Bei Temperaturen um die 30 Grad im Schatten wird es Zeit, sich mit dem Schweiß der Juristen zu beschäftigen: Dabei ist nicht einmal geklärt, ob Juristen überhaupt schwitzen oder Schweiß nur als Beweismittel und Streitgegenstand kennen. Jedenfalls wissen sie zwischen Schweiß-Arten zu differenzieren: Martin Rath über kalten Schweiß, edlen Schweiß und Achselschweiß.
Menschlicher Schweiß dient Juristen nicht allein als Beweismittel oder Streitgegenstand. Er verdient es, als Teil der – staatsrechtlich relevanten – Debatte um die deutsche Leitkultur aufgegriffen zu werden. Zuletzt finden sich sogar Hinweise, dass Juristen anders schwitzen als Normalsterbliche.
Zunächst ist jedoch der weniger relevante Schweiß aus der Betrachtung auszuscheiden. Für sich genommen hält die Rechtsprechung vor allem den sogenannten "kalten Schweiß" für wenig beachtlich. Der Bundesgerichtshof (BGH) tadelte beispielsweise mit Urteil vom 27. Januar 1966 (Az. II ZR 5/64) die Würdigung von "kaltem Schweiß" durch das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/Main.
Kalter Schweiß
Ein alkoholisierter Autofahrer hatte des Nachts einen Bauern von seinem Motorroller geholt und dabei schwer verletzt. Das Auto brachte er erst 33 Sekunden später zum Halten und schaltete dann das Licht aus. Daraus leitete die beklagte Versicherung eine Verschleierungsabsicht und den Verlust des Versicherungsschutzes her. Als fragwürdig wies der BGH die Auffassung des klagenden Unfallverursachers zurück, dass ein gutachterlich attestierter Verlust an Zurechnungsfähigkeit, verursacht durch einen Kreislaufschock, allein auf die Feststellung gestützt werden könne, "dem Kläger sei der kalte Schweiß ausgebrochen".
Vergleichbar geringe Beweiskraft hatte der kalte Schweiß im Urteil des Amtsgerichts Eggenfelden (v. 14.05.2001, Az. 1 C 156/01): Tritt ein Fluggast eine Reise nicht an und hat als Beleg für eine Erkrankung nicht mehr als einen kalten Schweißausbruch vorzuweisen, genügt dies nicht, seine Reiserücktrittsversicherung zur Zahlung zu bewegen. Neben den Schweiß setzt die juristische Literatur auf Symptome wie Herz- und Lungenversagen und Röcheln infolge fehlerhafter Schleimabsonderung.
In der Kriminalistik scheint Schweiß dagegen von großer Bedeutung zu sein. Das "Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung" (2006) führt dazu aus: "Schweiß besteht zu 97-99,5% aus Wasser. Darüber hinaus sind Stoffe wie Ammoniak, Kochsalz und Aminosäuren enthalten, jedoch kein molekulargenetisches Material", dokumentiert es doch, dass in ihm "durch Übertragungen … auch eigene und/oder von anderen Personen stammende körperzellartige Substanzen (z.B. Hautzellen, Speichel)" enthalten sein können.
Männerschweiß und deorollerrelevanter Achselschweiß
Ist der Schweiß also als Ursache von Fingerabdrücken, als Ansatz für DNA-Beweise sowie als Gegenstand von sogenannten "Wischtests", mit denen manchmal zweifelhaft der Drogenkontakt von Verkehrsteilnehmern und anderen Verdächtigen belegt wird, von rechtswissenschaftlichem Gewicht, nimmt sich die Transpiration als Streitgegenstand mitunter recht flüchtig aus.
