Boshafte Menschen behaupten, es bräuchte nur zwei Lehrer mit Rechtsschutzversicherung, um zwei Juristen durchzufüttern – den eigenen Anwalt und den der Gegenseite. Blickt man 111 Jahre zurück, sieht man: Für die Luxusprobleme seiner durchalimentierten Nachfolger hätte der preußische Landschullehrer kaum Verständnis gehabt. Ein Rückblick, der Demut vermittelt, von Martin Rath.
Andere Nationen schimpfen sexuell, der Deutsche flucht bekanntlich gerne mit einem fäkalen Wortschatz. Selbst kluge Köpfe führten den Unterschied mitunter auf einen völkerpsychologischen Sonderweg der Deutschen zurück, dahinter stecke unser autoritärer Charakter. Vielleicht gibt es eine viel praktischere Erklärung: Denn jene Lehrer, die Generationen junger Menschen in deutschen Landen neben dem kleinen und großen Einmaleins auch das ABC und literarische Grundbildung vermittelten, standen nach dem Unterricht oft mit beiden Beinen im Schweinekot. Gut möglich, dass das etwas auf die Sprache abgefärbt ist.
Jedenfalls waren dem preußischen Lehrer nicht nur Kinder, sondern auch Schweine, Rinder und diverses Kleinvieh anvertraut und über "Werbungskosten" stritt er sich mit seinem Dienstherrn auch schon, allerdings nicht über deren steuerliche Absetzbarkeit. Auf die Spur von Lehrern, die sich – wie man heute oft sagt – "ganzheitlich" um ihre Schützlinge in Stall und Schule zu kümmern hatten, bringt uns das Urteil des Königlich Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. März 1901 (Az. I. C. 14/00).
Zwei Lehrer für ein ganzes Dorf
In dem Fall ging es unter anderem um die Frage, ob der Gutsherr einer "adeligen Besitzung" im ostpreußischen Landkreis Darkehmen (wahrscheinlich: Klein-Menturren/Mentau) dem Lehrer an der Volksschule des Schulverbandes "Groß-M." (vermutlich "Groß-Menturren") einen Betrag von 1,70 Mark bar zu zahlen habe. Die Verbissenheit, wegen eines solchen Betrages noch das höchste preußische Verwaltungsgericht in Berlin zu bemühen, wird sich noch erklären.
Eine Volksschule auf dem platten Land muss man sich sehr einfach vorstellen: Ein so genannter "Erster Lehrer", der in der Regel mit seiner Familie in einer Dienstwohnung lebte. Gegebenenfalls kam noch ein weiterer Lehrer dazu. Mit so "viel" Personal galt es, die Kinder ganzer Dörfer zu bändigen.
Das waren nicht wenige. Preußen erlebte im 19. Jahrhundert einen starken Bevölkerungsanstieg. Der armen Landbevölkerung kam es zugute, dass sie nach den Reformen zu Beginn des Jahrhunderts nicht mehr bei ihren Gutsherren um Heiratserlaubnis nachsuchen musste – die natürlich nur gegen Geld oder Arbeitsleistung gewährt wurde: die preußische Empfängnisverhütungsmethode.
Dem halbwegs gebildeten Volksschullehrer ging es materiell zwar besser als dem kinderreichen Tagelöhner- und Kleinbauernvolk, aber mit Geld statte ihn sein Staat nicht eben reich aus.
Ackerstück, Küchengarten und eine Sommerweide
Ein Blick ins Gesetz erhöht die Kenntnis über den Lehrer-Lohn: Was ihm für seinen Dienst zustand, regelte § 12 der Schulordnung für die Provinzen Ost- und Westpreußen vom 11. Dezember 1845 im Detail. An "Gehalt und sonstigen Amtsnutzungen" bezog der "erste Lehrer an einer Schule auf dem Lande" demzufolge "fünfzig Thaler bar Geld". Der Betrag wird im Gesetz bemerkenswerterweise an achter und letzter Stelle genannt. An erster Stelle wies die Schulordnung dem Volksschullehrer "freie Wohnung" zu, gefolgt vom "nötigen Brennbedarf zur Heizung der Schulstuben und Wohnung sowie zu den Wirtschaftsbedürfnissen".
Des Weiteren standen dem Lehrer "ein Ackerstück in der Nähe der Wohnung" zu, immerhin rund 5.600 Quadratmeter sowie ein "Küchengarten hinter dem Hause" und "freie Sommerweide für wenigstens 2 Stück Rindvieh". Zu stellen waren dem Lehrer vom Schulträger auch Wirtschaftsgebäude zur Kleinvieh- und Schweinehaltung nebst Lieferung von Roggen (rund 600 Liter) und Heu. Das Ministerium in Berlin sah sich zudem über die Jahre immer wieder genötigt, die Lehrer anzuhalten, Obstbäume zum Zweck des Weiterverkaufs zu züchten – auch dafür war eine Parzelle vorgesehen.
Schweinemist auf Lehrers Acker
Im Kommentar zur Schulordnung von Dr. Bernhard Schulz, Regierungs- und Schulrat zu Marienwerder, werden diese Leistungen noch einmal schön aufgeschlüsselt: Die Wohnräume des Lehrers hatten demnach "möglichst" aus zwei heizbaren Stuben von 20 und 25 Quadratmetern zu bestehen nebst zwei weiteren Kammern, von denen eine zu heizen sein sollte. Eine Küche war vorgesehen. Weil heute im sozialen Wohnungsbau 50 Quadratmeter schon für eine alleinstehende Person als angemessen gelten, muss man vielleicht dazu schreiben: Diese Flächen mussten für eine mehr- bis vielköpfige Lehrerfamilie genügen.
50 Thaler des Jahres 1845 entsprachen nach der Währungsreform von 1873 rund 150 Mark, um das Jahr 1900 konnte ein guter Facharbeiterlohn im Jahr die 1.000-Mark-Grenze überschreiten. Historische Geld- und Kaufkraftvergleiche sind nicht leicht, aber man darf wohl festhalten: Ein preußischer Volksschullehrer auf dem platten Land war mit Bargeld wirklich nicht reich gesegnet.
Es dürfte ihn kaum getröstet haben, dass die Schulordnung, die Verwaltungsrechtsprechung und der Kommentar von Regierungsrat Schulz strengstens vorgaben, dass die Gemeinde zwar nicht verantwortlich war, den Schweinemist aus dem Stall des Lehrers zu holen, wohl aber dafür, ihn auf dem Dienstackerstück des Lehrers auszubringen. Und auch, dass es dem Schulträger streng untersagt wurde, dem Lehrer das Holzhacken zu überantworten, machte den Pädagogen nicht materiell reich oder arm an Sorgen.
Martin Rath, Schulrechtsgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 18.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7569 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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