2/2: Brennholz statt Bargeld
Eine Antwort auf die Frage, wer die genannten Naturalleistungen zu erbringen hatte, war gar nicht leicht zu geben. Die Stellung und Bewirtschaftung des Garten- und Ackerlandes ließ sich noch übersichtlich regeln, auch wenn die preußische Ministerialbürokratie über die Frage grübelte, ob der Schulträger dem Lehrer nur die Gartenpflege oder auch die Erntearbeit abzunehmen habe (sie blieb nach reiflicher Überlegung an den Lehrersfamilien hängen).
Insbesondere die Brennholzlieferung konnte aber diffizil werden. Der Fiskus verfügte seinerzeit über hinreichend forstwirtschaftlichen Besitz, der nach dem Gesetz zuvörderst in die Pflicht genommen wurde. Wer aber den "Schlägerlohn" für das Fällen, Sägen und den Transport des Holzes gen Schule und Dienstwohnung zu zahlen hatte, war wohl nicht nur vor dem Urteil des Königlich Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. März 1901 mitunter unklar.
In diesem Fall war es richtig kompliziert. So war für die Naturalleistung von Holz und den "Schlägerlohn" der Schulverband von "Groß-M[enturren]" zuständig. Der Herr von "Groß-M[enturren]" hatte zwar 1855 gegenüber dem Herrn von "Klein-M[enturren]" auf dessen Teilleistung verzichtet.
Der Herr von "Klein-M[enturren]" lieferte aber seit 1882 auf Weisung der Regierung eine Teilmenge von 1,7 Raummetern Holz, wobei der Schulrechtskommentar als Richtgröße wiedergibt: "Der Gesamtbetrag [an Brennholz] für eine einklassige Schule darf das Maximum von 50 [Kubikmetern] nicht überschreiten." 1898 "gewährte" der Besitzer des Gutes "dem Lehrer auf dessen Wunsch statt der Naturallieferung den Geldwerth des Holzes", zog dabei aber 1,70 Mark "Werbungskosten" ab – zu Deutsch: Das Geld, das der Gutsbesitzer bisher verausgabt hatte, um das Fällen der Bäume und die Anlieferung des Holzes zu bezahlen, zog er jetzt von der ersatzweisen Bargeldleistung ab.
Zu Recht, wie das Königlich Preußische Oberverwaltungsgericht in Berlin judizierte, denn für die Werbungskosten, den "Schlägerlohn", habe der Schulträger, nicht der Gutsbesitzer als Herr über den Fiskalforst aufkommen müssen.
Geistige Gnadenmittel für materiell arme Lehrer
Die Gutsherren hatten sich die Ablösung ihrer einst feudalen Vorrechte – zahllose Hand- und Spanndienste, die das erbuntertänige Volk zu leisten hatte – nur langsam und gegen neue, unentgeltliche Arbeitspflichten teuer bezahlen lassen.
Dass liberale Kräfte in Berlin dem ostpreußischen Kleinstbauern in seiner Holzhütte bessere Rechte einräumten, bekam dieser – wie ein geheimer Bericht ans Kabinett in den 1840er-Jahren dokumentierte – oft gar nicht mit. Der einfache Landmann war Analphabet, die einfache Landfrau erst recht.
Natürlich legte die Schulbehörde, der juristische Kommentar dokumentiert das wörtlich, insbesondere dem jungen Volksschullehrer nahe, sich an den "Gnadenmitteln" zu stärken, also die Sakramente seiner Kirche wahrzunehmen, einen frommen und staatstreuen Lebenswandel zu zeigen, gefährliche "Vielleserei" zu vermeiden, stattdessen die enge Welt des patriotischen Lesebuchs nicht zu verlassen – allein, im ärmlichen preußischen Weiler mit einem relativ sehr viel reicheren Gutsbesitz in der Nachbarschaft, war wohl noch der frömmste Volksschullehrer eine latente Bedrohung der bestehenden Ordnung.
