2/3: Formelhafte Namensfindung
Besonders gut funktioniert das bei [derjüngsteheißescheiß]-Recht. Und wenn es partout zu sehr aufeinanderknirscht, bleiben als Alternativen zum Kompositum immer noch die Konstruktionen [derjüngsteheißescheiß] und Recht sowie Das Recht des/der [jüngstenheißenscheißes]. Ein paar beliebig gegriffene Beispiele: Recht der sozialen Medien (Rolf Schwartmann / Sara Ohr, Heidelberg 2015), Das Recht der Computerspiele (Christian Rauda, München 2013), WLAN und Recht (Thomas Sassenberger / Reto Mantz, Berlin 2014), Big Data und Recht (Thomas Hoeren (Hrsg.), München 2014). Wer möchte nachsehen, wie es etwa um Die Cloud und das Recht steht? Ob es wohl ein Buch gibt, das Wolken über dem Rechtsstaat heißt?
Bei Apps und Recht (Ulrich Baumgartner / Konstantin Ewald, 2. Auflage München 2016) wäre auch Das Recht der Apps und App-Recht möglich gewesen; letzteres ist aber nicht so gut wegen der Verwechslungsgefahr etwa im Hessischen: Hawwe Sie des Buch zum Epp-Rescht? könnte auch als Erbrecht verstanden werden.
Apropos Erbrecht. Manchmal leuchtet eine begriffliche Ausdifferenzierung beim zweiten Überlegen dann doch ein: Bei Nachfolgerecht (Ludwig Kroiß / Claus-Henrik Horn / Dennis Solomon, Baden-Baden 2014) zum Beispiel. Denn Nachfolge gibt es nicht nur im Todesfall, sondern auch unter Lebenden – was etwa bei der Unternehmensnachfolge gewiss gut so ist.
Waschstraßenrecht überraschend inhaltsarm
Viele dieser Zusammensetzungen sind sinnvoll. Gerade bei Querschnittsmaterien wie Baurecht oder Sportrecht hilft es, zumal in der Kommunikation mit Nichtjuristen, wenig, raffinierte dogmatische Unterscheidungen anzustellen (Brauchen Sie eine Auskunft zum öffentlichen Baurecht, drücken Sie bitte die 1 auf Ihrer Tastatur, für privates Baurecht die 2 und für sonstige Fragen die 3!). Aber bei manchen ist man sich nicht ganz sicher, ob die Welt sie braucht…
Bei der täglichen Zeitschriftenlektüre stolpert man etwa unverhofft über einen Aufsatz Zur Fortentwicklung des Waschstraßenrechts (Riemer / Strittmatter, DAR 2007, 437 ff.). Vor dem inneren Auge des Lesers tut sich eine ganze juristische Welt auf: Konstruktion, Produktion, Vertrieb, Inbetriebnahme und Betrieb von Waschstraßen. Da stecken wirklich ziemliche viele Rechtsfragen drin: Produkthaftungsrecht, Patentrecht, Markenrecht, Wettbewerbsrecht, Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht, Internationales Privatrecht usw. Wer den Aufsatz dann liest, stellt aber fest, dass das Universum des Waschstraßenrechts deutlich kleiner ist: Haftung des Betreibers für Schäden am Automobil des Kunden. Ein neues Urteil des BGH zur Beweislastverteilung – und ganze Bibliotheken des Waschstraßenrechts werden Makulatur.
Wir brauchen einen neuen Lehrstuhl, am besten ein neues Institut – und auch einen neuen Studiengang!
Eine gute Gelegenheit für Neubildungen bieten auch die Stellendenominationen für juristische Lehrstühle, besonders bei Neubesetzungen. Strafrecht hat jeder, seit Jahrzehnten und Jahrhunderten – wie wäre es also mit Sanktionenrecht?
Bei manchen Themen ist allerdings der Modernisierungsbedarf nicht von der Hand zu weisen. Ob etwa Lehrstühle, Institute oder Fachzeitschriften heute noch für Presserecht heißen sollten, darf bezweifelt werden – man kann so langsam für Medienrecht in Erwägung ziehen, nachdem Film, Funk und Fernsehen und das Internet tatsächlich Probleme aufwerfen, die man mit einem rein presserechtlichen Instrumentarium nicht mehr in den Griff bekommt.
Vielleicht muss man aber auch einmal demütig zur Kenntnis nehmen, dass es Rechtsmaterien gibt, von denen man in Studium und Referendariat schlicht nie etwas gehört hat, weil sie in den Pflichtfachkatalogen der Ausbildungsgesetze und -ordnungen nicht auftauchen.
Wenn es zu einem Thema wie Energierecht konkurrierende Gesetzestextsammlungen gibt, Lehrbücher (z.B. Lutz Mitto: Energierecht, Stuttgart 2013), Handbücher (Gerd Stuhlmacher et al (Hrsg.) Grundriss zum Energierecht, 2. Auflage, Frankfurt 2015), Fachzeitschriften und spezialisierte Monographien – dann gibt es auch Tagungen, Schriftenreihen und Lehrstühle. Und also: das Thema selbst.
Roland Schimmel, Exzesse juristischer Gebietsdefinitionen: . In: Legal Tribune Online, 28.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17978 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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