Oder als nicht flüchtig genug. So behauptete ein deutscher Kfz-Hersteller in den späten 1960er-Jahren, seine Lenkrad-Griffe seien als Beitrag zur Verkehrssicherheit patentwürdig, weil sie mit einer Art Schaumstoff aus- beziehungsweise aufgeschäumt waren. Im Urteil des BGH (v. 14.01.1971, Az. X ZR 41/68) wird detailliert vorgerechnet, dass die behauptete Wirkung des Lenkradbezugs als "Miniatur-Blasebalg" nicht ausreiche, um bei einer "Größe der aktiven Handinnenfläche" von 45 Quadratzentimetern die "stündliche Schweißausscheidung daselbst: 225 mg (bei nur leichter Arbeitsbelastung)" hinfortzufecheln. Dem Lenkradbezug blieb mangels Schweißbekämpfungswert und mangels erhöhter Grifffestigkeit der Patentschutz verwehrt.
In die Herzen aller Freunde des Geschlechterkampfes sollte sich dagegen das Landgericht (LG) Hamburg mit Urteil vom 29. September 2000 (Az. 315 O 914/99) spielen, in dem es wesentliche Unterschiede zwischen männlichem und weiblichem Schweiß verneinte. Die folgende Reklame-Aussage eines Deoroller-Herstellers überstand den Prozess wettbewerbsrechtlich jedenfalls nicht: "Frauen schwitzen anders als Männer: der pH-Wert des weiblichen Schweißes ist höher als der des männlichen Schweißes."
Die Hamburger Richter monierten unter anderem, dass die entsprechenden Studien zum Männer- und zum Frauenschweiß teilweise steinalt waren – sie stammten aus den 1930er-Jahren – und zudem auf Oberarm-, nicht auf deorollerrelevantem Achselschweiß beruhten.
2/2: Parfümierter Schweiß
Schwerer zu folgen als der hamburgischen Schweiß-Sachkunde ist hingegen dem LG Potsdam in seiner äußerungsrechtlichen Würdigung des Schwitzens im Urteil vom 8. Mai 2006 (Az. 2 O 221/05). In der Mevlana-Moschee zu Berlin-Kreuzberg hatte sich ein Iman ungebührlich über die die deutsche Transpirationskultur geäußert. Unstrittig war offenbar, dass sich der Geistliche nicht entblödet hatte, gegen die mangelnde Bereitschaft der deutschen Bevölkerung zur Axillar-Rasur zu polemisieren. Auch scheint dem Gottesmann die Parfüm-Industrie ein Dorn in der Nase gewesen zu sein – bekanntlich stützt die sich ja unfeiner Weise meist auf alkoholische Trägersubstanz.
Strittig war, ob ein ZDF-Magazin dem Geistlichen zurecht die Qualität eines "Hasspredigers" deshalb zugeschrieben hatte, weil es seine in türkischer Sprache vorgetragenen Aussagen zum Schweiß dahingehend interpretierte, er habe "die Deutschen als stinkende Ungläubige bezeichnet, die in der Hölle landen".
Das LG mochte der ZDF-Interpretation nicht folgen und wischte die nicht eben liebevollen Aussagen des Imans zur deutschen Schweiß-Kultur hinfort. Der habe womöglich nur die deutschen Atheisten als der Höllenfahrt würdig bezeichnet und mit seinen Ausführungen zu deutschem Schweiß und deutscher Achselbehaarung vielleicht gar keinen Hass auf stinkende Deutsche allgemein ausdrücken wollen, anrüchig sei ja nicht der schwitzende, sondern der ungewaschene Ungläubige.
In Fällen wie diesem darf man wünschen, dass die Potsdamer Richter sich einmal zu den dunklen Flecken der deutschen Nation, zu Schweißflecken und Stallgeruch also, bekennten und sich boshafte Kritik – auch an gut oder schlecht duftenden deutschen Atheisten – verwahrten. Die Richter in der Landeshauptstadt von Brandenburg hätten sich dazu auf die wahrhaft gemeinschaftsstiftende Funktion berufen können, dass zusammengehörige Menschen sich "gut riechen" können. Diese staatsrechtlich bisher unreflektierte Zusammengehörigkeit wird schon 1889 im Wörterbuch der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm belegt: In krampfhafter Kleinschreibung heißt es dort, dass "brandenburgisch bezeichnen schweinehirt und viehmagd ihre pflegebefohlenen als nation, und ein nationsvolk bedeutet eine sehr üble gesellschaft".
