Kein Wort ist klebriger als "Recht" – man kann es hinter so gut wie alles hängen, und tut das auch. Roland Schimmel entführt in die ungekannten Gefilde von Wasser- und Waschstraßenrecht – und gibt Tipps zur beruflichen Nischenbildung.
Verrechtlichungstendenzen werden je nach Standpunkt begrüßt (Rechtssicherheit!) oder beklagt (Normenflut!), kaum je aber aufgehalten. Folglich gibt es – wenigstens hierzulande – zu praktisch jedem Lebensbereich ein Gesetz oder zumindest eine Verordnung, meist aber ein Gesetz und ein Änderungsgesetz zum Reformgesetz sowie eine Ausführungsverordnung zur Durchführungsverordnung. Kein Wunder also, dass auch sprachlich an so ungefähr jedes denkbare Wort die Endung -gesetz angefügt werden kann (einige Beweisstücke sind hier und hier zu finden).
Die deutsche Sprache ist – spätestens seit dem Stoßseufzer von Mark Twain – nicht nur für ihren komplexen Satzbau bekannt, sondern auch für die Fähigkeit zur Kompositabildung: Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänspatentserteilungsverfahren und so. Und auch bei den kleinen alltäglichen Zusammensetzungen findet sich viel Poetisches: Kugelhagel und Schneeregen zum Beispiel, oder Abendbrot.
Die Rechtssprache bildet da keine Ausnahme, eher im Gegenteil: Prozesskostenhilfebewilligungsentscheidung, Einzugsermächtigungslastschriftverfahren und Urkundenvorbehaltsteilanerkenntnisurteil zählen noch zu den harmloseren Kandidaten. Neben den fast beliebig langen zusammengeklebten Substantiven zeigt sich die Neubildungsfreudigkeit der deutschen Sprache aber auch an kurzen und unspektakulären Komposita. Neue Situationen erfordern neue Begriffe? Kein Problem. Zum Beispiel: Man muss das Böse tun, um das Gute zu erreichen? Eine moralisch und/oder ethisch schwierige Situation, deren rechtliche Beurteilung auch nicht ganz trivial ausfallen wird? Das Wort ist schnell gebildet und setzt sich flugs durch: Rettungsfolter.
Die klebrigsten Wörter überhaupt
Wer nun wissen will, welche Wörter im Deutschen am klebrigsten sind, kann gern bei den Juristen zu suchen beginnen (obwohl auch die Ökonomen gut im Rennen liegen: Spitzenrefinanzierungsfazilität und so).
Das zweitklebrigste Wort ist -gesetz, knapp dahinter -verordnung und -vertrag. Die können an fast jedes Substantiv angehängt werden. Kein Wunder. Juristen können alles. Jedenfalls: Alles regeln. Also muss auch -gesetz an alles ranpassen.
Aber am vielseitigsten einsetzbar ist ganz eindeutig: -recht. Klar, auch da, wo kein Gesetz ist, kann noch viel Recht sein. Und während es für ein Gesetz doch immer noch eines Gesetzgebers bedarf, kann praktisch jeder ein neues Rechtsgebiet ausrufen.
Ursächlich für die immer weiter um sich greifende Vermehrung von [recht]-Komposita sind vermutlich in erster Linie die Angehörigen zweier juristischer Gruppen: Die Anwälte und die Autoren. Überschneidungen sind möglich.
Wir brauchen ein Alleinstellungsmerkmal, am besten zwei oder drei
Als Anwalt hat man es ja auch zugegebenermaßen nicht ganz leicht mit der Wahl der richtigen Spezialisierung. Die Möglichkeiten, die die eine oder andere Fachanwaltsbezeichnung eröffnet, haben schon hunderte oder tausende Kollegen genutzt. Da liegt wenig Profilierungspotenzial. Und der Markt ist grausam. Die Kategorien, unter denen man während des Studiums das neuerworbene Fachwissen abgelegt hat, sind einigermaßen nutzlos, wenn es um die werbliche Kommunikation mit künftigen Kunden geht. Oder haben Sie schon einmal versucht, mit dem Schlagwort "Schuldrecht" zu werben? Erstens zieht es die falschen Leute an und zweitens ist es viel zu unspezifisch. Selbst wer sich zu "Besonderes Schuldrecht" durchringt, bekommt nur Anfragen von Leuten, die es mit der besonderen Schwere der Schuld zu tun haben. Wer wiederum wirklich um die Schwerverbrecher wirbt, kann nicht "Kapitalverbrechen" verwenden, denn da denkt der Kunde nur an Straftaten gegen Vermögenswerte. Schwierig.
Also denkt man sich doch lieber selbst etwas aus. Zum Beispiel Breitbandkabelrecht – das hat bestimmt noch keiner.
Das Konstruktionsprinzip ist bestürzend einfach und kann in Strategiemeetings auf Partnerebene ("Wir brauchen dringend ein paar neu USPs, aber flott!") ohne weitere Vorbereitung zum brainstormen eingesetzt werden:
[beliebiges Substantiv]recht, wobei [beliebiges Substantiv] einen Ausschnitt aus der sozialen Realität bezeichnet, der streitige oder konfliktträchtige Rechtsprobleme hervorzubringen geeignet ist, die ihrerseits geeignet sind, gerichtlich oder außergerichtlich ausgetragen zu werden unter Herbeiziehung von Rechtsanwälten, die diese ihre Tätigkeit regelmäßig gegen Honorar verrichten, zu dessen künftigem Verdienst sie bestrebt sind, dem Markt ihre besondere Expertise im Bereich der Beratung zu [beliebiges Substantiv] zu signalisieren.
Roland Schimmel, Exzesse juristischer Gebietsdefinitionen: . In: Legal Tribune Online, 28.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17978 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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