Ein bisschen reaktionär, das ist schon schwer
Das Schulministerium in Berlin sah im Volksschullehrer nun tatsächlich so etwas wie einen Bannerträger des modernen Staats, selbst wenn es ihn vor Ort in die ruralen Netzwerke der Naturalleistungswirtschaft zwang – mit den Unannehmlichkeiten, über 1,70 Mark "Schlägerlohn" oder die Reinigung der Schulöfen durch die Kinder zu verhandeln.
Aber diese Modernität hätte wenig mit der Bedrohung zu tun, die dem ostelbischen Großgrundbesitzer durch Pächter entstand, die das Lesen lernten. Die Regierung zu Königsberg reagierte beispielsweise mit Verfügung vom 17. Februar 1872 auf das im Vorjahr frisch erlassene Reichsstrafgesetzbuch, das in § 55 Abs. 1 vorsah: "Wer bei Begehung der Handlung das zwölfte Lebensjahr nicht vollendet hat, kann wegen derselben nicht strafrechtlich verfolgt werden."
Damit wolle das Gesetz, so kommentierte die Schulbehörde, zwar "die zarte Jugend vor Gefängnisstrafen und deren entsittlichenden Einflüssen bewahren" zugleich erwarte der Staat jedoch, dass "bei Kindern unter 12 Jahren die Erziehung und deren ernste Zucht" von den Lehrern geleistet werde: "Hierin liegt für die Lehrer und Schulvorstände eine ernste Mahnung, das Leben und Treiben der Kinder auch außerhalb der Schule zu überwachen und namentlich solche Schüler ins Auge zu fassen, deren häusliche Erziehung unzureichend ist, und welche von den Eltern zu Beschäftigungen verwendet werden, die mit mannigfaltigen Versuchungen zur Sünde verbunden zu sein pflegen." Der Volksschullehrer als Jugendstrafrichterersatz, das war schon irgendwie modern gedacht.
Nachmittägliche Komplett-Kasernierung zur Schulgartenpflege
Sogar heute noch gibt es Publizisten, die es den berüchtigten "Alt-68ern" ankreiden, die strenge Moral im pädagogischen Bereich verdorben zu haben. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel hält sich mit Jan Fleischhauer bekanntlich einen solchen Spaßreaktionär.
Dass 1968 die wilden Sitten und ein Überschuss an jugendlicher Freizeit und Freiheit die sittliche Ordnung Deutschlands zu ruinieren begannen, ist natürlich Unfug. Das Elend fing selbstverständlich schon im Kaiserreich an, als Gutsherren Natural- durch Geldleistungen ersetzten – erst recht, als Lehrer dann vollständig aus der Staatskasse entlohnt wurden.
Denn der arme Dorfschullehrer hatte doch beste Gründe, seine noch ärmeren Schüler auch außerhalb des Unterrichts im Auge zu behalten: Trugen sie beispielsweise den kostbaren Schweinemist aus seinem Stall auch wirklich in den Dienstgarten des Lehrers oder unterschlugen sie ihn für das Ackerstückchen ihrer Eltern?
Seit solche subtilen Anreizsysteme für das pädagogische Interesse an fremden Kindern entfallen sind, kann der Staat nur noch auf die unselige Komplett-Kasernierung von Kindern in Form so genannter Nachmittagsbetreuung zurückgreifen.
Glücklicherweise darf man sicher sein, dass die so organisierte Überwachungszeit dazu genutzt wird, Kindern beizubringen, wie man einen Schulgarten pflegt und dass Kühe nicht lila sind.
Anm. des Autors: Das Digitalisat des Kommentars "Schulordnung für die Provinzen Ost- und Westpreußen" findet sich online, die Vorlage stammt aus der Bibliothek der Stadt Elbing, heute Elbląg. Eine gewisse Lucie Holke und ein Johann Raczinski wurden 1909 unweit, im räumlichen Geltungsbereich geboren und nach § 1 eingeschult. Für den Verfasser bleibt das Digitalisat damit virtuell fast in der Familie.
Martin Rath, Schulrechtsgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 18.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7569 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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