Anwalts-Schweiß
Weil es die Potsdamer Juristen 2006 leider verschwitzten, die deutsche Transpirations- und Parfümkultur wehrhaft gegen den muslimischen Prediger ins Feld zu führen und es unterließen den gemeinsamen nationalen Stallgeruch zur Sache der deutschen Leitkultur zu erklären, tobt inzwischen ein heftiger inner-deutscher Streit. So muss man heute etwa feministische Kritik zur Kenntnis nehmen, die Unfrieden stiftet, indem sie die neuere Enthaarungsmode zur "repressiven Praxis" erklärt.
Die fehlende juristische Sensibilität für Schweiß und Gerüche ist verwunderlich, erklärt sich aber bei näherer Betrachtung.
Zwar wird offenbar von ehrgeizigen Juristen ein inniges Verhältnis zum Schweiß verlangt. So betonte etwa der Münchener Rechtsanwalt Fritz Ostler (1907-1999) in seiner Eigenschaft als Mitherausgeber der NJW, dass neben der Lektüre seiner Fachzeitschrift für angehende Juristen das Motto zum Erfolg führe: "Schweiß für das Studium, Schweiß für den Referendar, Schweiß für den Anwalt!" (NJW 1992, S. 2.748).
Edler Schweiß
Die Qualität des von Juristen selbst abzusondernden Transpirats scheint indes nicht ausdiskutiert zu sein. Das OLG Frankfurt/Main befand es mit Urteil vom 11. April 1985 (Az. 6 U 189/83) für anrüchig, dass ein ehemaliger Rechtsanwalt eine verbotene "genossenschaftliche Einrichtung" zur Rechtsberatung unter anderem mit dem Argument begründet hatte, Anwälte würden sich "im Staub und Schweiß des Alltags nicht schmutzig machen".
Während die Behauptung, Anwälte schwitzten bei ihrer Tätigkeit nicht, Anstoß erregte, behaupten vor allem wissenschaftlich arbeitende Juristen recht oft, ihre Transpiration enthalte einen obskuren "Schweiß der Edlen". Horst Sendler (1925-2005), ehemals Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, bekundete beispielsweise, dass über einer näheren Analyse der Kammerentscheidungen des Verfassungsgerichts dieser "Schweiß der Edlen" fließen dürfe. Auch das wissenschaftliche Werk des Trierer Professors Horst Ehmann gilt als verbunden mit dem "Schweiß eines Edlen". Die Strafrechtsdogmatikerin Ingeborg Puppe attestiert den Vertretern einer ganzen "herrschenden Lehre" zu einer etwas obskuren juristischen Theorie, diese sei nur deshalb nicht aus der Welt zu schaffen, weil sonst zu viel "Schweiß der Edlen … umsonst geflossen" sei.
Dem Münchener Arbeitsrechtsanwalt Georg Annuß ist es zu verdanken, das juristische Verhältnis zum Schweiß aufgelöst zu haben. In einer Rezension zum "Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht" attestiert er diesem Buch (!), dass es "gut im Training" sei und nicht den geringsten "Ansatz zur Fettleibigkeit" zeige. Dafür hätten die Verfasser des "Erfurter Kommentars" viel schwitzen müssen.
Merke: Juristen dürfen transpirieren. Doch ihre schweißtreibenden Aktivitäten sollen sich leibhaftig allein in ihren Werken zeigen.
Martin Rath, Hitzewelle: Schwitzen für Juristen . In: Legal Tribune Online, 04.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9279/ (abgerufen am: 01.07.2024 )
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