Bünger kritisiert zudem unzureichenden Schutz von Geflüchteten aus dem Iran: "Zum Beispiel gibt es keine bundesweite ausdrückliche Abschiebestoppregelung. Das hat zur Folge, dass iranische Geduldete zum Teil weiterhin von Leistungskürzungen und Arbeitsverboten betroffen sind, außerdem mangelt es ihnen an einer sicheren Perspektive. Aus dem Flughafenverfahren heraus wurden in diesem Jahr sogar zwei Personen in den Iran zurückgewiesen - trotz der katastrophalen Menschenrechtslage in dem Land."
*Hier hieß es zuerst "in Berlin", die Preisverleihung fand jedoch in Hannover statt. Korrigiert nach Hinweis.
Verfolgt und unter Druck: Preis für iranische Anwälte: . In: Legal Tribune Online, 10.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51964 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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