Schwarzer Juristenhumor hat, jedenfalls im angelsächsischen Raum, Konjunktur. Pate steht niemand geringerer als William Shakespeare. Auch wenn der Dichter sich eigentlich über den Pöbel und nicht über die Anwälte mokierte, konstatiert Martin Rath bei letzteren mittlerweile auch auto-aggressive Züge. Und nimmt all das zum Anlass, mal Gewalt gegen Juristen zu prüfen: US-Studien haben ergeben…
Bis dahin namenlose Aufrührer reißen in Dörfern, Weilern und Städtchen die öffentliche Gewalt an sich, klandestin gesteuert von einem Machthaber, der sich selbst nicht klar zu seinen Herrschaftsansprüchen äußert. Der bildungsaverse Pöbel fällt, soweit er ihrer habhaft wird, über die Träger der bisher legitimen staatlichen Ordnung her, und zwar in Szenen voll grausamen Humors. Szenen, die deutlich machen, wie dünn der zivilisatorische Gemeinsinn ist, wenn eine halbwegs subtile, jedenfalls auf das Gesetz gegründete Herrschaft auf einen urwüchsigen Willen zur Macht trifft. Auf die Lust an blanker Gewalt, die sich aus langjähriger Unzufriedenheit weiter Volkskreise an der hergebrachten Ordnung speist.
Keine Sorge, damit soll kein Versuch gemacht werden, den Ukraine-Konflikt in ein dramatisches Bild zu fassen, so verführerisch es für osteuropäische Theaterleute demnächst auch sein könnte, eines der weniger bekannten Werke William Shakespeares (1564-1616; oder jenes Dichters, den Buchhändler unter diesem Namen führen) auf die Bühne zu bringen: das Drama um König Heinrich, Henry VI.
"(W)ir bringen alle Rechtsverdreher um"
"First thing we do, let’s kill all the lawyers", schlägt einer der Aufrührer eines halb fiktiven 'Volksaufstands' vor, während der tonangebende Rebell seinen Leuten von einem Land vorschwärmt, in dem zwar nicht Milch und Honig fließen, aber doch die böse Geldwirtschaft abgeschafft ist, Bier und Brot unter dem gewohnten Preis zu haben sind, die Kleidung der Diener uniform gestaltet werden soll, derweil die Herren dieser Diener im eigenen Blut baden sollen. Mit der Paradoxie solch burlesker Forderungen trieb Shakespeare gern seine Scherze.
Diese kurze Phrase "First thing we do, let’s kill all the lawyers" erfreut sich im englischsprachigen Raum, nicht zuletzt unter Juristen einiger Beliebtheit, sei es in einer sarkastischen Steigerungsform von Selbstironie, sei es – um ein Shakespeare-fremdes "but we might have start with the judges" ergänzt – als Ausdruck anwaltlicher Unzufriedenheit mit den entscheidenden Vertretern des Rechtssystems.
En vogue: Auto-aggressiver Juristenhumor
James E. Clapp, ein US-amerikanischer Rechtsanwalt, der sich 2011 in einem kleinen Aufsatz um eine richtige Einordnung der Shakespeare-Phrase bemühte, vertritt die Ansicht, dass der aggressive bzw. auto-aggressive Juristenhumor – trotz der langen, durch Shakespeare belegten Vorgeschichte – ein vergleichsweise neues Phänomen sei, das "ziemlich plötzlich in den 1980er-Jahren aufblühte".
Diese Blühpflanze treibt Ableger: Der vielleicht bekannteste Witz aus dem Sujet, der auf die Frage, was hundert auf dem Meeresgrund gefesselte Anwälte seien, mit der Pointe "ein guter Anfang" endet, dürfte inzwischen so verbreitet sein, dass er sogar hierzulande schon abgedroschen wirkt.
