Als Politiker ist der Mann entschieden zu lebensbejahend: Ein bald 80-jähriger Greis, der sich mit blutjungen Frauen verlustiert, bis die Staatsanwaltschaft kommt. Aktuell droht Silvio Berlusconi wieder halb Europa das Gesicht versteinern zu lassen. Machismo allein reicht nicht zum passenden Gesichtsausdruck: Juristische Quellen zur Fassungslosigkeit von Martin Rath.
Zumindest ist er ein echter Ritter, jedenfalls beinahe. Man ist zwar geneigt, den aktuell wohl berühmtesten Politiker Italiens auch deshalb einen "Clown" zu schimpfen, weil der so herzig ist, sich selbst einen "Cavaliere" zu nennen. Doch nicht alles, was der viermalige Ministerpräsident Italiens, der studierte Jurist, gewesene Staubsaugerverkäufer und Bauunternehmer, Medienoligarch und (nicht rechtskräftig) verurteilte Straftäter anfasst, rutscht darüber sofort ins Schmierige. Zumindest nicht vollständig.
Würdevoll behauptet Artikel 1 der italienischen Verfassung: "Italien ist eine demokratische, auf die Arbeit gegründete Republik." Seit 1977 darf sich Silvio Berlusconi von Rechts wegen als "Ritter der Arbeit", italienisch "Cavaliere del Lavoro" bezeichnen. Der Titel geht auf einen Orden zurück, den der italienische König 1901 stiftete. Die Republik führte ihn fort, weil sie - ausweislich ihres ersten Verfassungsartikels – die Arbeit ehren wollte. Die Auszeichnung ereilte Berlusconi als erfolgreicher Bauunternehmer.
Umstände machen den Normbrecher
Wollte man mit dem strikt anti-intellektuellen Polemiker Berlusconi gehässig sein, könnte man seine normbrecherischen Aktivitäten darauf zurückführen, dass auch er nur Opfer der sozialen Umstände wurde: 1936 in Mailand geboren, verbrachte Berlusconi seine Jugend in einem katholischen Internat, in dem jene Knaben interniert wurden, deren Eltern sich noch teurere Bildungseinrichtungen in der Schweiz nicht leisten konnten. Gleichwohl eine anspruchsvolle Einrichtung, mit klassischer Bildung und Rosenkranzbeten. Als Diplomjurist schloss er später das Studium ab, um nach einem Intermezzo als Staubsaugerverkäufer in der Baubranche zu landen.
Dort begann eine Karriere, die man anrüchig finden kann, wenn man das will. Regine Igel, eine ihrem Helden nicht ganz vollständig abholde Biografin Berlusconis (Rastatt 1990), beschreibt die kriminogenen Umstände in diesem norditalienischen Wirtschaftswunderland der 1950er-Jahre: Mailand erlebte den Zuzug von rund 260.000 Familien aus dem armen Süden, über eine halbe Million Menschen, angezogen von der massiv expandierenden industriellen Fertigung.
Diese Leute waren unterzubringen. Finanziert wurden die Immobilien aus drei Quellen, aus denen unterschiedlich schwarzes Geld floss: Neben den "ehrlichen Sparguthaben", die von späteren Selbstnutzern eingebracht wurden, kam Schwarzgeld aus der Schweiz sowie aus echt "heißen Quellen", jenen der organisierten Kriminalität. Aus welcher Quelle das Startkapital für Berlusconis Bauunternehmen kam, reich war er von Haus aus nicht, ist ungeklärt.
Übereinstimmend heißt es aber, dass sein Medienimperium in den Siedlungen wurzelt, die Berlusconi hochziehen ließ. Die Tendenz zur Umgehung der Regeln war dabei längst evident: Ein landesweites Privatfernsehen erlaubte der italienische Staat in den 1970er-Jahren noch nicht. Man umging das Gesetz, indem per kopierter Videokassetten das gleiche Programm in den verstreuten Siedlungs-TV-Kanälen zum Start gebracht wurde.
Staatsanwälte stabilisieren Normbrüche
In den frühen 1990er-Jahren konnte sich die italienische Justiz als Teil jener Kraft beweisen, die das Gute will und nicht immer will, was sie dabei schafft: 1992 nahm die Mailänder Staatsanwaltschaft die Finanzen der italienischen Sozialdemokratie unter die Lupe. Ihr führender Kopf, Bettino Craxi (1934-2000), sollte schließlich wegen einer Vielzahl von Korruptionsdelikten zu insgesamt über 28 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt werden, die er freilich nie antrat – er starb im tunesischen Exil.
Verfilzt waren derweil alle regierenden Parteien, die über den Ermittlungen der 1990er-Jahre auch aus dem aktiven parlamentarischen Leben schieden. Zahlungskräftig war selbstredend auch der bedeutendste Bau- und Medienunternehmer Italiens: So tauchten bereits 1992 erste Belege für Schmiergeldzahlungen auf, die Berlusconis Bruder geleistet hatte.
Dass Silvio Berlusconi sich bis 1994 mithilfe seiner TV-Präsenz, politisch gefördert vom Sozialisten Craxi, Zugang zur parlamentarischen Immunität verschaffte, war – so einhellige Meinung seiner Biografen – auf den strafrechtlichen Verfolgungsdruck zurückzuführen und förderte – in der von nicht nur legalen Netzwerken durchflochtenen – italienischen Kleinmittelunternehmerschaft sogar seinen Ruf: "A Hund is er scho", würde man auf Bayerisch sagen.
Der US-amerikanische Journalist und Berlusconi-Biograf Alexander Stiller zeigte die historische Alternative zur Flucht illegal bzw. halblegal tätiger Unternehmer in die politische Immunsphäre auf: Gherardo Colombo, einer der – entgegen Berlusconis Polemik keineswegs "roten" Staatsanwälte – hatte eine Lösung im Sinn, die an die erfolgreiche Wahrheitskommission Südafrikas erinnert: "Weil illegale Finanzierungen und Bestechungen ein so verbreitetes und systematisches Problem darstellten, sei es, so argumentierte Colombo, wenig sinnvoll, Zehntausende anzuklagen, zu verurteilten und ins Gefängnis zu stecken." Stattdessen sollte Amnestie gewährt werden, unter der Voraussetzung einer "rückhaltlose(n) und vollständige(n) Aussage", einer Rückzahlung der Schmiergelder und dem Rückzug aus dem politischen Leben. Die privaten und staatlichen Bilanzen Italiens hätten in den 1990er-Jahren sauber werden können.
Martin Rath, Silvio Berlusconi: . In: Legal Tribune Online, 03.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8253 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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