Clapp selbst gibt einen etwas weniger aggressiven Witz als Beispiel aufgeblühter humoristischer Aggression: Ein alter, erkennbar sterbenskranker Mann geht zum Anwalt, um auf seine letzten Tage selbst noch die Zulassung zur Advokatur zu erwerben. Dafür ist er bereit, erhebliche Geldmittel auszugeben, die er seinem Anwalt zukommen lässt. Kaum dass er die Zulassung in Händen hält, geht es für den Alten schließlich zum Sterben, worauf sein junger Kollege endlich erfahren will, warum der andere auf seine letzten Tage noch diesen Beruf hatte ergreifen wollen. Darauf antwortet der frischgebackene Kollege und Klient mit einem letzten Aufkeuchen: "Wieder ein Anwalt weniger."
Shakespeare, ernstgenommen
Das Wort "First thing we do, let’s kill all the lawyers" ist so verbreitet, dass sich in seinem Gebrauch zu werblichen Zwecken – US-amerikanische Anwälte haben bei der Reklame für ihre Dienstleistungen schon länger Erfahrung – auch die süßliche Variante findet, wonach gar nicht "alle" Anwälte, sondern bloß die schlechten gemeint seien, man selbst also eher nicht.
Die zweisprachige Ausgabe von "König Heinrich VI., 2. Teil" von Frank Günther, dessen Shakespeare-Übersetzungen zu den heute weit verbreiteten zählen, interpretiert den Satz wie folgt: "Das erste, was wir tun, wir bringen alle Rechtsverdreher um." Das geht nur auf den ersten Blick in die süßliche US-Variante.
Denn bei Shakespeare fällt dem Pöbel tatsächlich kein Rechtsanwalt, sondern ein "clerk of Chatham" in die Hände, zu verstehen als Gerichtsschreiber der besetzten Ortschaft. Beschuldigt wird der Schreiber, zitiert nach der Günther-Übersetzung: "Der kann lesen und schreiben und Rechnungen rechnen", "Wir haben ihn erwischt, wie er Schuljungen das Schreiben gelehrt hat" und "Hat ‘n Buch in der Tasche mit so Buchstaben drin." – Das gilt dem Pöbel als ein Art Hexenmeisterei.
Der Schreiber bekennt, schreiben zu können. Der Rebellenhaufen nimmt dies als "Geständnis" und der justizparodierende Anführer urteilt: "Weg mit dem sag ich: Hängt ihn, mit Tintenfaß und Feder um den Hals."
Shakespeare variiert dieses Muster in einer weiteren Szene – dort wie hier begegnet der Pöbel allen Gebildeten feindlich, nicht allein den Juristen oder speziell den Anwälten. Wer will, mag also mit der Lawyers-Phrase einen (auto-) aggressiven Juristenhumor ausdrücken. Unpassende Zitate sind sicher kabarettistisch wertvoll. Matthias Beltz schlug beispielsweise vor, Friedrich Schillers "Das Leben ist der Güter höchstes nicht" ("Die Braut von Messina", IV, 10) an den Rändern von Schnellstraßen zu installieren. Man hat bisher nicht davon gehört, dass Straßenbau-Unternehmer damit brancheninterne Witze machten. Möglicherweise hat der (auto-) aggressive Juristenhumor tiefere Wurzeln.
2/2: Aggression gegen Juristen, ernstgenommen
Als Teil einer nicht nur im Sport, sondern in allen Lebensbereichen von Rankings und Statistiken begeisterten Nation gehen US-amerikanische Juristen natürlich auch der Aggression gegen ihresgleichen nach – es sei erlaubt, aus ihren Zahlen Beispiele zu greifen und sich den üblichen Vorbehalt mitzudenken, den die Wortfolge auslöst: "eine US-Studie hat festgestellt".
Keine US-Wissenschaftler, sondern eine nüchterne Behörde immerhin übernahm die Vorreiterrolle in der statistischen Erfassung von Gewalt gegen Juristen: Der "U.S. Marshals Service" dokumentiert für jedes Fiskaljahr seine Leistungen, u.a. beim Schutz der Justizbehörden. Die jüngsten Zahlen legte er im Januar 2014 vor. Im Fiskaljahr 2013 ging der Dienst 1.155 Fällen von "Bedrohung oder unangemessener Kommunikation" gegen die insgesamt rund 12.000 Richter, Ankläger und sonstigen Justizbeamten seines Zuständigkeitsbereichs nach.
Im Zeitraum zwischen 2001 und 2011 stieg die Fallzahl von gut 600 auf rund 1.300 Fälle, inzwischen geht sie wieder etwas zurück – insgesamt lässt sich hier ein Wahrnehmungsproblem vermuten: Das Sicherungsbedürfnis in den Justizbehörden wuchs in den USA nach einer kleinen Zahl tödlicher Anschläge auf Richter seit den frühen 1970er-Jahren – das Phänomen hat eine gewisse Ähnlichkeit mit den deutschen Zuständen, bewegte der Linksterrorismus damals auch deutsche Spitzenbeamte und -politiker dazu, von der Straßenbahn in den Panzerwagen umzusteigen. Wer einmal im Sicherheitstrakt sitzt, nimmt die ganz gewöhnliche Welt womöglich insgesamt als gefährlich wahr.
Zuletzt: Aggression gegen, nun ja, Anwälte
Diesem mehr staatsschützerisch motivierten Blick auf die Sicherheit staatsnaher Juristen ließ die US-Anwaltschaft nur mit einiger Verzögerung Untersuchungen zu ihresgleichen folgen, die nun jeweils Zahlenmaterial für einzelne Bundesstaaten liefern.
Die jüngste Untersuchung gibt z.B. Aufschluss über die Aggression gegen die Anwaltschaft von Nevada, der 8.245 Juristen angehören. Gut 1.000 davon nahmen an der Befragung teil. Erfasst wurden neben faktischer Gewalt insbesondere Akte der Bedrohung, namentlich mündliche oder schriftliche Äußerungen, die dem Anwalt mehr oder weniger konkret physischen Schaden, "Bestrafung" oder allgemein-konkret ein gefährliches Leben ankündigten.
Die 1.000 Befragungsteilnehmer meldeten insgesamt 408 Vorfälle. In der Mehrzahl spielte sich die Aggression im eher kommunikativen Bereich ab, mit unangemessenen Äußerungen (310 Akte) oder unangemessener persönlicher Kontaktaufnahme (191 Akte). Immerhin 34 Fälle körperlicher Übergriffe wurden berichtet.
Unter "unangemessenen Äußerungen oder Kontakten" verstehen die Anwälte Nevadas durchaus robuste Übergriffe – man sollte sich nicht davon irreführen lassen, dass man sich hierzulande ja doch gern über die irrwitzigen Regeln zum Flirt-Verhalten an Highschools mokiert. Benannt wurden etwa heimlich aufgenommene Bilder der Kinder von Anwälten, Gewaltdrohungen, die tote Katze vor der Kanzleitür. Das Mindestmaß des Gemeldeten: Die gegnerische Partei überquert den Konferenztisch. Das Höchstmaß: Eingeworfene Fensterscheiben. Ein enttäuschter und bewaffneter Mandant, der auf dem Weg zum Anwalt zufällig der Polizei begegnetet. Bemerkenswert ist das Verhältnis, in dem die betroffenen Anwälte zu den Aggressoren stehen: Mit knapp 37 Prozent sind immerhin die eigenen Mandanten vertreten, die Gegenpartei mit gut 54 Prozent.
Besonders interessant ist womöglich, dass knapp ein Fünftel der Übergriffe – wie erwähnt: tote Katzen vor Kanzleitüren, Gewaltdrohungen gegen Anwaltskinder, über Konferenztische springende Parteien – von wem wohl ausgeht? – Vom gegnerischen Anwalt.
Man kann nur hoffen, dass sie sich dabei nicht von falsch verstandenen Shakespeare-Zitaten hinreißen ließen.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Recht & Literatur: Shakespeare in Hate: Tötet die Anwälte! . In: Legal Tribune Online, 01.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12121/ (abgerufen am: 01.07.2024 )
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